Das KZ-Außenlager Langenhorn war eines der über 80 Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Das Hauptlager in Neuengamme wurde im Dezember 1938 auf dem Gelände und in den Gebäuden einer ehemaligen Ziegelei errichtet, um für die nationalsozialistische Stadtplanungen das Baumaterial anfertigen zu lassen. Vorerst diente es noch als Nebenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen, bis das KZ Neuengamme auf Wunsch Himmlers im Januar 1940 ein eigenständiges Lager wurde.
Mit zunehmender Kriegsdauer und dem damit verbundenen Mangel an Arbeitskräften infolge von Einberufungen, kam es 1942 zu einer grundlegenden Neuorientierung des Arbeitseinsatzes von KZ-Häftlingen. Nun sollten sie in einem möglichst großen Umfang in der Kriegswirtschaft arbeiten. Für diesen Zweck wurden im norddeutschen Raum ab August 1942 Außenlager eingerichtet. Da der Mangel an Arbeitskräften nicht beseitigt werden konnte, entschlossen sich die nationalsozialistischen Kriegswirtschaftsplaner auch jüdische KZ-Gefangene, die zuvor zur “Vernichtung” bestimmt und nach Auschwitz und anderen Lagern in den besetzten Gebieten deportiert wurden, in die Konzentrationslager im Reich zu bringen.
Dieses betraf auch mehrere hundert jüdische Frauen, die in das Außenlager Langenhorn kamen. Bis zu 750 Frauen waren hier von September 1944 bis Mai 1945 inhaftiert, um vorwiegend bei den Rüstungsbetrieben Hanseatische Kettenwerke (HAK) und Deutsche Messapparate GmbH (Messap) die deutsche Kriegsproduktion am Laufen zu halten.[2]
Ein wesentliches Ziel des nationalsozialistischen Herrschaftssystems war, die “Schmach von Versaille” zu beseitigen und Deutschland militärisch wieder aufzurüsten. Da aber nach dem Versailler Vertrag von 1919 die Produktion von Waffen, Munition und Kriegsmaterial aller Art nur in Fabriken und Werkstätten stattfinden durften, deren Lage den Regierungen der alliierten und assoziierten Hauptmächten zur Kenntnisnahme mitgeteilt und von Ihnen genehmigt worden war, konnte eine Wiederaufrüstung Deutschlands nur auf heimlichen Wegen geschehen. Bis zur Wiederherstellung der Wehrhoheit im Jahre 1936 wurden daher die Ansiedlungen von Rüstungswerken mit besonderer Vertraulichkeit behandelt. Finanziert wurden diese “schwarzen”, d.h. nicht zugelassenen Rüstungsproduktionsstätten aus einem Sonderfonds des Heereswaffenamtes (HWA), der nicht der Kontrolle des Rechnungshofes unterlag.[3]
Auf der Suche nach einem geeigneten Rüstungsstandort im norddeutschen Raum und nach der Besichtigung verschiedener anderer Grundstücke hatten sich Vertreter des Reichswehrministeriums (RWM), der Rüstungsindustrie und der Hamburger Behörden schließlich in Hamburgs Norden für ein Gebiet westlich der Langenhorner Chaussee entschieden. Dieses Areal konnte alle Bedingungen erfüllen, die ein Rüstungsbetrieb brauchte:
• es war eine geeignete Grundstücksgröße vorhanden,
• es gab einen Gleisanschluss um Rohstoffe und Fertigprodukte transportieren zu können,
• es gab ebenso einen Anschluss an den öffentliche Nahverkehr für die Beförderung von Arbeitskräften,
• das Gelände hatte ein für solche Betriebe benötigten festgewachsenen Geestboden und
• es lag außerhalb von Wohngebieten.[4]
Im Januar 1935 kam es dann zum Verkauf eines 32.150 qm großen Grundstückes am Weg Nr. 4, der heutigen Essener Straße. Der ursprüngliche Besitzer des Areals war die Staatskrankenanstalt Langenhorn, die diese Fläche überwiegend für landwirtschaftliche Zwecke genutzt hatte.[5]
Wenige Monate nach dem Kauf des Grundstücks wurde im Frühsommer 1935 mit der Errichtung der Hanseatischen Kettenwerke (HAK) begonnen. Die HAK waren eine Tochtergesellschaft der Metallwarenfabrik Pötz & Sand, dessen Stammwerk 1876 gegründet und seinen Sitz in Mohnheim bei Düsseldorf hatte. Dieses Werk produzierte alle Arten von Ketten: Gliederketten für Handtaschen und WC-Spülungen, Boa-Ketten für Pelzkragen aber auch Haken, Ösen und Augen für die Bekleidungsindustrie. Was diese Metallwarenfabrik für die Rüstung interessant machte, war die Produktion von Munitionshülsen in der Zeit des Ersten Weltkrieges.[6]
Auf der Suche nach einem geeigneten Namen für das Hamburger Zweigwerk entschloss man sich diesen in Anlehnung an die Kettenproduktion des Stammwerkes zu wählen. Ketten wurden hier jedoch nicht hergestellt; vielmehr ging es darum, an die Produktionserfahrungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges wieder anzuknüpfen und Geschosshülsen herzustellen. Der Name Hanseatische Kettenwerke diente daher eher zur Verschleierung der eigentlichen Produktion.
Die Firma Pötz & Sand war nicht allein an der Errichtung der Hanseatischen Ketten-werke beteiligt. Als Käufer des Grundstücks trat die “Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie” (Montan) auf. Die Montan wurde 1916 gegründet. 1934 übernahm das Heereswaffenamt (HWA), das für die Entwicklung, Erprobung, Beschaffung und Bereitstellung von Waffen, Munition und Kriegsgerät zuständig war und dem Oberkommando des Heeres (OKH) unterstand, alle Gesellschaftsanteile. Nach den Plänen des HWA sollte die Rüstungsindustrie nicht in staatlicher, sondern in privatwirtschaftlicher Form betrieben werden, wobei aber das HWA eine Kontrolle über die Werke behalten sollte. Von dieser halbstaatlichen Rüs-tungsproduktion versprach sich die Reichswehr eine günstigere Herstellung von Kriegsmaterial und eine Entlastung des Wehretats. Zudem wollte man aufgrund der Erfahrung des Ersten Weltkrieges überhöhte Rüstungsgewinne für die Privatindustrie ausschalten.[7] Der Montan kam in diesem Zusammenhang die Funktion zu, als Zwischeninstanz zwischen dem Staat und der Privatindustrie zu wirken und für die Errichtung und die Organisation der Rüstungsproduktion zu sorgen, wofür die Reichswehr aus Geheimhaltungsgründen nicht nach außen in Erscheinung treten wollte. Zeitweilig war die Montan an 120 Rüstungsbetrieben beteiligt.
