Am 31. Juli 1936 hatte der 51-jährige Arbeiter Ernst Neumann nach getaner Arbeit im Wegebau in Renzel ein Gasthaus aufgesucht und kehrte auf dem Nachhauseweg nochmals in der Gastwirtschaft „Holsteiner Hof“ ein, wo er ein Bier und ein Cognac zu sich nahm. Während des dortigen Aufenthalts hatte er die Toilette aufgesucht, wo er, vermutlich schon in einem angetrunkenen Zustand, auf den Sparkassenangestellten Ernst Föste sowie einen weiteren Gast stieß. Als Neumann an Föstes Kleidung das NSDAP-Parteiabzeichen entdeckte, grüßte er ihn mit den Worten „Heil Moskau„. Nach einer Zurechtweisung des Föstes wiederholte er den Gruß „Heil Moskau„und fügte hinzu: „Ihr kommt noch alle an die Wand!“ [1]
Ernst Föste, seit dem 01.05.1933 Mitglied der NSDAP[2] und Politischer Leiter in der NSDAP Quickborn[3] berichtete seinem Ortsgruppenleiter Willi Bendorf den Vorfall, der hierüber dem Amtsvorsteher Wilhelm Kolz schrieb: „Ich erstatte hiermit gegen den Vg. [Volksgenossen, d. Verf.] Ernst Neumann Anzeige, weil er in einem öffentlichen Lokal kommunistische Äußerungen gemacht und anwesende Parteigenossen mit oben angeführten Drohungen bedroht hat. Ich bitte um schärfstes Vorgehen gegen Neumann, daß in Zukunft nicht solche Vorfälle wieder auftreten.“ [4] Kolz wiederum ließ über den Gendarmerie-Hauptwachtmeiste Matiba Erkundungen im Wohnumfeld des Ernst Neumann in Quickborn-Heide einholen. Dieser teilte mit, dass Neumann sich abfällig über das Winterhilfswerk geäußert habe und in der Nachbarschaft verkündet habe, dass er nicht Kommunist, sondern Anarchist sei. Kolz bat daraufhin den Landrat in Pinneberg, Neumann in die Liste der staatsfeindlichen Personen der Gestapo mit aufzunehmen und teilte mit: „N. wird hier weiter im Auge behalten.“ [5] Des Weiteren leitete er den Vorgang an die Staatsanwaltschaft Altona weiter. Auf eine Nachfrage der Staatsanwaltschaft über die Beurteilung der Persönlichkeit des „Täters“ berichtete Gendarmerie-Meister Grube aus Quickborn: „Unzweifelhaft war Neumann früher, vor der Machtergreifung, zu den linksgerichteten Kreisen zu zählen. Er galt, hauptsächlich im betrunkenen Zustand, als rabiat und war dafür bekannt, daß er den Behörden u. Beamten gerne Schwierigkeiten machte. Mit den Ideen des Nationalsozialismus hat Neumann sich m.E. [meines Erachtens, d. Verf.] noch nicht beschäftigt u. vertraut gemacht. Seine politische Einstellung trägt er offen zur Schau, wenn er getrunken hat.„[6]
Ernst Neumann wurde 1885 im ostpreußischen Tapiau als Sohn eines Anstaltsaufsehers geboren. Er besuchte die dortige Stadtschule, machte eine Lehre als Kesselschmied und ging im Anschluss auf Wanderschaft. Er war bereits in seinen jüngeren Jahren eine rebellische Person: Während seiner Militärdienstzeit vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er wegen Achtungsverletzung vor versammelter Mannschaft und Gehorsamsverweigerung zu einer Festungshaft verurteilt. Neumann war Mitglied des Metallarbeiter-Verbandes und der KPD.[7] Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern bewohnte er in der Alten Ulzburgerlandstraße, der heutigen Ginstertwiete, ein Siedlerhaus, wo auch unweit entfernt sein Bruder Karl lebte.[8] Vor der Machtübernahme hatte Ernst Neumann als Arbeiter bei der Chemischen Fabrik in Quickborn-Heide gearbeitet und war nach deren Stilllegung 1930 zumeist arbeitslos.[9]
Die Äußerungen Neumanns führten am 27. November 1936 vor dem Schöffengericht Altona zu einer Verurteilung wegen Beleidigung „in Form einer flegelhaften Anpöbelei„, die die „Mißachtung des Nationalgefühls und der Ehre des Föste“ ausgedrückt habe, zu fünf Monaten Gefängnis.[10] Die anfangs anvisierte Anklage wegen Vergehen gegen das „Heimtückegesetz“, die kritische Äußerungen gegenüber der NSDAP und der Reichsregierung unter Strafe stellte, wurde fallengelassen, da die Bemerkungen auf der Toilette und nicht in der Öffentlichkeit fielen, womit die rechtlichen Voraussetzungen für diesen „Straftatbestand“ fehlten. Die Aussagen von Ernst Neumann, nicht staatfeindlich eingestellt zu sein und sich aufgrund des Alkoholkonsums an nichts mehr erinnern zu können, bewertete das Gericht als unglaubwürdig: „Erfahrungsgemäß pflegen Angetrunkene ihre wahre Gesinnung durch unbedachte Äußerungen zu verraten.“ [11] In dem Urteilsspruch hieß es des Weiteren: „Der nationalsozialistische deutsche Staat steht in einem schweren und scharfen Kampf gegen den verbrecherischen, von Moskau ausgehenden Weltbolschewismus und kann in diesem Abwehrkampf herausfordernde und propagandistisch wirkende Äußerungen, wie es der gegnerische Kampfruf „Heil Moskau“ ist, oder gar revolutionäre Gewaltandrohungen übelwollender minderwertiger Volksgenossen nicht dulden oder milde beurteilen.“ [12]