Gerichtsurteil im Februar 1949: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ – der stellvertretende Bürgermeister und Kriminalsekretär Heinrich Kobarg

SS-Untersturmführer Heinrich Kobarg war 1933 für kurze Zeit Pinneberger Bürgermeister und im Anschluß Kriminalbeamter in Elmshorn. Bild: VHS-Geschichtswerkstatt Pinneberg
Seine „rücksichtslose und brutale Einstellung ist in weitesten Kreisen des Kreisgebietes bekannt und die Verfolgten des Naziregimes haben teils durch eigene Erfahrungen feststellen können, dass K. der rücksichtsloseste und brutalste Gegner war.“ Schreiben der VVN an den Entnazifizierungsausschuss des Kreis Pinneberg zu Heinrich Kobarg, LaSH Abt. 460 Nr. 468
10. Februar 1949
Apenrader Straße 6, 25335 Elmshorn

Pinneberg/Elmshorn. Anhand der Protokolle des Entnazifizierungsausschusses des Landes werden die dem stellvertretenden Bürgermeister Pinnebergs, Kriminalssekretär und Elmshorner SS-Truppführers Heinrich Kobarg zur Last gelegten „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und seine Einstufungen im Entnazifizierungsverfahren dokumentiert.

 

Sprengstoffanschläge in der Nacht der Reichstagswahl am 31. Juli 1932: Erste Hinweise auf die Verbrechen des Heinrich Kobarg

Die preußische Provinzregierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun wurde kurz nach dem „Altonaer Blutsonntag“ in einem Staatsstreich („Preußenschlag“) durch den reaktionären Reichskanzler v. Papen beseitigt. Am 31.7.1932 errang die NSDAP in Pinneberg mehr Stimmen als SPD und KPD zusammen.

Am Nachmittag des 31.7. waren ausgesuchte Mitglieder des SS-Sturmes 2 III/4 von ihrem Elmshorner Führer Wilhelm Grezesch in Ellerhoop zusammengezogen worden, denn es müsse „etwas unternommen werden um den Gegner zu reizen und dann auf sie losszuschlagen… Während der Nacht zwischen 1 und 2 Uhr müssten in Elmshorn, Uetersen, Barmstedt und Pinneberg gegen Verkehrslokale der KPD oder des Reichsbanners oder gegen andere Häuser linksgerichteter Personen Handgranaten geworfen werden. Dies geschehe auf Anordnung der Führung. Die Gauleitung übernehme für jeden etwa dabei verunglückten Beteiligten die Veranwortung“. 

Der für den Pinneberger Anschlag verantwortliche Kobarg erhielt 4 Monate Haft wegen Vergehens gegen das Sprengstoffgesetz, flüchtete noch während des Prozesses und tauchte erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als stellvertretender Bürgermeister Pinnebergs wieder auf.

Heinrich Kobarg, geboren am 17.1.1901, trat nach Beendigung der Pinneberger Volksschule 1916 eine Lehre der Kommunalverwaltung beim Landratsamt Pinneberg an. Danach leistete er 1919 Militärdienst und übernahm eine Tätigkeit als Reisender. 1920 im Polizeidienst in Flensburg, 1921 bis 1923 dann bei der Ordnungspolizei Hamburg. Anschließend finden sich in seinem Lebenslauf wechselnde Beschäftigungen. So war er 1928 bei der Reichsbahn, dort wurde er 1930 aus politischen Gründen entlassen.

Im Jahre 1933 war er kurzfristig stellvertretender Bürgermeister in Pinneberg. Ab 1934 bei der Schutzpolizei, dann bei der Kriminalpolizei Elmshorn und SD-Beobachter. Während des Krieges werden seine Einsätze u.a. bei der Kriminalpolizei Bromberg, der Geheimen Feldpolizei Luft, beim Sicherheitsdienst in Athen, dann wieder bei der Kriminalpolizei Hamburg zusammengefasst. 1940 wurde Heinrich Kobarg zum SS-Untersturmführer befördert.[1]

 

Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Das Urteil des Schwurgerichtes Itzehoe

