Pfingsten 1933 SA-Aufmarsch in Pinneberg – die Stadt wird SA-Standort

SA-Aufmarsch in Pinneberg 1932, Bild: VHS-Geschichstwerkstatt Pinneberg
SA-Vorbeimarsch am 18. Juni 1933, Titelfoto "Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus, Bild: VHS-Geschichtswerkstatt Pinneberg
SA vor der Drostei, Bild: VHS-Geschichstwerkstatt Pinneberg
Die Pinneberger Drostei als Sitz der SA, Bild: VHS-Geschichstwerkstatt Pinneberg
Die Eingangshalle der Drostei als Horst-Wessel-Gedenkstätte, Bild: VHS-Geschichtswerkstatt Pinneberg
Drostei, Dingstätte 23, Pinneberg

Gewalt und Ordnung – Faszination und Kalkül der SA

Das Bild einer vorbeimarschierenden SA-Kolonne war für viele Menschen am Ende der Weimarer Republik die „zentrale Bekehrungssitation“ zum „Nationalsozialismus“. Die Inszenierungen der SA-Aufmärsche zielten dabei auf zweierlei: einmal auf die Macht des Terrors, die den Andersdenkenden zwingt und ihn vernichten kann; zum anderen auf eine sinlich-ästhetische Qualität, die den Andersdenkenden fasziniert, verunsichert und möglicherweise in Besitz nimmt.[1]

Pinneberg wird SA-Standort

Johannes Seifert schreibt: Wie das Tageblatt am 29.5.1933 so trefflich formuliert hatte, bemühte das Bürgertum sich jetzt, Nationalsozialist zu werden. Dies führte zunächst zu einem Ansturm auf die NSDAP, die darauf mit einem Aufnahmestopp reagierte, der erst 1937 wieder aufgehoben wurde. Nun hatte besonders die SA Zulauf, in geringem Maße auch die SS. Am 10.6.33 kündigte die Zeitung für Pfingsten (18.6.1933) eine SA-Großveranstaltung mit etwa 4000 bis 5000 Teilnehmern an. Mit dabei sein sollte auch die in nationalen Kreisen so beliebte Kyffhäuserkapelle. Die Kyffhäuserkapelle war durch die Gleichschaltung zur SA-Sturmkapelle III 31 befördert worden und musste fortan auf Parteiveranstaltungen in der braunen SA-Uniform spielen. Bei Kyffhäuserveranstaltungen durfte sie hingegen zunächst noch in der alten blauen Kriegsvereinsuniform auftreten…

Gegen 15 Uhr sammelten sich auf dem Sportplatz Bismarckstraße die Sturmbannen 2, 4 und 5 sowie die nationalen Verbände, zusammen etwa 3500 Mann. Dann marschierten die Teilnehmer durch die Stadt in den Garten der “Eiche”. Vor dem Rathaus nahmen der Führer der SA-Untergruppe Südholstein, Möhring, Sturmbannführer Ladiges, Itzehoe und der Altonaer Polizeipräsident Pg. Hinkler den von Standartenführer Lüdemann geleiteten Vorbeimarsch ab. Die Veranstaltung in der Eiche begann mit einer Weiheandacht:

“Nach einem einleitenden Choral ergriff nun Herr Pastor Fölster das Wort zu einer Weiheandacht. Der Inhalt seiner Ansprache gipfelte darin, daß der Glaube an das Evangelium mit dem Kampf des Menschen, wo es auch immer sei, eng verknüpft sei, was ganz besonders auch auf die Person des Volksführers Adolf Hitler Anwendung fände. Herr Pastor Fölster schloß seine Weiheandacht mit den Worten: “Der ist ein Mann, der beten kann.”