Nach dem “Montan-System” sollte der Bau neuer Rüstungsanlagen durch ein Unter-nehmen der Privatindustrie, der Muttergesellschaft, im Auftrag und auf Rechnung des Reiches erfolgen. Eine neu gegründete Tochtergesellschaft sollte in privat-wirtschaftlicher Form durch Verpachtung für den Betrieb und die Instandhaltung zuständig sein. Die kaufmännische und gesellschaftliche Kontrolle der Betreiberfirma sollte durch die Montan erfolgen.[8] Im Falle der Kettenwerke in Langenhorn wurde ein Mantelvertrag zwischen dem OKH und der Firma Pötz & Sand als Muttergesellschaft über den Bau des Werkes abgeschlossen. Hierfür gründete Pötz & Sand die Tochter-gesellschaft Hanseatische Kettenwerke, die als Betreiberfirma auftrat und einen Pacht-vertrag mit der Montan abschloss.
Um eine reibungslose Aufnahme der Produktion zu gewährleisten und um örtliche Arbeitskräfte einarbeiten zu können, wurden bei den Kettenwerken Werksmeister aus dem Mohnheimer Stammwerk eingesetzt. Für diese errichtete die HAK 1936 eine Siedlung in der Nähe des Werkes an der Langenhorner Chaussee. Charakteristisch für diese Häuser waren ihre Strohdächer, die ganz bewusst errichtet wurden, um hier eine bäuerliche Siedlung zu präsentieren und damit von der eigentlichen Funktion des Werkes abzulenken. Neben diesen Häusern für die Werksmeister und deren Familien aus Mohnheim errichtete die HAK ein Jahr später für einheimische Facharbeiter in untergeordneten Positionen weitere Werkswohnungen, die hingegen in einigem Abstand im angrenzenden Garstedt errichtet wurden. Auch der Inhaber der Metallwarenfabrik Pötz & Sand, Clemens Pötz[9], ließ sich in Langenhorn ein Haus bauen: Sein “Charlottenhof” wurde 1937 errichtet und besaß ein 7500 qm großes parkähnliches Grundstück.[10]
Das Hanseatische Kettenwerk hatte in der Hochphase des Krieges ca. 4000 Beschäftigte. Vor dem Krieg arbeiteten 1635 Menschen in diesem Werk.[11] Aufgrund der guten Arbeitsbedingungen und der Sozialeinrichtungen erhielt das Werk die Auszeichnung “Nationalsozialistischer Musterbetrieb”. Die Arbeitsräume waren weiträumig und freundlich gestaltet, es gab eine Sozialabteilung (“Werksfürsorge”), eine eigene Werksküche, eine Bibliothek und einen Kindergarten.[12] Arbeiter mit besonders guten Arbeitsleistungen und “treuer Pflichterfüllung” wurden mit Verdienstkreuzen ausgezeichnet. Der Betrieb war streng nationalsozialistisch organisiert. Der eigentliche Besitzer, Clemens Pötz, hatte quasi keinen Einfluss mehr. Vielmehr wurden die Arbeitsabläufe von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) bzw. von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) organisiert.[13] Als “Betriebsführer” wurde 1941 Karl Sieber[14] vom Reichswehramt eingesetzt.
Sechs Monate nach dem Kauf des Grundstücks für die Hanseatischen Kettenwerke wurde südlich davon am Garstedter Weg, heute ist dieses die Straße Tarpen, ein 3,5 ha großes Gelände für die Messap gekauft. Als Käufer trat wiederum die Montan auf.[15]
Die Mesap wurde 1935 in Kooperation der Firmen Junghans und Montan gegründet. 40% der Gewinne aus diesem Unternehmen gingen an die Montan und 60% an Junghans.[16] Die Firma Messap hatte noch andere Zweigstellen, darunter eine Produktionsstätte auf dem Gelände des Konzentrationslagers Neuengamme.
Das Unternehmen Junghans mit seinem Stammwerk in Schramberg im Schwarzwald hatte schon damals Uhren hergestellt. Ähnlich wie bei der Firma Pötz & Sand so hatte auch die Firma Junghans Erfahrung in der Rüstungsproduktion. Während des Ersten Weltkrieges produzierte Junghans Granatzünder. Auch nach dem Krieg beteiligte sich Junghans weiterhin an der Rüstungsproduktion, trotz der Auflagen des Versailler Vertrages. Hierfür nutzten sie ihr Zweitwerk in den Niederlanden, wo sie an der Weiterentwicklung eines Fliehkraftzünders arbeiteten. Ab 1934 stellt das Unternehmen dann wieder in Deutschland (Zeit-) Zünder her.[17] Ihre Erfahrung in der Rüstungsproduktion nutzte das Unternehmen in dem Langenhorner Messap-Werk für die Herstellung von Zündmechanismen.
Auch für die aus dem schwarzwäldischen Schramberg kommenden Werksmeister für die Messap-Werke wurde 1938/39 eine Siedlung in der Nähe des Werkes errichtet. Da-mit diese sich hier schnell heimisch fühlen konnten, ähnelten die Gebäude den Schwarzwaldhäusern: Sie besaßen eine sichtbare dunkle Holzkonstruktion und Holzverschalungen und hatten weit heruntergezogene Dächer und Holzklappläden.[18] Neben dieser “Tannenkoppel-Siedlung” wurden noch für die einfachen Arbeiter der Messap- und der Kettenwerke Wohnstätten errichtet, die hingegen nicht von den Rüstungswerken selbst, sondern von der staatlichen “Neuen Heimat – Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft” der DAF/Gau Hamburg getragen wurden. Auch diese Siedlung, ähnelte vom Bau den Schwarzwaldhäusern.[19]
Das Langenhorner Messap-Werk hatte in der Hochphase des Krieges ca. 4500 Beschäftigte.[20] Es wirkte in einer Arbeitsteilung mit den Hanseatischen Kettenwerken zusam-men: Die Kettenwerke produzierten Geschosshülsen und die Messap-Werke die dazu erforderlichen Zündmechanismen. Vollständig hergestellt wurde die Munition in Krümmel bei Geesthacht in der Dynamitfabrik Alfred Nobel AG, die die Munition mit Pulver füllte und fertigstellte.[21] Die Hanseatischen Kettenwerke und die Messap gehörten neben den Werften zu Hamburgs größten Rüstungsbetrieben.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lief die Produktion bei den Hanseatischen Ketten-werken zunächst normal weiter. Anfang 1940, während der Vorbereitung des Überfalls auf Norwegen und Dänemark, begann sich dieses zu ändern. Es kam zu einer erheblichen Produktionssteigerung. Um diese Produktionssteigerung zu gewährleisten, bedurfte es einer größeren Zahl von Arbeitskräften, zumal viele Arbeiter durch Einberufung und Gestellungsbefehle ohnehin abgezogen wurden. Vermehrt mussten Dienstverpflichtete in den Werken arbeiten. Zusätzlich wurden Mädchen, die beim Reichsarbeitsdienst (RAD) ihr soziales Pflichtjahr absolvierten[22], und Gefangene aus den Gefängnissen Glasmoor[23] und Fuhlsbüttel[24] in den Werken eingesetzt.
