Die Schutzstaffel (SS) hatte ursprünglich die Funktion, den Parteiführer der NSDAP, Adolf Hitler, zu schützen. Vorläufer war die im März 1923 gegründete „Stabswache“, aus der sich nach Aufhebung des NSDAP-Verbots 1925 die Schutzstaffel entwickelte. Als weitere Aufgabe kam ihr zu, politische Gegner in und außerhalb der nationalsozialistsichen Partei zu bekämpfen. Die SS unterstand anfangs direkt dem „Führer“ und war an die Sturmabteilung (SA) angeschlossen. Erst nach der Beseitigung der SA-Führer im Rahmen des „Röhm-Putsches“ gelang es der SS, eine eigenständige Organisation zu werden. Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 gehörte es zu ihrem vordringlichsten Ziel, das NS-Herrschaftssystem im Deutschen Reich abzusichern. Neben der allgemeinen SS entstanden zu diesem Zweck die SS-Verfügungstruppe als militärische Kampftruppe, aus der sich die Waffen-SS entwickelte, und die SS-Totenkopfverbände, die für die Bewachung der Konzentrationslager zuständig waren.[1] Von der Mentalität her sahen sich die SS-Männer – auch innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung – als Elite. Nach der SS-Führung hatten sie sich zu begreifen als „gleichartige, festgefügte und weltanschaulich zusammen verschworene Kampftruppe„, deren „Kämpfer aus bestem arischen Menschentum ausgesucht werden. (…) Nur die blutsmäßig besten Deutschen sind für diesen Kampfeinsatz tauglich.“ [2]
Einer, der sich zu diesen „Kämpfern“ zugehörig fühlte, war der Zimmerer Johannes Neels, der in Friedrichsgabe ein Haus in der Ulzburger Straße 531 bewohnte. Neels wurde am 11. Dezember 1888 in Rothenbeck, Kreis Stormann, geboren und besuchte von 1895 bis 1904 die Volksschule. Anschließend erlernte er das Zimmerhandwerk und leistete zwischen 1908 und 1910 den Militärdienst ab. Im Oktober 1911 heiratete er seine Frau Bertha, geborene Kielmann, mit der er zwei Kinder hatte. Gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zog der 25-jährige Johannes Neels als Soldat ins Feld und geriet 1916 in französische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst im Februar 1920 wieder entlassen wurde. Nach der Entlassung war er wieder als Zimmergeselle tätig, bis er 1929 erwerbslos wurde.[3]
Es ist anhand der vorhandenen Quellen[4] nicht ersichtlich, aus welcher Motivation heraus sich Johannes Neels den Nationalsozialisten anschloss. Seine Arbeitslosigkeit und vermutlich auch persönliche Kontakte zu den im nahegelegenen Bönningstedt zahlreich vorhandenen Nationalsozialisten waren sicherlich ursächlich dafür, dass sich Neels am 1. August 1930 mit der Mitgliedsnummer 277.028 in die NSDAP aufnehmen ließ[5] und im November 1932 mit der Mitgliedsnummer 61.330 der SS beitrat.[6]
Friedrichsgabe hatte keinen eigenen SS-Sturm. Die örtlichen Staffelmänner gehörten dem etwa 50 Mitglieder[7] umfassenden 3. Sturm des 3. Sturmbannes der 4. SS-Standarte in Bönningstedt unter Führung des hauptamtlichen Führers Wilhelm Franz an.[8] In der SS bekleidete Neels ab 1933 das Amt des SS-Rottenführers[9] und ab 1937 das des SS-Oberscharführers.[10] Als Nationalsozialist übernahm er die kirchenfeindliche Haltung der SS, trat aus der evangelisch-lutherischen Kirche aus und bezeichnete sich fortan als „gottgläubig“.[11]
Ab August 1933 war Neels wieder erwerbstätig. Er arbeitete in Hamburg als Zimmerer im Garten- und Friedhofswesen und wurde 1938 Betriebssekretär bei der städtischen Müllabfuhr. Als mit dem deutschen Einmarsch in das Sudetenland SS-Männer aus dem Deutschen Reich abgezogen wurden, trat Neels nach eigenen Angaben als Angehöriger der SS für einige Wochen in den Wachdienst des nahe Berlin gelegenen KZ Oranienburg. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Neels ab Oktober 1939 für die Vorgängereinrichtung des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) tätig, das in der Straße Unter den Eichen in Berlin-Lichterfelde ansässig war.[12] Das WVHA entstand im Februar 1942 aus der Zusammenlegung der SS-Hauptämter „Verwaltung und Wirtschaft“ und „Haushalt und Bauten“ und beschäftigte mehr als 1.500 Mitarbeiter. Es verwaltete SS-eigene Unternehmen und steuerte u.a. die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen, die in eigenen als auch in Fremdfirmen wirtschaftlich ausgebeutet wurden.[13]
Im SS-Amt war Neels, so seine Angaben in der Nachkriegszeit, als Bauhandwerker sowie in der Bauleitung der SS und im Polizeidienst tätig. Unklar bleibt mit welcher genauen Baumaßnahme er in Berlin in Berührung kam und woher sich seine Mitarbeiter unter seiner Bauleitung rekrutierten.