Nach einer längeren Ansprache “weihte” SA-Sturmbannführer Ladiges dann die Fahnen der neuen Stürme:

“Als Weihespruch erhielt die Sturmfahne 6/31 die Worte: “Die Treue ist das Mark der Ehre.” Die Fahne des Nachrichtensturms 31: “Deutsch sein heißt treu sein.” Und mit den Worten: “Deutschland soll leben, auch wenn wir sterben müssen” wurde die Fahne des Reservesturmes 21/31 Pinnberg geweiht. Mit den Worten: “Da, wo unsere braunen Kämpfer stehen, ist Deutschland” war der Weiheakt beendet.”

Danach gebrauchte der Altonaer Polizeipräsident “scharfe Worte”. Seine Warnungen an die politischen Gegner gipfelten in der Drohung, den Marxismus mit Stumpf und Stiel auszurotten. Der Abend endete mit Soldatenball in allen Lokalen, “deutschem Tanz”, lebenden Bildern von der Front und einem Großfeuerwerk. Auch dem Rosenfest 1933 gab die SA das Gepräge. Am 11.8. berichtet die Zeitung von der Teilung der SA-Standarte 31, die jetzt etwa 7000  Männer umfasste. “Aus der bewährten SA des gesamten Kreises Pinneberg wurde die Standarte 265, so dass die Brigade Südholstein nunmehr die Standarten 31, 213 und 265 ihr eigen nennt. Die Standorte sind Altona, Segeberg und Pinneberg. Die neue Standarte 265 hat die ansehnliche Stärke von 3200 SA Männern und ist in 3 Sturmbanne aufgeteilt… Die neue Standarte wird ihre Diensträume im alten Gebäude des Landrats aufschlagen.”

Die genaue Organisation der Standarte mit den Namen aller Führer veröf­fentlichte das Tageblatt am 30.8.33. Übergeordnet war die Standartenführung unter Heinrich Lüdemann, Elmshorn, und Adjutant Rudolf Reymer. Zum Son­derzugführer der Standarte wurde Willi Kobarg bestellt. Der Standartenführer sollte auch in der Drostei wohnen. Insgesamt wurde die Stärke der SA-Stan­darte 265 jetzt mit 3500 Mann angegeben.

Mit dem Wachstum der SA vergrößerten sich die schon länger bestehenden finanziellen Probleme der SA. In dieser Situation verfiel die Selbsthilfe Arbeits­gemeinschaft der Pinneberger SA auf eine der Mafia entlehnte Methode. Sie vertrieb jetzt Schilder “mit der Aufschrift “Deutsches Geschäft”, um dem Publikum durch deutlich sichtbaren Aushang im Schaufenster vor Augen zu führen, dass es sich hier um ein Geschäft handelt, dessen Inhaber deutscher (arischer) Abstammung ist, und dass dieses Unternehmen frei ist von jüdischem Einfluß und Kapital. Die Berechtigung zum Führen dieses sofort in die Augen fallenden Schildes läuft zunächst auf ein Jahr, und die Leihgebühr beträgt RM 6.50 für ein kleineres, RM 10.00 für ein mittleres und RM 20.00 für ein größeres Geschäft.”

Die Einweihung des Standartenhauses fand Mitte November statt. Geladen waren SA- und Parteiführung, Landrat Duvigneau, die Bürgermeister von Pin­neberg, Wedel und Elmshorn, die Polizeiführung, Pastor Fölster und verschie­dene Herren der Industrie. Zunächst weihte Pastor Fölster die Fahnenhalle, dann gab es Brote, Bier und Reden.

“Aus allen Reden hörte man die Freude heraus, dass dieses schöne alte Gebäude, der Sitz des ehemaligen Landdrosten, das in den letzten Jahren langsam zu einem “Rattenschloß” zu verfallen drohte, so famos ausgestaltet worden ist und diese schöne, würdige Verwendung als Heim unserer braunen Soldaten gefunden hat. Standartenführer Lüdemann beschrieb, wie er, trotz des früher ungastlichen Aussehens der Räume von Anfang an das Haus lieb gewonnen und sich gesagt habe, hier bin ich und hier bleibe ich. Herr Wupperman sprach in launiger Weise über das Haus und den Standartenführer… Nachdem noch Ortsgruppenleiter v. Baselli auf die gute Zusammenarbeit zwischen der hiesigen Führung der SA und der politischen Organisation hingewiesen hatte und Pastor Fölster seine Kämpfe und seine Stellung zum Nationalsozialismus geschildert hatte, schloss der Standartenführer Lüdemann den offiziellen Teil der Feier.”