Neben diesen wurden freiwillige Arbeiter aus den besetzten oder befreundeten Ländern in diesen Rüstungsbetrieben beschäftigt. Diese kamen vor allem aus Dänemark, Frank-reich, Holland, Belgien und Kroatien.[25] Sie lebten entweder in den neu errichteten Lagern der Betriebe oder z.T. auch in deutschen Familien. Die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser „Fremdarbeiter“ waren verhältnismäßig gut. Sie konnten sich nach der Arbeit auch außerhalb der Fremdarbeiterlager frei bewegen, wurden nach Tarif bezahlt und hatten einen Anspruch auf Urlaub, den sie in ihrer Heimat verbringen konnten. Für die Betreuung dieser „Fremdarbeiter“ war die Sozialabteilung des Werkes zuständig. Sie regelte den Urlaub, den Arbeitseinsatz und die Freizeitgestaltung.[26]
Im Unterschied zu ihnen hatten die Anfang 1941 eintreffenden Menschen, die aus der Sowjetunion verschleppt wurden, weitaus schlechtere Bedingungen. Für sie hatte das Kettenwerk und die Messap, wie andere Hamburger Großbetriebe, im Herbst 1941 ein gemeinsames Ostarbeiterlager eingerichtet, das von einem Drahtzaun umgeben war und von der Werkspolizei und Wehrmachtsangehörigen bewacht wurde. Dieses Lager wurde zuerst für 368 männliche und 420 weibliche russische Arbeitskräfte geplant, dann aber auf 600 männliche und 1300 weibliche Zwangsarbeiterinnen erweitert. Ob diese Zahlen jedoch erreicht wurden, lässt sich nicht mehr feststellen.[27]
Angefordert wurden diese Arbeitskräfte von den Großbetrieben selbst, ohne das diese finanziell für die Errichtung und die Unterhaltung der Lager aufkommen mussten. Für die politische Überwachung war die Gestapoleitstelle Hamburg zuständig.[28]
Trotzdem die Ostarbeiter nicht dieselben “Freiheiten” besaßen, wie die „Fremdarbeiter“ aus den zumeist westlichen Ländern, soll für sie mehr getan worden sein, als vorgeschrieben war. So hatten die Ostarbeiter Betten anstelle von Pritschen, jeder hatte einen eigenen Spind, es gab ein Gesellschaftshaus, es soll besondere Unterkünfte für Verheiratete gegeben haben und es waren eine Handwerkerstube, eine Friseurstube, ein Waschraum, eine Lazarettstube, ein Kindergarten und eine Säuglingsstation vorhanden.[29]
Mit der Proklamation des “totalen Krieges” reichten aber auch diese Arbeitskräfte nicht mehr aus. Am 22. Juli 1944 wurde auf einer Sitzung des Hamburger Rüstungskommandos die Einsatzmöglichkeiten von KZ-Häftlingen festgelegt und insgesamt neun Betrieben, darunter den HAK und der Messap jeweils 500 bis 600 Häftlinge in Aussicht gestellt.[30]
Im September 1944 wurde in Langenhorn, direkt im Süden an das bestehende Ostarbeiterlager am Weg Nr. 4 (heute Essener Straße) angrenzend, das Frauenaußenlager Langenhorn des Konzentrationslagers Neuengamme eingerichtet.[31]
Ein Zeitzeuge und damaliger Angestellter des Hanseatischen Kettenwerkes schilderte das Lager folgendermaßen: „Das Lager ist erst sehr spät eingerichtet worden. Man hat das Lager auf der einen Seite ergänzt. Zwei Baracken sind hinzugekommen. Dann ist das Lager mit Frauen belegt worden […] Da waren Jüdinnen untergebracht. Hoher Stacheldraht war da herum.”[32]
Der erste Transport von Frauen, der in das neu zu gründende KZ-Außenlager Langenhorn transportiert wurde, wurde vorher im Konzentrationslager Stutthof selektiert. Es wurde eine Gruppe von 501 jüdischen Frauen verschiedener europäischer Nationalitäten aufgrund ihrer relativ guten Verfassung als jung und arbeitseinsatzsfähig ausgesondert. Sie waren für den Arbeitseinsatz in der Munitionsfabrik der Hamburger Kettenwerke und der Messap bestimmt.
Im KZ-Stutthof waren die meisten Frauen, die dann Richtung Hamburg-Langenhorn transportiert wurden, zuvor nur wenige Wochen gewesen. Sie waren aus Konzentrationslagern im Baltikum dorthin transportiert worden.[33]
Vier bis fünf Monate nach dem erstem Transport aus dem KZ-Stutthof kam ein weiterer Transport – vermutlich aus dem Frauen-KZ Ravensbrück – von ca. 250 jüdischen Frauen aus Polen und Ungarn sowie Sinti und Roma und deutschen Frauen, die als „Kriminelle“ inhaftiert waren, in das KZ-Außenlager Langenhorn.
Insgesamt waren in dem Lager somit ca. 750 Frauen verschiedener europäischer Nationalitäten (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Litauen, Deutsches Reich und Österreich) sowie Sinti und Roma untergebracht.[34]
Das Lager war ein durch elektrischen Draht umzäuntes Areal, das neben den Unterkünften für die SS, der Küchenbaracke und dem Krankenrevier zwei größere Häftlingsbaracken enthielt.
Als die erste Gruppe von 501 Frauen ankam, standen bereits die zwei neu errichteten Baracken. Das Lager war aber noch nicht mit Stacheldraht umgeben. Die Pfosten für den Zaun waren schon im Boden eingelassen, ein Teil der Frauen musste aber in den ersten Wochen selber den Stacheldraht anbringen.
In jeder Baracke gab es mehrere Zimmer. In jedem Zimmer gab es dreistöckige Pritschen mit Strohmatten, für insgesamt 24 Frauen. In der Mitte stand ein langer hölzener Tisch mit Bänken auf beiden Seiten und an der Seite des Raumes gab es einen kleinen Ofen.[35] Verglichen mit vorherigen Unterkünften beschreibt ein ehemaliger Häftling dies als “Himmel auf Erden”.[36] In jeder Baracke waren zu Beginn ca. 250 Häftlinge unter-gebracht, später kamen mit dem zweiten Transport noch 250 Häftlinge hinzu, so dass die Baracken dann stärker überbelegt waren.
Die Baracke der SS-Leute lag direkt neben dem Lagereingang. Vermutlich hatte sie auch einen Ausgang auf den Weg außerhalb des Lagers.
