Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges folgten hinter der Front Einsatzgruppen des Reichssicherheitshauptamtes der Wehrmacht, um in den besetzten Gebieten das politische Leben zu überwachen, staatliche Unterlagen sicherzustellen und potentielle Feinde ausfindig zu machen und auszuschalten. Das Personal der Einsatzgruppen setzte sich vorwiegend aus Mitarbeitern der Gestapo, des Sicherheitsdienstes (SD), der Kriminalpolizei, der Ordnungspolizei und der Waffen-SS zusammen. Eingesetzt wurden diese mobilen Einheiten vor allem in Osteuropa, wo sie Juden, Kommunisten, Sinti und Roma, „bandenverdächtige“ Zivilisten und psychisch Erkrankte sowie Menschen mit Behinderungen durch Massenerschießungen und z.T. durch Gasvergiftungen ermordeten. Insgesamt muss man von über 500.000 Opfern ausgehen, die ab November 1941 von den Einsatzgruppen umgebracht wurden. Die Einsatzgruppen A, B und C waren im Ostfeldzug den Heeresgruppen Nord, Mitte und Süd zugeteilt. Die Einsatzgruppe D dem Armee-Oberkommando 11 an der Schwarzmeer-Küste. Die Einsatzgruppen untergliederten sich wiederum jeweils in mehreren Einsatz- bzw. Sonderkommandos.[1] Von der Grenzpolizeischule in Pretzsch aus wurde das Personal auf die einzelnen Einsatzgruppen verteilt.[2]
Der Einsatzgruppe D, die bis Ende 1942 eine Gesamtzahl von 85.201 Ermordete meldete, gehörten insgesamt ca. 500 Mann an.[3] Die Führung der Einsatzgruppe übernahm zunächst Otto Ohlendorf,[4] später Dr. Walter Bierkamp.[5] Zu dieser Einsatzgruppe zählten die Sonderkommandos 10a, 10b, 11a, 11b und 12.[6] Führer des Sonderkommandos (SK) 10a, dem ab Anfang des Jahres 1943 auch Walter Siems angehörte,[7] war zunächst der von der Stapo Hamburg kommende Heinrich Seetzen, später dann Dr. Kurt Christmann, der ehemalige Leiter der Stapo-Stelle Salzburg.[8]
Walter Siems stieß am 1. Januar 1943 zum seinerzeit im Kubangebiet in der Stadt Krasnodar stationierten SK 10a.[9] Es war dieses die Zeit, in der die Wehrmacht sich aus strategischen Gründen aus dem Kaukasus zurückzuziehen begann. Das Kubangebiet sollte aber weiterhin eine wichtige Rolle als Brückenkopf einer zukünftig angedachten neuen Offensive nach Südosten spielen. Dem Sk 10a fiel im Zuge des Rückzuges die Aufgabe zu, die in den Sümpfen der Kubanniederungen sich versteckt haltenden Partisanen ausfindig zu machen. Recht offen gestand der Führer des Kommandos Christmann bei einer Vernehmung im Jahr 1962 in diesem Zusammenhang ein: „Wenn wir bei unseren Partisaneneinsätzen, wie es allerdings selten der Fall war, Leute gefangen genommen haben, die gegen uns gekämpft haben, so wurden diese zumeist an Ort und Stelle erschossen. Diese Äußerung muß jedoch dahin aufgefaßt werden, daß wir in unsere Hände gefallene Partisanen auch bei den Einsätzen zunächst noch vernommen haben, um Näheres über die Zusammenhänge der Partisaneneinheiten, deren Bewegungen usw. zu erfahren.“ [10] Ende Januar 1943 führte das Sonderkommando zudem in dem Kosakenbdorf Marjanskaja nahe Krasnodar eine „Strafaktion“ durch, die politisch verdächtigen Personen galt. Etwa 100 Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden nahe des Dorfes am Fluß Kuban erschossen. Zudem beteiligte sich das SK 10a an dem Mitte Februar 1943 ausgegebenen „Führerbefehl“, alle wehrfähigen Zivilisten im Alter von 15 bis 50 Jahren zu verschleppen, in Lagern zu sammeln und bei Schanzarbeiten zwangsweise einzusetzen. Als jedoch auch das Kubangebiet verlassen werden musste, räumte das SK 10a seinen Dienstsitz in Krasnodar, wobei die Insassen im Hausgefängnis ermordet und das Dienstgebäude in Brand gesteckt wurde. Anschließend sammelten sich die Kommandoangehörigen auf der Krim. Hier wurde das SK 10a im April 1943 als letztes Kommando der Einsatzgruppe D aus dem südrussischen Raum gebracht und mit der Eisenbahn nach Mosyr in Weißrußland verlegt.[11]