Kurz darauf erschien eine lyrische Beschreibung der neuen Innenansicht der Drostei. Danach bildete die Fahnenhalle den Eingang. Über die Treppe gelang­te man in die Arbeitsräume:

“Ein großer heller Raum liegt vor uns, dieser dient der täglichen Abfertigung, hier befindet sich die Organisationskartei, der gesamte Aufbau und die Gliederung der SA ist hier ersichtlich. Das anschließende Zimmer ist in hell Eiche gehalten, es ist dies der Raum des Adjutanten, vier Menzelsche Kupferstiche bilden den Wandschmuck, auch dieses Zimmer ist einfach und geschmackvoll ausgestattet. Nun kommen wir zu dem schönen, großen Raum des Standartenführers; im Gegensatz zu dem eben verlassenen Raum ist dieser in dunkel Eiche gehalten, an der Wand hängt ein großes Bild Adolf Hitlers, gestiftet von der Stadt Elmshorn (wie überhaupt alle Gegenstände und Einrichtungen aus Stiftungen bestehen), fünf Bilder zeigen den heutigen Standartenführer bei Schulungskursen usw. Ehrenplätze haben Bilder von Stabschef Röhm, Gruppenführer Schoene und Gauleiter Lohse. Besonders erwähnenswert ist der Ofen, eine alte schmiedeeiserne Kunstarbeit aus dem Jahre 1759, sonderbarerweise weist das Ornament an beiden Seiten hakenkreuzähnliche Verzierungen auf.”

Ein großer Saal diente als Schulungsraum für SA-Führer, im oberen Stock­werk befanden sich Schlafräume für die beiden Obertruppführer. Allein über den arg verwilderten Park wurde noch geklagt, der nun aber durch einen Fuß­weg von der Dingstätte zur Moltkestraße der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. 1935/36 gestaltete die Stadt den Standartenpark gezielt als Erholungs­raum für die Bevölkerung.[2]

Dieser Text wurde dem Buch „Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus“ entnommen. Der Autor Johannes Seifert konnte hier zusammmen mit der VHS-Geschichtswerkstatt ein umfassendes und anschauliches Bild dieser Epoche zeichnen. Die Publikation  ist im Jahre 2000 erschienen und kann hier eingesehen werden.

Besetzte Orte

Die angestrebte Eroberung geographischer Räume durch den Einsatz der SA-Truppen richtete sich nach der politischen Strategie der NSDAP. Es ging ja nicht einfach um Räume, sondern um die in diesen Räumen lebenden Menschen. Hinter der Frage von Stadt und Land standen unterschiedliche Zielgruppen als Propagandaprojekt. Hier die Bauern, das Landproletariat und die alten kleinbürgerlichen Mittelschichten, dort die Arbeiterklasse, die neuen kleinbürgerlichen Mittelschichten und das städtische Bürgertum. Bis 1928 lag der Schwerpunkt der Propaganda der SA im städtischen Raum. Goebbels hatte einen Plan entwickelt nachdem sich die Organisation entsprechend dem Vorbild der italienischen Faschisten auf 24 Städte konzentrieren sollte. Diese Strategie war wenig erfolgreich, sie scheiterte an der Gegenwehr der Linksparteien. Daraufhin ordnete Hitler im Sommer 1928 an, den Schwerpunkt der propagandistischen Tätigkeit auf das Land, in die Dörfer und Kleinstädte zu verlagern.[3] Das Pinneberg nach 1933 zum Aufmarschgebiet und Sitz der regionalen SA-Strukturen wurde,  kann als nachläufige Durchsetzung dieser Strategie gesehen werden.

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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