Ein Teil der Häftlinge trug Zivilkleidung, auf deren Rückseite mit Phosphor ein großes X und auf deren Vorderseite der Judenstern gemalt war. Wie sie später feststellten, hätte die Kleidung und das Schuhwerk erheblich besser sein müssen, da die Munitionsfabrik Kleidung an das Lager lieferte, die Häftlinge (zumindest unter dem ersten Lagerführer) jedoch nicht in den Genuss dieser Lieferungen kamen.[37]
In der Fabrik gab es eine Brause, mit deren Hilfe sich die Häftlinge waschen konnten. In der Küche erhielten die Frauen gelegentlich warmes Wasser, um ihre Kleidung zu waschen.
Einige Wirtschaftsunternehmen trugen von sich aus zur Verbesserung von Unterbringung und Versorgung bei, um die Arbeitsfähigkeit der Häftlinge zu erhalten. Im KZ-Außenlager Langenhorn war nach Berichten mehrerer KZ-Häftlinge die Verpflegung etwas besser als in vielen anderen Außenlagern.[38] Unter dem ersten Lagerführer sollen allerdings Lebensmittel, die die Munitionsfabrik für das Lager zur Verfügung stellte, unterschlagen worden sein. Trotzdem klagten die Häftlinge natürlich über Hunger und Mangelernährung. Über genaue Essensrationen gibt es keine Angaben.
Mittags wurde das Essen (Suppe, manchmal mit Kartoffeln darin) von einigen Häftlingen in die Fabrik gebracht. Sie mussten es auf einem Pferdewagen ziehen. Dazu wurden Häftlinge eingesetzt, die gerade aus dem Krankenrevier entlassen waren und noch nicht wieder in die Fabrik zur Arbeit sollten.
Im Lager gab es ein Krankenrevier, in dem zwei Häftlinge, gelernte Krankenschwestern, sowie eine jüdische Ärztin aus der Tschechoslowakei “beschäftigt” waren. Frau Ursula Ruth H., eine der beiden Krankenschwestern, verließ das Lager zeitweilig und fuhr u.a. unter Aufsicht von SS-Frauen in die Stadt, um bei Apotheken Medikamente für das Revier zu holen.[39]
Im Krankenrevier waren häufig Unglücksfälle aus der Fabrik, Erkältungen, Grippe, Lungenentzündung, aber auch Epidemien zu “behandeln”. Mehrere Frauen erkrankten an Thypus, Ruhr und Tuberkulose. Arbeitsunfähige und Schwerkranke wurden nach Bergen-Belsen geschickt, wo vermutlich viele verstarben.
Zwei Frauen, die schwanger waren, wurden auch nach Bergen-Belsen gebracht. Eine Häftlingsfrau berichtet, dass sie sie dort kurz vor Kriegsende wiedergetroffen habe. Ein Kind überlebte nicht, das andere Kind sah sie nach dem Krieg wieder: Es sah mit drei Jahren wie ein einjähriges Kind aus.[40]
Im Stammlager Neuengamme gab es einen Zahnarzt, zu dem einige Frauen gebracht wurden. Eine Frau berichtet, dass sie eine Zahnentzündung hatte, die wohl im Zusammenhang mit zuvor erhaltenen Schlägen in das Gesicht standen. Sie wurde unter Aufsicht einer SS-Frau nach Neuengamme gebracht, wo ihr vom Zahnarzt sieben Zähne gezogen wurden, obwohl nur ein Zahn betroffen gewesen war.[41]
An der Spitze des Lagers stand der Lagerführer. Insgesamt gab es drei Lagerführer[42] über die sehr Unterschiedliches berichtet wurde. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Haltung der Kommando- bzw. Lagerführer für die Häftlinge besonders wichtig war: Wenn sie der Auffassung waren, dass effizienter Arbeitseinsatz wichtiger war als die repressive Behandlung der KZ-Gefangenen, gab dies den Inhaftierten eine größere Überlebenschance.
Der erste und letzte Lagerführer gehörten der SS an und werden von den ehemaligen Häftlingen auch als typische SS-Männer beschrieben. Sie schlugen die Frauen, behandelten sie brutal und quälten sie auf unterschiedliche Weise. Sie waren beide vermutlich Hauptscharführer. Die echten Namen der Lagerführer waren den Häftlingen nicht bekannt.
Über den ersten Lagerführer berichten mehrere Frauen, dass er ein Sadist war und sie ihn auch den „Meschuggen” oder den „Verrückten” genannt hatten.[43] Er hatte sichtbare Freude am Quälen. Es war ein jüngerer SS-Mann von ca. 30 Jahren, groß gewachsen, sehr ordentlich gekleidet, der sich immer sehr gerade gehalten habe. Stundenlang hielt er die Frauen vor und nach den 12 Stunden schwerer Arbeit auf dem Appellplatz, auch im Winter. Frau Rifka M. berichtete: „Er quälte uns in solcher Weise, dass er uns, als wir endlich im Block waren und in den Betten, wieder auf den Appellplatz trieb und dort zum Marsch mit Gymnastik zwang.”[44]
Mehrere Frauen erzählten, dass er immer einen Stock bei sich hatte und damit auf die Häftlinge einschlug, wann immer es ihm gefiel. Frau Esther K. sagte aus: „Er trieb uns bis zur Erschöpfung und hatte Spaß an allerlei Quälereien. Ich bin überzeugt, dass der erste Lagerführer viele von uns durch Erschöpfung und Essensentzug getötet hätte, wäre er noch länger in dieser Position verblieben.”[45]
Da die Frauen kaum eine Minute Ruhe im Lager hatten und so sehr erschöpft waren, dass sie bei der Arbeit nicht aufpassen konnten, passierten fast jeden Tag Arbeitsunfälle.
Der Direktor der Fabrik wurde darauf aufmerksam gemacht, befragte die Häftlinge über die Ursachen und diese beklagten sich über den Lagerführer. Auf Initiative der Direktion soll daraufhin der Lagerführer versetzt worden sein. Außerdem kam heraus, dass er Nahrungsmittel und Kleidung sowie Schuhwerk, das die Hanseatischen Kettenwerke ans Lager lieferten, nicht an die Häftlinge weitergegeben haben soll.
Kurz vor Weihnachten 1944 kam daher ein anderer Lagerführer. Dieser zweite Lagerführer wird von allen im Vergleich zum Vorherigen als gut beschrieben: ”Er war besser. Der Unterschied zwischen den beiden war so groß, dass der zweite im Vergleich zum ersten als gut erschien.”[46]“Man konnte im Vergleich zum vorigen Lagerführer fast sagen, dass er wie ein Vater zu uns war. […] Ich glaube, er war von der Luftwaffe. Unter diesem Mann, dessen Namen ich auch nicht kenne, wurde das Essen etwas besser und insbesondere ließ er uns auch ausruhen.”[47] Ursula Ruth H. sagte aus, dass er nicht der SS und auch nicht der NSDAP angehört habe und dem Nazi-Regime feindlich gesinnt gewesen sei, was er auch nicht verbergen konnte.[48] Vermutlich wurde er aufgrund dieser Einstellung und der im Vergleich “guten” Behandlung der Häftlinge von den weiblichen Aufseherinnen angezeigt und strafversetzt.
