Karl Friedrich Offen war von Beruf Tischler und lebte kinderlos mit seiner Frau Elsa im Apmannsweg 23 in Friedrichsgabe.[1] Er wurde am 3. Januar 1890 in Hamburg geboren und trat 1908 dem gewerkschaftlichen Holzarbeiterverband bei. Im Jahr 1924 wurde er zudem Mitglied der SPD.[2] Mit der Gewerkschaft und der Sozialdemokratie eng verbunden war auch seine Frau, die er 1934 heiratete.[3] Elsa Offen, geborene Gerhard, wurde im Jahr 1900 in Hamburg geboren und war ab 1918 in der SPD. Als Arbeiterin einer Metallwarenfabrik schloss sie sich dem Metallarbeiterverband an und engagierte sich 1926 im Betriebsrat.[4]
Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieben beide ihren politischen Auffassungen treu. Nach der Aussage von Henry Willner, ein Mitglied des sozialdemokratischen Widerstandes, soll Karl Offen sich in der NS-Zeit auch illegal politisch betätigt haben: „Mir ist der Tischler Carl Offen seit 1928 als Sozialist und Antifaschist bekannt. Während des Naziregimes wurde Carl Offen von uns (Gen. Wilhelm Hagen und mir) laufend mit antifaschistischem Propagandamaterial und Fotos, die als Beitragszahlung für die verbotene S.P.D. galten, versorgt. Carl Offen hat dieses Propagandamaterial in unserem Sinne verbreitet. Ge. Hagen und ich betrieben einen Seifen-Hausierhandel und verbanden damit unsere illegale Tätigkeit der S.P.D. im Kampfe gegen den Nationalsozialismus. Unser Propagandamaterial wurde uns vom Gen. Dr. Diedrich überbracht und in Langenhorn gedruckt.“ [5]
Der Sozialdemokrat Karl Offen arbeitete bei dem Tischlermeister Wilhelm Stürzenbecher, der einen ganz anderen politischen Hintergrund aufwies. Stürzenbecher hatte sich 1921 in Garstedt selbstständig gemacht und beschäftigte in seiner Werkstatt in der Ochsenzoller Straße mehrere Lehrlinge und Gesellen. Als Veteran des Ersten Weltkrieges wurde der 1886 im mecklenburgischen Conow geborene Stürzenbecher Anfang der 1920er Jahre Mitglied im Reichskriegerbund Kyffhäuser. 1937 trat er der NSDAP bei, war als Kassierer der lokalen Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation (NS-Hago) tätig, nahm zeitweise in Garstedt die Funktion des Ortshandwerksmeisters ein und war ab 1941 Ortswart der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF).[6]
An einem Tag im November 1941 kam es zum Eklat zwischen Offen und Stürzenbecher. Stürzenbecher erinnerte sich in einer Vernehmung in der Nachkriegszeit: „Es fiel mir seit längerer Zeit auf, dass Karl Offen zu langsam arbeitete, und ich nahm mir vor, ihn zu beobachten, da ich davon überzeugt war, dass er mehr schaffen konnte. Ich beobachtete dann, dass Offen die Uhr weiterstellte. Es war kurz vor Feierabend…“ [7] Als der spionierende Handwerksmeister hierauf die Belegschaft zusammenrief und Offen wegen der vorzeitigen Arbeitsbeendigung zur Rede stellte, merkte der Angesprochene an, dass sich der Handwerksmeister nicht lächerlich machen sollte. Das Gespräch eskalierte in einen heftigen Wortwechsel, in dessen Verlauf sich Offen umzog und den Arbeitsplatz verlies. Ungefähr zeitgleich traf der Ortsvorsitzende der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Karl Kords, ein, der zuvor von Stürzenbecher telefonisch herbeigerufen worden war. Kords informierte sich bei den Anwesenden über den Vorfall und erfuhr hierbei von den Lehrlingen, das Offen in politischer Hinsicht auf sie eingewirkt hätte. So habe er den Lehrlingen nach dem Hören der Radionachrichten