KZ-Haft wegen Beleidigung der NSDAP

16. Oktober 1933
Siedlung auf dem Gelände der ehemailgen Sprengstoffwerke, Quickborn-Heide

Im Jahr 1929 erwarb Hugo Hirt auf dem Gelände der ehemaligen Sprengstoffwerke in Quickborn-Heide ein Grundstück mit zwei Gebäuden. Das eine Gebäude bewohnte er mit seiner Familie selbst, das andere vermietete er an seinen Schwager bzw. seine Schwester.[1]  Er wurde 1882 in Zeitz geboren, war beruflich in Hamburg als Maschienenbauer tätig und gehörte seit 1930 der KPD an.[2] Hugo Hirt gehörte mit zu den ersten Quickbornern, die 1933 in ein Konzentrationslager verschleppt wurden. Grund der Verhaftung war eine Denunziation aus seinem engsten Familien- und Nachbarskreis: Anlässlich monatelanger Mietrückstände kündigte Hugo Hirt das Mietverhältnis mit seiner Schwester bzw. seinem Schwager zum 1. Oktober 1933 auf. Die von der Wohnungskündigung betroffene Schwester revanchierten sich bei ihrem Bruder, indem sie dem Nationalsozialisten Wilhelm Hoop darüber informierte, dass ihr Bruder in einem Gespräch mit einem Nachbarn gesagt habe: „Wenn die Kommune ans Ruder kommt, ist Statthalter Kaufmann der Erste, der aufgehängt wird.[3] Hoop meldete dieses dem Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde, Wilhelm Kolz, der daraufhin Hugo Hirt wegen den abfälligen Äußerungen über den Hamburger Reichsstathalter Karl Kaufmann und die NSDAP am 16. Oktober 1933 verhaften und in das KZ Kuhlen einliefern lies.[4]

Die Konzentrationslager dienten nach der Machtübernahme zunächst der Inhaftierung von politischen Gegnern. Diese Lager waren schon alleine daher „erforderlich“, da die Anzahl der inhaftierten „Schutzhäftlinge“ in einem nicht erwarteten Umfang zunahm: Bis Mitte März 1933 waren im Deutschen Reich 7.500 Kommunisten inhaftiert,[5] Ende Juli 1933 befanden sich bereits 26.789 Personen in „Schutzhaft“.[6] Die Nationalsozialisten begannen daher damit, gesonderte provisorische „wilde Konzentrationslager“ einzurichten, in denen Personen auf bloßem Verdacht ohne Einschaltung der Jusitz inhaftiert werden konnten und hier der Willkür der SA ausgesetzt waren.[7] In Schleswig-Holstein befand sich das erste KZ in Glückstadt im Kreis Steinburg, das auf Drängen des Altonaer Polizeipräsidenten und einzelner Bürgermeister am 9. April 1933 eingerichtet wurde. Bis Februar 1934 wurden hier „Schutzhäftlinge“ aus dem gesamten Regierungsbezirk eingeliefert.[8] Ein weiteres KZ entstand am 18. Juli 1933 in Kuhlen bei Rickling in der Nähe von Bad Segeberg.[9] Über dieses unterrichtete der Landrat des Kreises Segeberg seinen Kollegen in Pinneberg, der die Information an die ihm unterstehenden Ortspolizeibehörden weitergab. Am 5. August 1933 erhielt somit auch der Quickborner Amtsvorsteher eine Abschrift des Schreibens, in dem der Segeberger Landrat mitteilte: „Im Kreis Segeberg habe ich in Rickling (Kuhlen) ein Konzentrationslager für solche Personen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit in ihrer persönlichen Freiheit – Schutzhäftlinge – beschränkt werden, eingerichtet. Das Lager umfaßt 62 Plätze[10]... Die Kosten für den Aufenthalt betragen 1,50 RM … Die Schutzhäftlinge aus dem Kreis Segeberg werden sämtlich dort untergebracht. Ich bitte auch die Häftlinge aus dem dortigen Kreise nach vorausgegangenem Anruf bei dem Kommando des Lagers nach Möglichkeit dorthin zu überweisen.[11]