Nach einer schweren Lungenentzündung wurde er am 10. Juli 1940 als dienstuntauglich entlassen, zog zurück nach Friedrichsgabe und nahm im Dezember 1940 wieder seinen Verwaltungsdienst bei der Müllabfuhr der Stadt Hamburg auf. Im Juni 1943 wurde er zur Waffen-SS einberufen und war erneut als Bauleiter tätig. Einsatzgebiet war diesmal zunächst der Ort Kruglanken (heute: Kruklanki).[14] Kruglanken lag im damaligen Ostpreußen, unweit der zur „Wolfsschanze“ gehörenden Bunkeranlage des SS-Reichsführers Heinrich Himmler, der hier die Feldkommandozentrale „Hochwald“ einrichtete.[15] Der Frage, ob Neels als Bauleiter mit Himmlers Bunkeranlage zu tun gehabt hatte, oder zuständig für die im Umfeld von Kruglanken errichteten Kriegsbunker[16] war, wurde im Rahmen des Spruchgerichtsverfahrens in der Nachkriegszeit ebensowenig nachgegangen, wie die Frage, was genau er während seines nachfolgenden Einsatzes im westpreußischen Sophienwalde (heute: Dziemiany) gemacht hatte.[17] Hier hatte die Waffen-SS den Truppenübungsplatz „Westpreußen“ errichtet und für den Bau auf ca. 1000 Zwangsarbeiter, davon ungefähr 500 Häftlinge aus dem KZ Stutthof zurückgegriffen, die u.a. in dem Außenlager Bruss-Sophienwalde untergebracht waren.[18] Als die Rote Armee den Truppenübungsplatz im Februar 1945 erreichte, hatte sich Johannes Neels bereits wieder in Richtung Westdeutschland abgesetzt. In seiner alten Heimatgemeinde Friedrichsgabe wurde er wenige Tage nach der Kapitulation am 28. Mai 1945 wegen seiner SS-Zugehörigkeit von den britischen Militärbehörden verhaftet und über das Internierungslager Neumünster in das zentrale Internierungslager Eselheide bei Bielefeld gebracht.[19]
Neben einem Spruchgerichtsverfahren musste sich Neels noch in weiteren Verfahren der Staatsanwaltschaft Itzehoe und Lübeck wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Misshandlung politischer Gegner verantworten. Vorgeworfen wurde ihm, im April 1933 bei einem Fackelumzug der NSDAP eine Kolonne der SS angeführt zu haben, die bei politischen Gegnern die Fensterscheiben eingeschmissen hatte. Im August 1933 soll sich Neels zudem als Angehöriger der Hilfspolizei bei einer Durchsuchungs- und Festnahmeaktion an der Misshandlung der Sozialdemokraten Alfred Stamer und Reinhold Masanek beteiligt haben (siehe weiterführende Spuren unten).[20] Der Sozialdemokrat Otto Schulz sagte über Neels aus: „Er pflegte Wahlplakate der gegnerischen Parteien herunterzureissen, ferner mit einem Knüppel bewaffnet, zusammen mit anderen, politische Gegner aufzulauern. Bei den Wahlen im April 1933 [gemeint sind die Reichstags- und Kommunalwahlen im März 1933, d. Verf.] lauerte mir Nehls in der Ulzburgerstr. unmittelbar bei seiner Wohnung mit noch 25-30 Mann von der SA oder SS auf. Man wollte mich verhauen. Nehls äusserte zu mir: ‚Totschlagen müsste man dich.‘ Als dann jedoch Reichsbanner in der Nähe erschienen, verschwand er mit den anderen.“ [21] Schulz berichtete auch von einem Trupp ausländischer Arbeiter, der in der Kriegszeit unter der Bewachung der SS, darunter Johannes Neels, am Bahnhof Ochsenzoll vorbeizog. Neels soll hierbei mit einer Stahlpeitsche auf ausländische Arbeiter eingeschlagen haben.[22] Der Bürgermeister Helmut Klute hatte sich des Weiteren an zwei ehemalige Häftlinge des KZ Oranienburg erinnern können, die zufällig von dem Aufenthaltsort des Neels gehört hatten und sich auf der Suche nach ihrem ehemaligen Peiniger machten.[23]