Hier in den nahegelegenen Pripjetsümpfen sollten die verbliebenen Sonderkommandos der Einsatzgruppe, die fortan auch den Namen „Kampfgruppe Bierkamp“ trugen, ab Mai 1943 mit bereits verwendeten SS-Verbänden, insbesondere der SS-Kavalleriedivision, im Partisanenkampf eingesetzt werden.[12] Am 25. Mai 1943 wurden im Zuge einer Neuordnung der Kampfeinheiten die „Kampfgruppe Bierhoff“ als eigenständige Einheit aufgelöst und der SS-Kavalleriedivision zugeschlagen.[13] Während der einmonatigen, großräumigen Operation „Seydlitz“ zur Abwehr der Partisanen brannte das SK 10a am 27. Juni 1943 das Dorf Mileschkowitschi nieder. Ein Überlebender aus Milekowitschi erinnerte sich 1965: „Nach der Vernichtung des Dorfes Meleschkowitschi [gemeint ist Mileschkowitschi, d. Verf.] begannen die SS-Leute, die Wälder, in denen sich die Ortseinwohnerschaft verborgen hielt, durchzukämmen. Alle Festgehaltenen wurden von ihnen am Festnahmeort getötet. Damals vernichteten die Strafvollzieher etwa 70 Bewohner des Dorfes Meleschkowitschi. Das Dorf, das etwa 370 Wohnhäuser zählte, wurde vollständig niedergebrannt. Unter den Umgekommenen befand sich meine Mutter.“ [14] Einen Tag später wurde das Nachbardorf Machnowitschi zerstört und am 2. Juli 1943 durchkämmte das Kommando das Dorf Terebunka. Am 27. Juli 1943 übte das SK 10a ein Massaker an der Bevölkerung des Ortes Kostjukowitschi aus. Dort wurden alle Einwohner, auch Kleinkinder und Säuglinge, ermordet. Anschließend beschlagnahmte das Kommando nach dem Ende der Aktion das Vieh sowie alle beweglichen Werte und führte diese den Erfassungsstellen zu. Weitere Verbrechen wurden u.a. in den Dörfern Shuki, Michalka Kamenka, Sloboda und Shachowitschi begangen.[15]
Bis zum Abschluss der Aktion blieb das SK 10a der SS-Kavalleriedivision unterstellt und löste sich anschließend als Kommando auf. Ein Teil der Mannschaften wurde in das Generalgouvernement, ein anderer Teil, darunter Walter Siems,[16] direkt zur zentralen Dienststelle „Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD“ (BdS) in Krakau versetzt.[17]
Die BdS-Stellen waren im Unterschied zu den mobilen Einsatzgruppen fest stationierte Dienststellen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, die in jedem besetzten Land eingerichtet wurden und dem Reichssicherheitsamt in Berlin unterstanden. Ihnen angegliedert waren auf der Ebene der Distrikte die Dienststellen „Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD“ (KdS).[18]
Im Zuge des Kriegsendes entzogen sich einige der Hauptverantwortlichen der Einsatzgruppen durch Selbstmord einem bevorstehenden gerichtlichen Verfahren, hierzu zählte Walter Bierkamp und Heinrich Seetzen. In einigen Fällen kam es in der Nachkriegszeit zu Anklageerhebungen und zeitlichen Strafen. Der größte Teil der Täter jedoch – inklusive Walter Siems aus Quickborn – blieb von strafrechtlichen Ermittlungen unbehelligt.[19]
Betreff: Walter Siems, mein Vater. Jahre später berichtete er ausführlich von dem besagten Geschehen. Er fühlte Reue und Abscheu – bekannte sich jedoch vor mir – seiner Tochter – schuldig. Das Glück war ihm hold, denn er war ohne Bestrafung davon gekommen. Mein Vater war ein Despot! Ich habe unter ihm gelitten.