Zwei Frauen berichten, dass sie ihm nach dem Krieg ihre Dankbarkeit erwiesen haben. Sie halfen ihm der Haft zu entrinnen und unterstützten ihn durch einen Brief ans briti-sche Hauptquartier, in dem sie um seine Entlassung baten.[49]
Der im Januar oder Februar eingesetzte dritte Lagerführer gehörte, wie oben schon erwähnt, der SS an. Auch er wird als schlechter und verrückter Mann beschrieben. Minna A. berichtete: “Er muss ein sehr kranker Mann gewesen sein. Er war ein Sadist. Er kam von der russischen Front, er war wohl zu nichts anderem zu gebrauchen.”[50] Chaja T. führte aus: “Er [der zweite Lagerführer, Anm.d.Verf.] wurde durch einen Nazi abgelöst. Für diesen bedeuteten das Gesetz und der Führer mehr als alles andere.”[51]
Desweiteren gab es als Bewachung im Lager SS-Aufseherinnen. Es wird von ca. 20 SS-Frauen gesprochen, andere reden von drei bis vier im Lager befindlichen SS-Frauen. Vermutlich wechselten sie sich in ihrem “Dienst” ab. Es waren junge Frauen, so um die 25 Jahre. Auch die SS-Frauen werden von allen ehemaligen Häftlingen als sehr grausam beschrieben, die die Häftlingsfrauen häufig quälten und Freude daran hatten, wenn sich diese bei der Arbeit verletzten. An der Spitze stand eine SS-Oberaufseherin, die ein gro-ße Rolle im Lager spielte: Sie war die rechte Hand des Lagerführers. Die Namen der SS-Aufseherinnen kannten die Häftlinge nicht. Stattdessen gaben sie ihnen Spitznamen je nach Aussehen oder Eigenschaften, wie z.B. “Flocke” oder “Kaczka” (= Ente). Die SS-Frauen wurden allgemein “Blitzfrauen” oder auch jüdisch “Blitzkes” genannt. Neben der Bewachung im Lager begleiteten die SS-Frauen die Häftlinge auch zur Arbeit und blie-ben die ganze Zeit zur Bewachung dort.
Außer dem Lagerführer und den SS-Frauen gab es auch noch SS-Männer in grünen Uni-formen im Lager. Vermutlich bewachten sie als Posten das Lager von außen und führten zudem die Häftlinge zusammen mit den SS-Frauen zur Arbeit. Eine andere Häftlings-frau sagte dazu jedoch aus: “Mir scheint, dass das Lager von draußen nicht bewacht war, denn der Zaun war ja elektrisch geladen. Es bestand eine Innenwache aus SS-Leuten.”[52]
Sicher ist jedoch, dass es SS-Männer in der Bewachung des Vernehmungsniederschrift: Mira B., Israel 1971, S.1.Langenhorn gab. Die genaue Anzahl und ihre Funktion lässt sich aus den vorhandenen Aussagen nicht genau bestimmen.
Vor der Arbeit mussten die Frauen ihre Stube saubermachen und die Betten machen. Die SS-Frauen kontrollierten, ob alles perfekt war. Wenn etwas nicht so war, wie sie es wollten, mussten die Häftlinge alles erneut saubermachen.
In den Munitionsfabriken wurde in Tages- und Nachtschicht gearbeitet, je 12 Stunden Arbeit mit einer halben Stunde Mittagspause. Vor und nach der Arbeit mussten die Frau-en, zumindest unter dem ersten Lagerführer, immer noch lange erniedrigende Appelle über sich ergehen lassen.
Neben der Arbeit in der Munitionsfabrik mussten auch andere Arbeiten ausgeführt wer-den, z.B. Gräben ausgehoben und Feldarbeit verrichtet werden.
Aus dem Krankenrevier in die sogenannte „Schonung“ entlassene Häftlinge mussten in der Küche helfen, den Hof des Lagers kehren und andere kleine Arbeiten ausführen. Häftlingsfrauen, welche in der „Schonung” waren, bekamen vom ersten Lagerführer Schläge.
Sonntags mussten die Frauen nicht in der Fabrik arbeiten, oft mussten sie jedoch andere Arbeiten verrichten. Zudem war dies der einzige Tag, an dem die Häftlingsfrauen ihre persönlichen Angelegenheiten erledigen konnten, die oft mit großen Schwierigkeiten verbunden waren. Z.B. besaßen die Häftlinge meist nur die Kleidungsstücke, die sie am Leibe trugen. Sonntags wuschen sie die Kleidung, wenn sie Glück hatten mit warmen Wasser aus der Küche. Das Wäschetrocknen war besonders im Winter ein Problem; sie hüllten sich während der Zeit in ihre Schlafdecken.
Die einzelnen Schichten marschierten unter Bewachung von SS-Aufseherinnen und auch von männlichen SS-Leuten in die Munitionsfabrik. In den Berichten der ehemali-gen Häftlinge wird eigentlich immer nur allgemein über Arbeit in der Fabrik bzw. Munitionsfabrik gesprochen. Die Hanseatischen Kettenwerke werden auch einige Male explizit genannt, bzw. die auszuführenden Arbeiten stimmen mit der Produktion der HAK überein. Über die Messap wird nicht berichtet, so dass nicht wirklich nachvollziehbar ist, wo die Frauen konkret gearbeitet haben. Während der Arbeit standen die Frauen weiterhin unter Bewachung der SS-Frauen und teilweise auch der SS-Männer.
Es ist nicht ganz eindeutig, ob alle Häftlingsfrauen getrennt von den anderen FabrikarbeiterInnen gearbeitet haben. Jedenfalls wird berichtet, dass die Jüdinnen bei den Hanseatischen Kettenwerken in zwei durch Maschendrahtzaun abgetrennten Hallen gearbeitet haben und dass in den anderen Hallen viele Kriegsgefangene beschäftigt waren.[53]
Die Frauen mussten bei den Hanseatischen Kettenwerken an metallverarbeitenden Maschinen arbeiten. Das waren z.B. Maschinen um Granathülsen in die richtige Länge zu schneiden, oder die Hülsen für die Granaten zu schleifen. Da es sich hierbei um eine sehr monotone Arbeit handelte und die Häftlinge oft sehr erschöpft waren, kam es häufig zu Arbeitsunfällen.
Bei Bombenalarm während der Arbeitszeit in der Fabrik wurden die Maschinen ab-gestellt, die Fabrik verdunkelt und die Frauen mussten in einen Bunker gehen. Es wird nicht ausgeführt, ob sie dort mit anderen Werksangehörigen zusammentrafen oder nicht.