Der ehemalige Staffelmann Neels bestritt hingegen jegliches Vergehen. In seinem Spruchgerichtsverfahren äußerte er im Juli 1949: „Mir sind die politischen Kämpfe mit Andersdenkenden bekannt. Ich habe mich aber an solchen Handlungen nicht beteiligt. (…) Von Mißhandlungen und Schlägereien ist mir nichts bekannt.“ Und wahrheitswidrig fügt er hinzu: „Aus meinem Dorf ist niemand ins KL gekommen.“ [24] Mit ausländischen Arbeitern habe er in Ochsenzoll nichts zu tun gehabt.[25] Seine Tätigkeit im KZ Oranienburg habe er nur vertretungsweise vier bis sechs Wochen ausgeübt. Im eigentlichen Wachdienst sei er hier nicht eingesetzt gewesen, da sich seine Aufgabe auf die Verpflegung der SS-Kompanie beschränkt habe. Hierbei sei er kaum mit Häftlingen in Kontakt gekommen. Seiner genauen Tätigkeiten im Rahmen des WVHA, zu der er notdienstverpflichtet worden sei, ging man nicht nach.[26]
In einem Abschlussbericht über die Ermittlungen gegen Johannes Neels vermerkte der Kriminalpolizist Schwabe im Dezember 1948: „Neels ist in seiner Gemeinde recht unbeliebt und macht auch heute noch den Eindruck eines recht brutalen Menschen, den man ohne weiteres die ihm während der Nazizeit zur Last gelegten strafbaren Handlungen zutrauen kann. Ihm aber direkt einer solchen Handlung zu überführen, war trotz wohl recht eingehend angestellten Ermittlungen nicht möglich, weil einwandfreie Zeugen nicht festgestellt werden können und naturgemäss seine ehemaligen Kameraden der SS. nicht gegen ihn aussagen, weil sie sich dann auch selbst strafbarer Handlungen bezichtigen könnten.“ [27] Tatsächlich wurde Neels, der im Dezember 1947 nach 31 Monaten Internierungshaft wieder entlassen wurde,[28] nicht wegen der verschiedenen Vorwürfe gegen ihn gerichtlich belangt. Die vorhandenen Zeugenaussagen schienen den Gerichten für eine Verurteilung nicht beweiskräftig genug zu sein. Die Strafkammer I des Landgerichts Itzehoe sprach Neels bereits am 6. April 1948 aus Mangel an Beweisen von dem Vorwurf frei, an der Misshandlung von Alfred Stamer beteiligt gewesen zu sein.[29] Am 18. Januar 1949 erfolgte, ebenfalls aus Mangel an Beweisen, der Freispruch in Sachen der Misshandlung des inzwischen verstorbenen Rudolf Masanek vor dem Schwurgericht Lübeck. Was blieb war einer Verurteilung vor der Spruchgerichtskammer in Bielefeld wegen Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation am 30. Juli 1949 zu lediglich vier Monaten Gefängnis und der Übernahme der Gerichtskosten. Die Haftstrafe galt hierbei mit der Internierungshaft bereits als verbüßt. Da seine Verurteilung unter das Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 fiel, wurden ihm schließlich auch die restlichen Gerichtskosten erlassen.[30]