Gedenkstein für 27 Sowjet-Bürger auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen

Gedenkstein für 27 Sowjet-Bürger auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen (Foto: E. Vogt 2013)
Übersicht über die Kriegsgräber verschiedener Nationalitäten auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen, hauptsächlich von Zwangsarbeitern
Lage der Kriegsgräber auf dem sog. "Militärfriedhof", meistens als "Soldatengräber" bezeichnet
8. Mai 1945
Friedhofstr., Uetersen

Bei Führungen über den (Neuen) Friedhof werden auch immer die vorhandenen Kriegsgräber besucht. Dabei fällt der Gedenkstein für „27 Sowjet-Bürger“ auf, der die Inschrift trägt: „Hier ruhen 27 Sowjet-Bürger die in Gefangenschaft der Faschisten in 1941-1945 starben“.

Wie ist man auf die Zahl „27“ gekommen?

Auf dem Friedhof finden sich heute unter den „Soldatengräbern“ fünf Gräber sowjetischer Bürger[1]und unter den „Kriegsgräbern verschiedener Nationalitäten, hauptsächlich von Zwangsarbeitern“ sind es 14 Gräber sowjetischer Bürger[2]– insgesamt also nur 19 Gräber, so dass acht Tote zu erklären sind.

Wann wurde der Gedenkstein für die toten Sowjet-Bürger geschaffen?

Die Schaffung des Gedenksteins ist im Schreiben des Kreises Pinneberg vom 18. Juni 1965 an die Stadt Uetersen vorgeschlagen worden. „Auf der Sammelanlage der 27 Russengräber wäre ein Gedenkstein mit Inschrift zu setzen“[3]. Es darf davon ausgegangen werden, dass der Gedenkstein 1965 oder später in Auftrag gegeben wurde. Unterlagen darüber sind weder im Rathaus[4]noch im Kirchenarchiv überliefert.

Welche Quellen gibt es, um die Zahl „27“ nachweisen zu können?

Nachstehende Quellen sind vorhanden:

  1. „Gräberliste für öffentlich gepflegte Gräber“ auf dem Neuen Friedhof der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Uetersen, aufgestellt vom Ordnungsamt der Stadt Uetersen am 26. Oktober 1970 (Kurzform: Gräberliste 1970)[5]. Sie umfasst insgesamt 95 lfd. Nummern, von denen 92 Gräber namentlich bekannt und drei Tote unbekannt sind. – In dieser Liste gibt es eine Zuordnung der Gräber nach den Ziffern in § 1 Absatz 2 des Gräbergesetzes (a.F. bis 13.12.2011): Unter Ziffer 9 fallen danach 16 Namen von Zwangsarbeitern und deren Kinder mit der Staatsangehörigkeit UdSSR; unter Ziffer 2 (Soldaten) wird ein Soldat mit der Staatsangehörigkeit UdSSR aufgeführt, der als Freiwilliger in der Wehrmacht gedient hat: Paul Iljin (1926-1945). Nikita Nasimko (1904-1942) war ein Kriegsgefangener; er ist in dieser Liste jedoch Ziffer 9 zugeordnet; er hätte auch Ziffer 2 zugeordnet werden müssen. Die Zuordnung für Stefan Newerdasow (1900-1945) ist 1976 von Ziffer 9 in Ziffer 10 (Gräber von in Sammellagern betreuten Ausländern) „berichtigt“ worden[6].
  2. „Kriegsgräberliste“, wahrscheinlich aus dem Jahr 1950, in: Akte „Standesamtsstatistik über Personenstandsfälle“ im Stadtarchiv Uetersen (bisher ohne Signatur – Kurzform: Gräberliste 1950)[7]. Diese Liste ist nach Nationalitäten gegliedert und umfasst für die „UdSSR“ 26 namentlich genannte Tote[8]und zwei unbekannte Tote.
  3. Eine vierseitige Gräberliste der Stadt Uetersen vom 21. Juni 1948 mit der Staatsangehörigkeit „UdSSR“ (Kurzform: Gräberliste 1948) [9]. Diese Liste umfasst die 25 Namen Toter und zwei unbekannte Tote. – Alle Toten wurden in Uetersen beerdigt. Die Toten Nr. 1 bis 23 dieser Liste sind auch auf der Gräberliste 1945 aufgeführt. Die Toten Nr. 24 bis 27 stehen jedoch nicht auf der Gräberliste 1945. Die Gräber der Toten Nr. 24 bis 27 der Gräberliste 1948 finden sich auf dem Grabfeld der „Soldatengräber“ (Nr. 10, 11, 12 und 64). – Damit scheint diese Liste die umfassendste Dokumentation der Gräber verstorbener Ausländer sowjetischer bzw. russischer Nationalität zu sein.
  4. „Verzeichnis aller in Uetersen verstorbenen Ausländer“ vom 22. Oktober 1945 nach verschiedenen Nationen differenziert, u.a. mit einer zweiseitigen Auflistung von 27 „Russen“ (Gräberliste 1945)[10]. – Die Toten Nr. 4, 8, 10 und 11 dieser Liste wurden jedoch nicht in Uetersen beerdigt, sondern in Heist bzw. in Elmshorn.

Wie lässt sich die Differenz zwischen tatsächlich vorhandenen Gräbern und der Gräberliste 1948 erklären?

Im Reihengrab (RG) 36 hat es nach der „Chronologie“ des Friedhofes[11]fünf Beisetzungen von Kindern gegeben[12]; die Anzahl deckt sich mit der Gräberliste 1945[13]. Im RG 30 hat es nach der Chronologie und der Gräberliste 1945 zwei Beisetzungen gegeben, zum einen Wera Sidorowa (entspricht dem Grabstein) und zum anderen ein kleines Kind ein Jahr später[14]. – Zwischenergebnis: Für fünf Tote (Namen s.u. in den Fußnoten 12 und 14) existieren die Gräber noch; es hat für sie jedoch noch nie einen Grabstein gegeben.

Nach der Chronologie ist der 7 Monate alte Michail Krotow 1945 im Kinder-RG 42 beigesetzt worden; dieses Grab besteht nicht mehr. Die Toten Johann Lis und Iwan Kowalenko sind nach dem 8. Mai 1945 verstorben; ihre Gräber (RG 68 + 72) fallen nicht unter dem Schutz von Ziffer 9 des Gräbergesetzes[15]. – Ergebnis: Mit diesen drei weiteren Namen ist nun das Schicksal der Grabstätten aller acht Toter endgültig geklärt.

Welche Konsequenzen können sich aus dieser Feststellung ergeben?

Man könnte auf einer Stele oder Tafel als Ergänzung zum Gedenkstein die Zahl „27“ erklären und die Namen derer benennen, die nie einen Grabstein erhalten haben. Eine Initiative dazu ist bereits mit Schreiben vom 5. April 2022 gegenüber dem Bürgermeister der Stadt Uetersen angeregt.

Mögen sich Krieg und Gewaltherrschaft nie mehr wiederholen.

 

Erhard Vogt, April 2023

Veröffentlicht von Erhard Vogt am

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