Durch Urteil des Schwurgerichtes  Itzehoe vom 10.2.1949. wurde Kobarg wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ihm wurde nachgewiesen, dass er in seiner Eigenschaft als Kriminalsekretär in der Zeit seiner Tätigkeit in Emshorn in vielen Fällen in grausamer Weise sich an Gegner des Nationalsozialismus vergangen hat, sie misshandelt und ihre Einweisung in ein KZ veranlasst hat. Auf die bei den Akten befindlichen Originalunterlagen, die von der VVN Pinneberg zur Verfügung gestellt wurden, wird verwiesen, desgleichen auf die eidesstattlichen Erklärungen von Johannes Delker, Ernst Karlau und Simon Meesch. Nach diesem Tatbestand „kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Aktivisten übelster Sorte handelt, der die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus wesentlich gefördert und gefestigt hat. Aus diesem Grunde ist er gem §4 des E.-Gesetzes in die Kat.III mit allen sich aus § 8 ergebenden Sanktionsmaßnahmen einzureihen.[2]

 

Die Zeugenaussagen im Entnazifizierungverfahren

1. Zeuge Johannes Delker, 52 Jahre, Schmied, wohnhaft Elmshorn i./H. Heidmühlenweg 41:

„Ich wurde am 4.12.1934 gegen 9 ½ Uhr verhaftet, und zwar von 5 Personen. Darunter waren 2 Beamte von der Hamburger Gestapo und die übrigen 3 von der Elmshorner Polizei. Ich war derzeit dienstverpflichtet und arbeitete am Karpfenteich. Unter den Elmshorner Wachtmeistern befand sich auch Kobarg, welcher in Uniform war. Ich musste in einem Flitzer Platz nehmen und Kobarg setzte sich neben mich. Kobarg wollte von mir wissen, ob ich einem gewissen Eggerstedt Zeitungen ausgehändigt hätte oder nicht. Nachdem ich dies verneinte, versetzte er mir einen Schlag ins Gesicht. Nachdem meine Wohnung ergebnislos durchsucht worden war, fuhren wir zur Polizeiwache in Elmshorn. Dort stürzte er mit mir in den Keller und ich sollte aussagen, wo ich die Zeitungen her hatte. Oben im Zimmer zog man mich mit 4 Mann über den Tisch und schlug mich bewusstlos, Kobarg war auch mit dabei. Man schlug mir das Nasenbein kaputt und meine Nase ist dadurch verschoben. Nach meiner 4-jährigen Starfverbüssung wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, bin ich mit Kobarg nicht wieder in Berührung gekommen.“[3]

 

  1. Zeuge Ernst Karlau, Elmshorn i./H. Schulstr. 26, 42 Jahre alt, Margarinearbeiter:

„Ich wurde am 25.1.1935 von der Gestapo verhaftet. Ich war bei einem Gastwirt beschäftigt und man holte mich dort morgens um 5 Uhr aus dem Bett. Bei dieser Verhaftung war Kobarg in Zivil dabei. Im Wachzimmer sagte er uns, es wären noch mehrere Verhaftungen in der Nacht vorgenommen worden, dass er uns mal zeigen wolle, wie stramm gestanden würde. In der Wachstube wurde ich von ihm geschlagen und mit dem Kopf gegen die Wand gestossen, dass mir Hören und Sehen verging. Nachdem ich beim Spezialarzt in Behandlung kam, sagte mir dieser, dass es mit meinem Gehör nicht besser werden würde und ich bis an meine Lebensende damit zutun haben würde. Ich leide noch heute an Mittelohrentzündung. Ich kannte Kobarg nicht mit Namen, es wurde mir später erzählt, dass sein Name so sei. Von Elmshorn aus kam ich gleich nach Fuhlsbüttel und von dort nach Esterwegen. Nachdem ich 7 Monate auf freien Fuß gesetzt wurde, verurteilte man mich zu 2 ½ Jahren und 1 Jahr Polizeiaufsicht. Zur Last wurde mir gelegt, dass ich der Roten Hilfe beitrat und kommunistische Zeitungen gekauft habe. Von der Hamburger Gestapo wurde ich nicht geschlagen, nur von Kobarg.“ [4]

 