In der Fabrik arbeiteten die Frauen unter der Leitung von deutschen Meistern: „Einige von ihnen waren sehr nett, bei anderen mussten wir vorsichtig sein. Wir wurden von ihnen nicht misshandelt. Sie waren im allgemeinen verständnisvoll.”[54] Die Vorarbeiter waren meist Ostarbeiter und manchmal auch Italiener: „In der Fabrik waren italienische Vorarbeiter. Sie halfen uns oft, gaben uns etwas zu Essen. Das machte die Aufseherinnen wütend, sie schlugen uns ohne Erbarmen.”[55]
Der erste Lagerführer kam oft in die Baracken und weckte die Mädchen mit einem Stockschlag auf. Er schikanierte die Frauen sehr. Mit dem Stock, den er immer dabei hatte, suchte er in den Baracken in den Ecken nach Schmutz. Wenn er etwas fand, nahm er es zum Anlass, alles noch einmal saubermachen zu lassen.
Bei den stundenlangen Appellen spielte er mit dem Stock herum und schlug auf die Frauen ein, um sie nach seinen Wünschen auszurichten. Er kam auch mehrfach nachts in die Baracken und holte Frauen heraus. Er schlug mit dem Stock und einer Pferdepeit-sche auch in das Gesicht und bis zur Bewusstlosigkeit. Soweit bekannt, ist hierbei jedoch kein Häftling gestorben.
Chaja T. und Ann.W berichteten von zwei besonders sadistische Quälereien des ersten Lagerführers. Der Auslöser für eine der Quälereien war, dass eine Insassin einen Apfel aus der Fabrik mit in das Lager brachte, den sie ihrer Tante, die in der Krankenstation des Lagers lag, geben wollte. „Sie hatte den Apfel von einem deutschen Aufseher bekommen. Dies hatte der Lagerführer gesehen und er wollte wissen, wo sie den Apfel her hatte. Die Insassin wollte den Aufseher nicht denunzieren, log daher. […] Der Lagerführer, ein Experte im Durchführen von Verhören, wollte ihr nicht glauben und wußte, dass er nur durchs schwere Strafen die Wahrheit aus ihr herausbekommen würde. Er wandte jede mögliche Strafe bei ihr an: er nahm ihre wöchentliche Essensration weg, schlug sie, ließ sie die ganze Nacht im kalten, stürmischen Wetter draußen barfuß auf scharfkantiger Kohle stehen und benutzte viele noch grausamere Bestrafungen, aber nichts brach ihren Willen. Sie sagte nichts. Er genoß das Spiel sehr. Das konnte man an seinem Gesichtsausdruck sehen. Eines nachts […] schlich er in ihren Raum, zerrte sie im Halbschlaf von ihrem Bett und brachte sie hinaus in den Gang, wo einige Wassertonnen für den Notfall standen. Er drückte ihren Kopf in eine Wassertonne. Ihr mark-erschütterndes Stöhnen weckte uns auf. Der Lagerführer drückte ihren Kopf wieder und wieder ins Wasser bis sie aufgab und ihm erzählte, was er wissen wollte.”[56]
Ann W. berichtete: „Ich habe einmal eine Kartoffel unter der Achselhöhle in das Lager geschmuggelt, was dem Lagerführer hinterbracht wurde […]. Der Lagerleiter ließ ganz in der Nähe des Lagertors einen kleinen Fleck unmittelbar am elektrischen Draht mit Scheinwerfern ausleuchten. Hier lagen Briketts, und ich musste mich auf die Briketts stellen und durfte mich nicht bewegen. Der Lagerleiter ordnete an, dass ich dort die ganze Nacht stehen sollte. Nur der Freundlichkeit eines älteren Wachmannes ist es zu verdanken, dass ich, kurz bevor ich ohnmächtig wurde, nach etwa vier Stunden in die Baracke gehen durfte. Während des Stehens war ich so in die elektrischen Drähte ein-gezwängt, dass ich mich bei der kleinster Bewegung elektrisiert hätte. Um mir dies zu beweisen, hatte der Lagerführer zuvor eine Katze an meinem Standort in die Drähte geschmissen, die dann sofort vom elektrischen Schlag getötet wurde.”[57]
Auch die SS-Frauen schlugen und quälten die Frauen in hohem Maße.
„Wir wurden in dem Lager zwar sadistisch behandelt. Es gab aber nicht zu viele Tote. Nach meiner Erinnerung wurde niemand erschossen und auch niemand zu Tode geschlagen. […] Einige Häftlinge sind gestorben: Eine sehr hübsche Frau hatte Tuberkulose, einige Frauen sind an Thypus gestorben.”[58]
Ähnliche Angaben machten mehrere Häftlingsfrauen. Frau Ann W. fügte hinzu, dass ein Mädchen an Entkräftung und Hunger gestorben sei und dass Kranke nach Bergen-Belsen geliefert wurden, wo vermutlich viele starben.
Trotz der erschöpfenden Arbeit und den andauernden Schikanen standen die Häftlinge sich dennoch bei. Eine Häftlingsfrau stahl z.B. für eine Freundin, die einen halben Finger in der Fabrik verloren hatte und an Hunger litt, Karotten vom Feld hinter der Fabrik. Durch die Hintertür der Brausenanlage auf dem Fabrikgelände gelangte sie aufs Feld. Nachts gingen dort Posten auf und ab. Sie riskierte damals bewusst ihr Leben.[59]
Einen weiteren beeindruckenden Bericht gibt Frau Chaja T. in dem sie erzählte, dass die Häftlinge es trotz allem schafften Feste zu feiern und daraus Kraft schöpften. Sie nutz-ten es aus, dass das jüdische Fest Chanuka in die Zeit des “guten” (zweiten) Lagerführers fiel und beschlossen es richtig zu feiern. „Es war an einem Sonntag, als beide Schichten zusammentrafen. Wir stellten ein paar Tische […] zusammen. Das sollte die Bühne werden. Wir, das Publikum, lagen auf den Betten und guckten auf dem Bauch liegend zur Tür, wo wir eine großartige Aufführung sehen konnten, die für uns von einer Gruppe talentierter Mädchen […] vorbereitet worden war. Sie sangen und rezitierten klassische jüdische Werke. Einige sangen Arien aus beliebten Opern, tanzten Balett, machten Pantomime und gaben andere Darbietungen. Es waren einige Professionelle darunter. […] Spätabends, als das Konzert im vollen Gange war, hörten wir ein Warn-signal vom Eingang, dass der Lagerführer und ein paar Wächterinnen auf die Baracke zukämen. Wir rührten uns nicht und setzten das Konzert fort. Später hörten wir, dass der Lagerführer mit seiner Begleitung an der Tür stehengeblieben war, eine zeitlang geguckt hätte, sich dann zur Gruppe gewandt gesagt haben soll: “Kommt, laßt sie sich amüsieren.” Dann seien sie weggegangen .”[60]