zur Mittagszeit erzählt, dass er die Wahrheit der Nachrichten anzweifele und dass sie nicht alles, was über den Krieg berichtet wird, zu glauben bräuchten. Kords forderte daraufhin von seinem bei Stürzenbecher angestellten DAF-Betriebswalter, Willi Piel, einen Bericht über Karl Offen an. Als Betriebswalter der DAF war Piel nach dem Gesetz „Zur Ordnung der nationalen Arbeit“ für den „Arbeitsfrieden“ in der „Betriebsgemeinschaft“ zuständig. Eher etwas widerwillig fertigte er einen Bericht über seinen Arbeitskollegen Offen an und gab diesen in der Geschäftsstelle der DAF in der Ohechaussee ab, von wo aus er unter nicht ganz geklärten Umständen an die Gestapo übermittelt wurde.[8]
Unmittelbar nach der Auseinandersetzung mit Wilhelm Stürzenbecher kündigte Offen sein Arbeitsverhältnis auf und meldete sich – vielleicht aus dem Versuch heraus, dadurch einer politischen Nachstellung zu entgehen – freiwillig beim Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD), der für den zivilen Luftschutz zuständig war. Doch wenig später erhielt Offen ein Schreiben zugestellt, am 4. Dezember 1941 bei dem Arbeitsamt im Rathaus Garstedt vorstellig zu werden. Am Vorladungstermin erwartete ihn hier jedoch kein Mitarbeiter des Arbeitsamtes, sondern ein Gestapo-Beamter, der neben Offen auch Wilhelm Stürzenbecher, Willi Piel und weitere Arbeitskollegen vernahm.[9] Nach einem kurzen Gespräch wurde Karl Offen gegen 14.00 Uhr von der Gestapo festgenommen.[10] Damit er noch seine SHD-Uniform ablegen und sich umziehen konnte, wurde er mit dem Auto nach Hause in den Apmannsweg gebracht. Hier nutzte Offen einen unbeobachteten Augenblick, um sich im Haus einzuschließen, zu seiner Waffe zu greifen und sich im Schlafzimmer in den Kopf zu schießen. Schwer verletzt wurde er ins Kreiskrankenhaus Pinneberg gebracht, wo er abends verstarb. Seine Frau erinnerte sich in der Nachkriegszeit: „Mein Mann bekam dann eine Vorladung zum 4. Dezember 1941 ins Rathaus nach Garstedt. (…) Ich begleitete meinen Mann auf seinem Wege ins Rathaus. Stürzenbercher, 1 Geselle und die Lehrlinge waren ebenfalls anwesend und wurden verhört. Nach 10 Minuten kam mein Mann mit dem Gestapo-Beamten aus dem Keller und gab mir seine Brieftasche mit dem Bemerken: ‚Es ist aus‘. Er wurde in den draussen wartenden Gestapo-Wagen (ein Kieler Wagen) gebracht. Ich wollte mitfahren. Dieses wurde jedoch verweigert, mit dem Bemerken, dass mein Mann verhaftet sei. Ich habe noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich Angst hätte, mein Mann könnte sich etwas antun. Ich musste jedoch mit dem Fahrrad hinterher fahren. Vor unserem Hause stand der Gestapo-Beamte und auf mein Befragen, wo mein Mann sich befände, antwortete dieser, er wäre wohl geflüchtet. Ich versuchte die Tür zu öffnen, konnte dieselbe jedoch nicht aufbekommen. Alsdann lief ich um das Haus zum Schlafstubenfenster und sah alsdann meinen Mann über beide Betten mit einer Kopfwunde liegen. Abends um 6 Uhr ist er dann im Krankenhaus Pinneberg verstorben.“ [11]
Anhand der Quellen ist nicht ersichtlich, wie das Streitgespräch mit seinem Arbeitgeber verlief, welche Anschuldigungen Piel in seinem Bericht niederschrieb und was das kurze Gestapo-Verhör im Garstedter Rathaus beinhaltete. Aber die Vorwürfe schienen für Karl Offen vermutlich so gravierend gewesen zu sein, dass er es vorzog, seinem Leben ein Ende zu machen, als die Folgen einer Gestapo-Verhaftung auf sich zu nehmen.