Das Konzentrationslager befand sich auf dem Gut Kuhlen der Inneren Mission. Es bestand aus einer Baracke, die mit Maschendraht umzäumt war. Die Häftlinge wurden von bewaffneten SA- und SS-Mitgliedern bewacht und mussten im Moor Wassergräben ausheben.[12] In der Zeit bis zur Auflösung dieses Konzentrationslagers am 27. Oktober 1933 waren in Kuhlen mindestens 191 Menschen, davon 44 aus dem Kreis Pinneberg, inhaftiert.[13] Aus dem Amtsbezirk Quickborn kamen neben Hugo Hirt noch vier andere Häftlinge.[14] Hirt wurde nach der Schließung des KZ Kuhlen in das KZ Glückstadt überführt, in dem er bis zum 5. Dezember 1933 verblieb. An seinem Entlassungstag hatte er die folgende Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen: „Ich erkläre hiermit, daß ich mich künftig jeder staatsfeindlichen politischen Betätigung enthalten werde. Ich werde mich nach meiner Entlassung sofort bei dem Amtsvorsteher in Quickborn melden und mich dessen Anordnung fügen. Ansprüche wegen der gegen mich verhängten Schutzhaft werde ich nicht erheben. Ich bin belehrt, daß ich mich nötigenfalls wieder in Schutzhaft begeben kann.[15]

Nach der KZ-Haft hatte sich Hugo Hirt am 4. Januar 1933 noch vor dem schleswig-holsteinischen Sondergericht in Altona wegen Vergehens gegen das „Heimtückegesetz“ zu verantworten. Als Zeugen geladen waren der Nationalsozialist Hoop, der Schwager, die Schwester sowie der Nachbar, der die abfälligen Äußerungen vernommen haben will.[16] Das Gericht sprach Hugo Hirt im Prozess dennoch frei, da, so das Pinneberger Tageblatt, „der einzige Zeuge, der zu H’s Ungunsten aussagte, mit dem Angeklagten seit längerer Zeit verfeindet ist und vielleicht unbewußt seine Aussage doch wohl etwas gefärbt haben kann. Unter diesen Umständen hielt es das Gericht für bedenklich, allein auf die Aussage dieses Mannes eine Verurteilung zu stützen.[17] Hugo Hirt war insgesamt 50 Tage im Konzentrationslager, ohne dass ihm schließlich eine konkrete Schuld nachgewiesen werden konnte.

1936 verzog Hirt nach Hamburg-Altona und arbeitete in Ottensen als Werkzeugmacher. Nach dem Krieg stellte er gegenüber dem Amt für Wiedergutmachung der Sozialbehörde Hamburg für seine erlittene KZ-Haft einen Haftentschädigungsantrag. In dieses Verfahren schaltete sich auch der für die Inhaftierung verantwortliche und inzwischen abgesetzte Amtsvorsteher Wilhelm Kolz ein. Er bezweifelte in einem Schreiben die Haftentschädigungsgründe, die Hugo Hirt vortrug. So merkte er an: „In Schl.-Holstein hatten wir kein ‚Kz.‘“ Des Weiteren äußerte Kolz: „Im übrigen war die Beleidigung herausgestellter Persönlichkeiten im 3. Reich genau so unter Strafe gestellt, wie heute. Wer z.B. den Bonner Regierungs-Chef oder den Bgmst. Herrn Brauer beleidigt, hat ebenfalls Gefängnisstrafe zu gewärtigen.[18] Da Hirt den Haftentschädigungsantrag nicht fristgerecht einreichte, wurde dieser abgewiesen.  Von der im Haftentschädigungsgesetz aufgeführten Möglichkeit bzgl. der Antragfrist eine Nachsicht zu gewähren, machte das Amt für Wiedergutmachung keinen Gebrauch. Allgemein wurde der politische Charakter der damaligen Verhaftung von der Behörde in Zweifel gezogen. In dem Ablehnungsbescheid verkündete das Wiedergutmachungsamt u.a.: „Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sogar das Sondergericht, das sicherlich keine übermässige Neigung gehabt hat, den Angeklagten freizusprechen, sich nicht hat davon überzeugen können, dass er tatsächlich die ihm zur Last gelegten Äusserung gemacht hat. Würde dieses aber nicht der Fall gewesen sein, wäre er nicht wegen seiner politischen Überzeugung, sondern aus falschen Verdacht in Haft gekommen. Hierfür wird jedoch eine Haftentschädigung nicht zugesprochen.[19]

Hugo Hirt starb 1955 mit 73 Jahren in Hamburg.[20]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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