In der Dorfstraße mit der damaligen Hausnummer 27 stand einst der inzwischen abgebrochene Hof von Rudolf Schlüter.[1] Der Landwirt lebte hier mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Wegen einer scherzhaften Äußerung musste er sich am 20. Januar 1936 vor dem Sondergericht Schleswig-Holstein in Altona rechtfertigen. Angeklagt wurde er wegen Vergehen gegen das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ (kurz: „Heimtückegesetz“), das kritische Äußerungen gegenüber der Reichsregierung, der NSDAP und deren Nebenorganisationen unter Strafe stellte.
Anlass der Anklage war ein Gespräch in der Wohnstube des Schlüters, wo dieser in Hinblick auf die in Hamburg stattfindende Reichsnährstandsausstellung zu seiner Schwester sagte: „Ich will nach Hamburg und mir auf der Reichsnährstandsausstellung die große bayerische Kuh ansehen. Sie hat ein Fell wie die Uniform Hitler’s, ein großes Maul wie Goebbels, einen dicken Bauch wie Göring und läßt sich abmelken wie das deutsche Volk jetzt abgemolken wird.“ [2]
Wenige Tage nach dieser Äußerung, kam es zwischen Rudolf Schlüter und seiner Schwester aufgrund von Geldstreitigkeiten zu einem Zerwürfnis. Die verärgerte Schwester revanchierte sich bei ihrem Bruder, indem sie in den Abendstunden des 5. Juni 1935 den Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde Wilhelm Kolz aufsuchte, der unweit des Hofes des Rudolf Schlüters wohnte, diesen von den scherzhaften Bemerkungen berichtete und Anzeige erstattete. Kolz schrieb in einem Vermerk: „Da Schlüter durch seine Äußerung die führenden Männer Deutschlands verächtlich machen wollte und seine gegnerische Einstellung zum Nationalsozialismus und heutigen Staat dadurch offenbarte, andererseits aber die Vorteile für sich in Anspruch nimmt, … hält Frau L. es für angebracht, daß Schlüter zur Rechenschaft gezogen wird.“ In einer Beurteilung führte er des Weiteren aus: „Schlüter gilt als Unzufriedener und Reaktionär, der die Besserung der wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft … nicht anerkennen will.“ [3]
Der Vorgang ging anschließend an die Oberstaatsanwaltschaft Altona, die mitteilen ließ, dass entsprechend des „Heimtückegesetzes“ eine Bestrafung nur dann erfolgen kann, wenn die Äußerung öffentlich getätigt wurde oder der Beschuldigte davon ausgehen musste, dass diese durch Dritte in die Öffentlichkeit getragen wurde. Der Staatsanwalt bat daraufhin den Amtsvorsteher „vertraulich festzustellen, ob die Zeugin den Witz weitererzählt hat und ob die Familienangehörigen oder sie selbst in die Oeffentlichkeit getragen haben.“
Da die Schwester L. inzwischen durch einen Unfall verstorben war, bemühte sich Kolz die gewünschten Informationen von anderen Personen einzuholen. Er benannte hierbei den NSDAP-Ortsgruppenleiter Willi Bendorf und den Bürgermeister Phillip Spilger als Zeugen. Bendorf erklärte: „Während der landwirtschaftlichen Ausstellung in Hamburg (Reichsnährstandsausstellung) war es hier allgemein bekannt, daß der Bauer Rudolf S c h l ü t e r sich in abfälliger Weise über leitende Regierungsmitglieder und Führungspersönlichkeiten der Bewegung zu der Bäuerin Frau L. geäußert hat. Das Verhalten des Schlüter erregte berechtigten Unwillen.“ [4] Spilger will erfahren haben: „In den Tagen vor der Reichsnährstandsausstellung in Hamburg kam ein Familienmitglied aus der Familie L. in Renzel zu mir und wollte noch einige Eintrittskarten für die Ausstellung haben. Genannte Person war furchtbar erbittert über Äusserungen des Bauern Rudolf Schlüter, Renzel, die er zu Frau L. gemacht haben soll.“ [5] Auch Kolz selbst berichtete dem Staatsanwalt: „Die Äußerungen des Schlüters wurden im Ortsteil Renzel …[unleserlich, d. Verf.] auch in Quickborn schnellstens bekannt. Besonders unter den Mitgliedern der N.S.D.A.P. löste dieser Vorfall berechtigte Erregung aus.“
Das Gericht entschied sich trotz der Stellungnahmen der örtlichen Naziprominenz nicht zu einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz. Es entschied, dass es sich bei den im engsten Familienkreis getätigten Bemerkungen nicht um eine öffentliche Äußerung im Sinne des Gesetzes handelte und das der Angeklagte auch nicht davon ausgehen konnte, dass diese nach außen getragen werde. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Anzeige der Schwester erfolgte, um sich an dem Angeklagten zu rächen.[6] Es blieb eine Verurteilung wegen Beleidigung. Da aber ein enstprechender Strafantrag nicht vorlag, wurde das Verfahren eingestellt.
Rudolf Schlüter hatte vor dem Sondergericht noch einmal seltenes Glück gehabt. Er starb 1959 mit 73 Jahren.[7]