Nach der Tat blieb die Witwe Elsa Offen nicht von Schikanen durch die Nationalsozialisten verschont. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Friedrichsgabe, Karl Lührs, soll sich nach dem Tod von Offen in einer öffentlichen Versammlung dahingehend geäußert haben, dass es jeden so ergehe, der nicht für die Nationalsozialisten sei.[12] Lührs ließ zudem, so die Witwe, „immer Lauscher hinter mein Fenster stellen, ob auch ich andere Sender im Rundfunk hörte.“ Des Weiteren äußerte sie über diese Zeit in ihrem Wiedergutmachungsverfahren: „Ich bekam nie Bezugsscheine, alles wurde immer abgelehnt. Dann wurde ich dienstverpflichtet trotzdem ich durch dies Geschehen Herz- und Nervenkrank wurde …“ [13]
Nach der Kapitulation meldete Elsa Offen den Vorfall dem zuständigen Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde in Quickborn, wo die Sache aus ungeklärten Gründen nicht weiterverfolgt wurde. Als schließlich Offens politischer Mitstreiter Henry Willner am 12. Februar 1947 bei der Kriminalpolizei Anzeige gegen den Tischler Wilhelm Stürzenbecher wegen Denunziation aus politischen Beweggründen erstattete, die zum Freitod des Karl Offen führte, nahm die Staatsanwaltschaft Itzehoe die Ermittlungen auf. Sie eröffnete ein Verfahren wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Rahmen eines nationalsozialistischen Gewaltverbrechens (NSG-Verfahren) gegen den Malermeister Karl Kords aus Garstedt, den Tischler Willi Piel aus Harksheide und den Tischlermeister Wilhelm Stürzenbecher.
Für die Staatsanwaltschaft war für das Strafverfahren die Frage entscheidend, wer den von Piel verfassten Bericht an die Gestapo weitergeleitet hatte. Die Witwe ging davon aus, dass es Wilhelm Stürzenbecher gewesen sei, der die Gestapo in Tätigkeit gesetzt habe. Dieser bestritt dieses hingegen und verwies auf Karl Kords, den er herbeigerufen habe und der Willi Piel anwies, einen Bericht anzufertigen. Karl Kords konnte sich zunächst nicht daran erinnern, einen Bericht angefordert zu haben.[14] Erst nach einer Gegenüberstellung mit Piel räumte er ein, dass ein solcher Bericht in der in seinem Haus ansässigen DAF-Geschäftsstelle abgegeben und dieser dann „anordnungsgemäß“ an den NSDAP-Ortsgruppenleiter Werner Hatje weitergeleitet worden sein könnte. Der Ortsgruppenleiter gab jedoch an, sich nicht mehr an einen solchen Bericht erinnern zu können. Die Oberstaatsanwaltschaft merkte hierzu an: „Gegen den Beschuldigten Kords besteht ein erheblicher Verdacht, daß er den von Piel erstatteten Bericht oder seinen wesentlichen Inhalt an die Gestapo weitergegeben hat.“ Da jedoch sichere Beweise fehlten, kam die Oberstaatsanwaltschaft zu der Bewertung: „Hiernach ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei keinem der drei Beschuldigten mit Sicherheit festzustellen.“ [15] Das Ermittlungsverfahren wurde im Juni 1948 eingestellt – eine rechtliche Sühne blieb aus.[16]
Elsa Offen, die nach dem Krieg in Friedrichsgabe im Gemeinderat tätig war, gab im Wiedergutmachungsverfahren an: „Mein Mann entzog sich der Verhaftung durch Erschiessen.“
Am 1. Dezember 2015 verlegte der Künstler Gunter Demnig in Erinnerung an Karl Offen vor seinem ehemaligen Wohnhaus einen STOLPERSTEIN. Dieser trägt die Aufschrift:
HIER WOHNTE
KARL OFFEN
JG. 1890
IM WIDERSTAND / SPD
HAFTBEFEHL 1941
VOR INHAFTIERUNG
FLUCHT IN DEN TOD
4.12.1941
Liebe Freunde,
ich habe bei der Stadt Norderstedt einen Antrag auf Sondernutzung gestellt, um einen Stolperstein setzen zu können. Leider muß ich Euch korrigieren, laut Aussage meiner Mutter sollen Kinder aus erster Ehe da gewesen sein, 1 Tochter bei ihm.
mit freundlichen Grüßen
Reinhold Nawratil