Der Lagerführer war anscheinend vom Chanuka-Konzert beeindruckt. So richtete er es ein, dass die Frauen es Weihnachten vor den höheren Angestellten der Fabrik wieder-holen sollten: “Das Konzert war ein Riesenerfolg, so dass wir zu Neujahr von der Fabrikleitung belohnt wurden. Sie schickten neue Decken, für jede von uns eine, neues Blechgeschirr und Becher und verbesserten die Essensration ein bisschen.”[61]
Der Zivilbevölkerung blieb bei vielen Außenlagern nicht verborgen, was dort geschah. In den Vorkriegsjahren wurden Konzentrationslager in der Regel in sehr abgelegenen Gebieten errichtet, um das Geschehen in den Lagern besser vor der Öffentlichkeit verbergen zu können. Zum Ende des Krieges und mit der anwachsenden Zahl der Arbeitseinsätze war ein Ausschluss der Lager aus dem öffentlichen Blick nicht mehr machbar. Manche Lager waren sogar von benachbarten Häusern einsehbar. Oft mussten die Häftlinge auch durch Wohnviertel marschieren, um zu ihrem Arbeitseinsatz zu gelangen oder sie fuhren unter scharfer Bewachung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, so dass zumindest Sichtkontakt zu Zivi-listen nicht ausblieb. Die Reaktionen waren oft ablehnend und verächtlich.[62]
In den Vernehmungsniederschriften finden sich nur zwei positive Erlebnisse des Kontaktes mit Zivilisten. Eine der im Krankenrevier beschäftigten Häftlinge fuhr mehrfach unter SS-Bewachung mit der Bahn in die Stadt, um in Apotheken Medikamente abzuholen: „Ich habe es tief in meiner Erinnerung wie ich in Begleitung der SS-Aufseherin in meiner schrecklichen Kleidung in der Straßenbahn saß. Die Kleidung bestand aus einem Zivilmantel, aus dem ein Ärmel herausgetrennt war und ein anderer hineingenäht. Auf dem zweiten Ärmel war ein roter Winkel mit der Aufschrift J (Jude) und die Nummer. Auf dem geschorenen Kopf eine wunderliche Zipfelmütze. Um den Hals ein Strick mit einer Blechplatte, auf der wieder die Nummer war, die ich in Ochsenzoll bekommen habe. Diese Blechplatte mit der Nr. 6691 habe ich bis jetzt. Mit Rührung muss ich betonen, dass die Menschen im Waggon trotz meines Aussehens und Anzuges vor mir aufgestanden sind und mir Sympathie erwiesen haben. Das waren die einfachen deutschen Bürger.”[63]
Eine andere Begegnung mit Zivilisten beschrieb Chaja T.: „Eines Tages gab es nicht genug Arbeit in der Fabrik, weshalb meine Schicht dafür eingesetzt wurde, außerhalb zu arbeiten. Weil Hamburg und die umliegenden Städte durch Bomben zerstört waren, bauten sich die Leute Häuschen weit ab von den Innenstädten. Im Umkreis unseres La-gers entstanden viele solcher Behausungen. Wir sollen den Bewohnern bei der Garten-arbeit helfen. Am nächsten Tag gingen wir, begleitet von unserer Aufseherin los, um unsere neue Tätigkeit zu beginnen. Zwei Mädchen wurden an jedem Garten ab-gesetzt.[…] Nach einer Weile kam unser Arbeitgeber heraus, um unsere Arbeit zu be-aufsichtigen. Er nahm den Spaten und fing an uns zu erklären, wie die Arbeit gemacht werden musste. Es war nur ein Vorwand, falls die Aufseherin auftauchte. […] Um die Mittagszeit kam unser Arbeitgeber wieder heraus und lud uns zum Mittagessen in sein Haus. Wir sahen uns gegenseitig erstaunt an, da wir wussten, dass uns das verboten war. Er bestand jedoch darauf und schlug vor, dass wir unauffällig einer nach der anderen kämen. Ich ging zuerst. Der Tisch war schön gedeckt und er servierte mir Kotelett und Bratkartoffeln. Es kam mir merkwürdig vor wieder mit Messer und Gabel zu essen. […] Bevor wir zum Lager zurückkehrten, gab uns unser Arbeitgeber ein Päckchen mit. Am nächsten Tag gelang es uns, für denselben Mann zu arbeiten. Dies-mal war auch seine Frau da und auch sie war sehr freundlich und menschlich.”[64] Darüber hinaus gibt es keine Berichte über Kontakte zur Zivilbevölkerung.
Als die Kriegsfronten Anfang 1945 näher rückten, wurden zunächst einzelne, dann mehr und mehr Außenlager des KZ-Neungamme aufgelöst. Zum Teil ergingen die Befehle zur Auflösung der Lager vom Wirtschaftsverwaltungsamt der SS, zum Teil ging die Initiative von den Wirtschaftsunternehmen selbst aus, die sich der KZ-Häftlinge entledigen wollten. Das Frauenaußenlager Langenhorn wurde Anfang April 1945 aufgelöst.[65] Anscheinend herrschte bei der Auflösung einiges Durcheinander und keiner wusste so genau, was geschehen würde. Die SS-Aufseherinnen hatten am letzten Arbeitstag in der Fabrik ihre Zivilkleidung im Koffer dabei. Als sie sich auf dem Weg dem Lager näherten, zogen sie diese Kleider schnell an und ein paar von ihnen verschwanden. Die anderen marschierten mit den Häftlingen zum Bahnhof.”[66]
Der größte Teil der Frauen wurden in großen Gruppen zum Bahnhof Ochzenzoll gebracht, um mit der Hoch- und S-Bahn in das Lager Sasel überführt zu werden. Für einige von ihnen war dies die letzte Station ihres Leidensweges, für viele Durchgangsstation in das Konzentrationslager Bergen-Belsen: „Wir sind mit Güterwagen, mit Viehwagen nach Bergen-Belsen gebracht worden. Wenn der Zug hielt, und wir warten mussten, sind wir aus-gestiegen. Offiziell haben wir 7 Tage nichts zu essen bekommen. Wenn der Zug hielt, haben wir Rüben geklaut, denn wir hatten natürlich Hunger. Schlafen konnte man nicht. Trotzdem wir während der Fahrt nichts zu essen bekamen, verspürten wir vor Aufregung keinen Hunger, denn wir merkten, der Krieg geht zu Ende. Die SS-Bewachung war inzwischen in Zivilkleidung und die Blitzmädels haben für uns geklaut.”[67] Als die Briten das Lager am 15.April befreiten, waren in Bergen-Belsen ca. 60.000 Menschen zusammengepfercht; die meisten dem Tod näher als dem Leben.
