„Staatsfeindliche Äußerungen“ wurden oftmals in Gastwirtschaften getätigt, wo kritische Bekundungen über das politische Geschehen unter Alkoholeinfluss leichter über die Lippen kamen. Einer, der sich in diesem Sinne betätigt hatte, war der 54-jährige Landarbeiter Heinrich Hübener aus Quickborn.
Hübener arbeitete in Hemdingen bei einem Landwirt und war am Sonntag, den 15. Oktober 1939 nach einem Friseurbesuch in die Gastwirtschaft von Behrendt Mohr, dem heutigen Hemdinger Hof, eingekehrt. Hier trank er mehrere Biere und Kurze und nahm am Nachbartisch Notiz von einem Gespräch über Politik und den Krieg. Im Verlauf der Unterhaltung, an der der Dreschzugbesitzer E., der Zimmermann W. und der landwirtschaftliche Gehilfe H. teilnahmen, schaltete sich auch Heinrich Hübener ein. Er erklärte in der Runde: „… es sei alles Lug und Trug, was in den Zeitungen stehe, man dürfe nichts davon glauben, wir sollten uns in Acht nehmen, England an die Gräten zu gehen, wir würden es bitter bereuen; die über Deutschland abgeworfenen Flugblätter seien nicht von feindlichen Fliegern abgeworfen worden, sondern von unseren eigenen Flugzeugen und der Inhalt der Flugblätter entspreche voll und ganz der Wahrheit. (…) Der Kaffee werde uns vorenthalten, den kriegten nur die Großen, auch das Fleisch bekämen nur die Großen; er habe den [Ersten, d. Verf.] Weltkrieg mitgemacht, sei aber übergelaufen und werde, wenn die ihn einzögen, auch diesmal überlaufen. … die Regierung habe sich gesichert, falls es mit dem Krieg schief gehen sollte, sie habe ihr Gold in Sicherheit gebracht und werde sich auch selber im letzten Augenblick in Sicherheit bringen.“ Seine Ausführungen schloss er mit den Worten: „Das ist heute noch so, Gold regiert die Welt.“ [1] Heinrich Hübener wurde daraufhin von seinen Gesprächspartnern verprügelt, denunziert und von der Polizei verhaftet.[2] Die Lokalpresse berichtete: „8 Tage Vorbeugungshaft verhängt wurde über den Arbeiter H., weil er in einer Gastwirtschaft in Hemdingen in seiner Angetrunkenheit staatsfeindliche Äußerungen getan hat. Diese 8 Tage musste er in Polizeigewahrsam verbringen.“ [3] Es blieb allerdings nicht bei diesen acht Tagen, denn nach seiner Inhaftierung im Quickborner „Spritzenhaus“ wurde er in das Gerichtsgefängnis Kiel überführt und am 3. Februar 1940 vor dem Sondergericht Kiel wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Das Sondergericht urteilte: „Die zu erkennende Strafe musste zurAbschreckung und zur Sühne hart und fühlbar sein, da der Angeklagte sich durch seine Ausserungen abseits der Volksgemeinschaft gestellt hat.“ [4] Nach der Urteilsverkündung saß Hübener seine Haftzeit in der Strafanstalt Neumünster, Zweiganstalt Himmelmoor ab.[5]
Heinrich Hübener stand aus unbekannten Gründen bereits spätestens seit 1937 unter polizeilicher Beobachtung. Die Gestapo Kiel schrieb am 08.03.1937 an den Landrat in Pinneberg: „Von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Hübener habe ich, da dieses aussichtlos ist, Abstand genommen. Ich bitte jedoch Hübener beobachten zu lassen und mir zu gegebener Zeit über das Ergebnis Mitteilung zu machen.“ [6] In regelmäßigen Abständen berichteten daraufhin die Gendarmerie und der Amtsvorsteher Kolz an den Landrat. Bis auf eine Mitteilung des Bürgermeisters aus Hasloh, wo Hübener zeitweise gemeldet war, dass er bei der „großdeutschen Reichstagswahl“ nach dem „Anschluss“ Östereichs am 10. April 1938 seine Stimme nicht abgegeben hat, konnte nichts Nachteiliges vermeldet werden, sodass die insgeheime Beobachtung im Mai 1938 eingestellt wurde.[7]
Nach dem Krieg stellte Heinrich Hübener einen Antrag auf Haftentschädigung aufgrund seiner Verurteilung wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz. Zwar wurde das Urteil gemäß der Straffreiheitsverordnung vom 3. Juni 1947 aufgehoben, eine Haftentschädigung wurde jedoch 1954 vom Landesentschädigungsamt in Kiel abgelehnt. Begründet wurde die Entscheidung mit dem Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG), wonach ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn die betreffene Person wegen ihrer gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden erlitten hat. Heinrich Hübener wurden vom Entschädigungsamt keine derartigen fundierten Überzeugungen anerkannt. Seine „ihm im Strafverfahren zur Last gelegten Äußerungen (seien) auch nicht als Ausdruck einer politischen Überzeugung, sondern lediglich als Unmutsäußerungen anzusehen.“ [8] Dieser Fall ist einer von vielen Beispielen, die aufzeigen, wie schwer es ehemals verfolgte Personen hatten, von staatlicher Seite als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt zu werden.
Kai-Thilo Trebstein und Jörg Penning