  1. Zeuge Simon Mesch, Lederarbeiter, 59 Jahre alt, wohnhaft Elmshorn i./H., Wrangelpromenade 60:

„Ich wurde am 13.1.1935 aus dem Bett heraus von den Oberwachtmeistern Kobarg und Lentfer verhaftet. Kobarg war in Uniform. In meiner Wohnung bekam ich schon Schläge von Kobarg und unterwegs noch einmal, weil ich einen Bekannten grüsste. Wir gingen zu Fuss, weil die Wache in nächster Nähe lag. Auf der Wache fragte ich, weshalb ich verhaftet wurde und Kobarg sagte zu mir, ich solle die Schnauze halten und wo sich der Revolver befände. Ich erwiderte, dass ich von keinem Revolver etwas wüsste und man erklärte mir, dass ich meine Frau mit einer Schusswaffe bedroht haben solle. Eine Haussuchung verlief bei mir ergebnislos. Nachdem ich nochmals zum Verhör geschleift wurde, schlug der Kobarg mich dermassen, dass der Polizeiarzt geholt werden musste. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass ich keine Waffe besass, wurde ich wieder entlassen. Später wurde ich wieder von der Gestapo verhaftet und zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. In diesem Falle handelte es sich um eine politische Sache und Kobarg war nicht daran beteiligt. Am 7.7.1938 war die Polizeiaufsicht abgelaufen und ich musste mich aus diesem Grunde bei der Polizei melden. Dort fuhr Kobarg mich wieder an und fragte mich: „Wie stehen Sie zum heutigen Staate“? Ich erwiderte ihm, dass ich verheiratet sei, meine Ruhe haben möchte und nicht wieder entlassen werden wolle. Ich kenne den Kobarg von Jugend auf, er ist ein geborener Elmshorner. In der Person deshalb irre ich mich keinesfalls.“ [5]

 

Die Berufungsentscheidung in Sachen Heinrich Kobarg– ein Beispiel für die Spruchpraxis im Entnazifizierungsverfahren

Heinrich Kobarg wurde schließlich am 1. Februar 1951 vom Entnazifizierungsberufungsausschuß des Landes Schleswig-Holstein in die Gruppe IV der Mitläufer einsortiert. In der Begründung des Ausschusses unter Vorsitz von Dr. Krug heißt es u.a.: „ An sich gehört der Betroffene nach der Gruppe III, wie ihn die erste Instanz auch eingestuft hat… Im Hinblick auf die Tatsachen, dass der Betroffene 3 ½ Jahre interniert war, dass er  – als Folge von Magengeschwüren – nur bedingt arbeitsfähig ist, dass er noch sechs versorgungsberechtigte Kinder hat und schließlich, dass er für den Fall Siekmann eine Gefängnisstrafe erhielt, glaubte der Berufungsausschuß es mit seinem Gewissen vereinbaren zu können, ihn aus der Gruppe III herausnehmen zu können.

Da die glatte Einstufung nach IV aber nicht dem Verhalten und den Taten des Betroffenen in parteipolitischer Hinsicht entsprochen hätte, wurde die sofortige Versetzung in den Ruhestand und ein stark gekürztes Ruhegehalt von nur 50% festgesetzt.“ [6]

 

Bei der ersten Einstufung in die Gruppe III der Belasteten hatte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes noch umfangreiches Beweismaterial seiner „hasserfüllten Einstellung gegenüber politisch Andersdenken“ an den Entnazifizierungsausschuss des Kreises geschickt und darauf hingewiesen,  dass seine „rücksichtlose und brutale Einstellung in weitesten Kreisen des Kreisgebietes bekannt und die Verfolgten des Naziregimes … teils durch eigene Erfahrungen feststellen können, dass K. der rücksichtsloseste und brutalste Gegner war.“[7]

 

An welchen Verbrechen sich Heinrich Kobarg im besetzten Polen (Bromberg) dem heutigen Bydgoszcz , in Griechenland (Athen), oder aber auch bei der Kriminalpolizei in Hamburg beteiligte, war dagegen nie Gegenstand irgendeines Gerichts-  und oder Entnazifizierungsverfahrens.

 

[1] Johannes Seifert: „Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus“, VHS-Geschichtswerkstatt Pinneberg, 2000 Seite 86 ff in der Druckversion

[2] Land SH öffentlicher Kläger an den Entnazifizierungshauptausschuß, Schreiben v. 17.02.1950, LaSH Abt. 460 Nr. 468 Dokument 055

[3] Entnazifizierungshauptausschuß des Landes SH, Begründung der Entscheidung vom 11.10.1950, LaSH Abt. 460 Nr. 468 Dokument 042 Anlage zur Niederschrift

[4] Ebenda

[5] Ebenda

[6] Berufungsentscheidung des Entnazifizierungsberufungsausschuß des Landes Schleswig-Holstein vom 1.2.1951, LaSH Abt. 460 Nr. 468 Dokument 056

[7] Schreiben der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Kreis Pinneberg an den Entnazifizierungsausschuss des Kreises Pinneberg v. 20.04.1949, LaSH Abt. 460 Nr. 460 Dokument 104

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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