Eine Frau berichtete, dass 50 Frauen später vom Langenhorner Lagerführer aus Bergen-Belsen wieder zurückgeholt wurden, um in dem HAK-Werk weiterhin als Fachkräfte zu arbeiten. Von dort seien sie dann am 1.Mai ins Außenlager Hamburg-Eidelstedt gebracht worden.[68] Andere Häftlinge waren Anfang April gleich zum Außenlager Eidelstedt gebracht worden. Dort konnten viele Häftlinge im Rahmen der „Aktion Bernadotte“ mit dem schwedischen Roten Kreuz nach Skandinavien kommen.[69]
In den letzten Kriegswochen wurde für die SS-Bewachungsmannschaften der Konzentrationslager der Befehl ausgegeben, dass kein KZ-Häftling lebend in die Hände des Feindes fallen dürfe. Daher wurden zu Kriegsende viele Verlegungen in andere Lager und auch lange Fußmärsche in Gang gesetzt. Dabei herrschte ein zunehmendes Durcheinander. Dieses betraf auch die Situation des Langenhorner Lagers. Nachdem es bereits geräumt wurde, kam es zu einer erneuten Belegung, diesmal durch Häftlinge aus dem KZ-Frauenaußenlager Helmstedt-Beendorf.
Bevor die Alliierten Streitkräfte dieses KZ-Frauenaußenlager erreichen konnten, räumten Wachmannschaften das mit über 2000 Frauen belegte Lager. Eine zehntägige Reise fast ohne Verpflegung führte über Magdeburg, Stendal, Wittenberge bis nach Hamburg. Wie viele auf der Fahrt verhungert und wegen Entkräftung gestorben sind oder durch SS-Wachmannschaften erschossen wurden, ist nicht bekannt. In Hamburg wurden die Häftlinge auf verschiedene Außenlager verteilt. Ca. 150-200 Frauen wurden um den 20. April ins KZ-Außenlager Hamburg-Langenhorn gebracht[70] und vermutlich am 3. Mai in das Außenlager Hamburg-Eidelstedt weitergeleitet.
Herr Knauerhase, Leiter der Mess- und Schiessabteilung im Hanseatischen Kettenwerk, berichtete 1985 in einem Interview über den 3. Mai: „Als ich am Morgen nach Hause ging, und was dort das Konzentrationslager genannt wird, marschierte von dort ein Zug nach dem Bahnhof Ochsenzoll und fuhr offensichtlich. […] Vielleicht sind sie in 2-3 Gruppen dorthin gebracht worden. Ich habe also 150-200 gesehen.”[71] Bei diesen Frauen handelte es sich vermutlich um die Frauen aus Helmstedt-Beedorf, die nach Eidelstedt weitergeleitet wurden.
Am 26. und 27. April wurden im Sterberegister des Zentralfriedhofes Ohlsdorf drei Frauen registriert. Als letzte Wohnung der Verstorbenen wurde das KZ-Neuengamme – Lager HH-Langenhorn angegeben. Am 3. und 4. Mai sind sechs weitere Frauen im Sterberegister aufgeführt; als Wohnort ist die Häftlingsärztin Margot Levi angegeben. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um Frauen handelt, die aus Helmsted–Beendorf in sehr geschwächtem Zustand nach Langenhorn gebracht wurden.[72]
In dem Chaos des sich in Auflösung begriffenen nationalsozialistischen Herrschaftssystems wird auch in Langenhorn versucht zu retten, was noch zu retten ist: Die Bewohner der “Tannenkoppel-Siedlung” lassen sich noch die im Besitz der Montan befindlichen Häuser notariell überschreiben, um einer Beschlagnahme durch die Briten zuvorzukommen. Tonnenweise Munition soll im Umfeld der Werke vergraben worden sein. Das Messap-Werk soll sogar noch versucht haben, die Produktion auf Kuckucksuhren umzustellen, um eine Requirierung abzuwenden.[73] Die Produktion der Ketten-werke hingegen soll bis zur letzten Minute weitergelaufen sein, bis die britischen Streitkräfte am 3. Mai 1945 in Hamburg einmarschieren und auch das Werksgelände der Messap- und Kettenwerke besetzen.
In den darauffolgenden Monaten wurde das Gelände der Kettenwerke von einer britischen Einheit übernommen, die hier Wartungen und Instandsetzungen von technischen Anlagen, insbesondere des Fahrzeugparks, durchführte. Im November 1945 kam das Hanseatische Kettenwerk auf die Reparationsliste; zu einem Abbruch ist es aber dann doch nicht gekommen. Das Werksgelände der Messap diente der Royal Air Force als Gerätelager.
Die Baracken des KZ-Außenlagers und des Ostarbeiterlagers wurden zu Wohnunterkünften für die im englischen Dienst stehenden deutschen Helfer, vorwiegend Flüchtlinge, Vertriebene und ehemalige Soldaten, umfunktioniert. Wenige Jahre danach wurden die Baracken abgerissen, um Platz für eine Reihenhaussiedlung zu machen.[74] Das KZ-Außenlager Langenhorn geriet daraufhin viele Jahre lang in Vergessenheit.
Ein Beispiel für die fehlende Bereitschaft, die Geschichte des Nationalsozialismus aufzuarbeiten und die Mitschuld an dem Unrecht der damaligen Zeit einzugestehen, ist in der Firmenchronik von Junghans aus dem Jahre 1961 nachzulesen. Hier wird die Funktion und Bedeutung dieser Firma für die Rüstungsproduktion und dem nationalsozialistischen Staat wie folgt beschrieben: „Was dann in den folgenden Jahren zunächst bis 1939 der deutschen Industrie an Prüfungen auferlegten, ist ein Stück hektischer Wirtschaftsgeschichte, über das man […] im Gnadensinne des Rechts auf Irrtum unbeschadet schweigen darf.”[75] Und weiter: „Was von 1939 bis 1945 geschah, gehört der Ge-schichte an. Daß ein so vorbildlich eingerichteter, auf höchste Genauigkeit eingespielter Betrieb wie die Uhrenfabriken Gebrüder Junghans A.G. während eines ausschließlich mit technischen Mitteln geführten Krieges, ähnlich wie das schon vor 25 Jahren im ersten Weltkrieg der Fall war, zu bestimmten Leistungen herangezogen wurde, versteht sich von selbst. Noch mehr, Junghans wurde in einem besonderen Sektor der Heeres-lieferungen die Last der verantwortlichen Federführung aufgebürdet, so dass von der Geißhalde aus schließlich mehr als 200 Nachbaufirmen, meist nicht gerade fein-mechanischer Hauptbeschäftigung, mit Tausenden von Arbeitern zu betreuen, zu steuern und technisch zu führen waren.”[76]
Erst in den 80er Jahren ist durch Veranstaltungen bzw. Rundgänge der örtlichen Friedensgruppe auf das KZ-Außenlager hingewiesen worden, bis 1988 auch mit der Errichtung eines Gedenksteines und einer Hinweistafel an der Essener Straße an das Außenlager erinnert wurde.
Wir suchen Information über:
J.H. Navis. 1908 Dinxperlo, Nederland.
Gestorben in Elmshorn. Landkreis Pinneberg. Am 11.08.45
Herzliche Grüsse,
Robert-Jan Rijks
Dinxpedia Werkgroep 1940 – 1945 Dinxperlo, Nederland.