Die Ollnsstraße – eine „Straße des Widerstandes“. Zur Erinnerung an die Prozesse gegen die Antifaschisten Offenborn und andere

Denkmal Reinhold-Jürgensen-Platz
Gedenkstein-Reinhold-Jürgensen-Platz. Bild: R. Arendt
15. Juli 1934
Reinhold-Jürgensen-Platz, Elmshorn

Reinhold-Jürgensen-Platz

Auf Beschluss des Kulturausschusses wurde 1986 dieser Platz nach Reinhold Jürgensen benannt. Das dazugehörende Denkmal wurde im Dezember 1988 fertiggestellt und eingeweiht.

Allerdings: Reinhold Jürgensen hatte nicht hier, sondern in der Mordhorststr. 14 in der Nähe gewohnt. Er war von Beruf Elektriker und einer der führenden Persönlichkeiten der Elmshorner KPD. Als Reichstagsabgeordneter war er auch überörtlich bekannt — geradezu prominent.

Schon deshalb gehörte er 1933 zu den ersten Verhafteten. Er wurde in die Konzentrationslager Glückstadt und Kuhlen gesperrt. Nach seiner Freilassung organisierte er den Widerstand der KPD. Am 19. Dezember 1934 wurde er erneut von der Gestapo hier in Elmshorn verhaftet. Am 20. Dezember 1934 war er bereits tot. Gestorben wenige Stunden nach seiner Einlieferung in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel — nach schweren Misshandlungen. 36 Jahre war er alt.

 

Die Ollnsstraße – eine Straße des Widerstandes

Aus folgenden Häusern wurden Menschen verhaftet, vor Gericht gestellt und 1935/1936 verurteilt: (alle Häuser sind noch erhalten):

Nr. 16 (Walter Druwe)

Nr. 50 (Hermann Schmarbeck)

Nr. 52 (Franz und Willi Wegner)

Nr. 54 (Peter Hasenberg)

Nr. 58 (Adolf und Hans Hachmann)

Nr. 84 (Hinrich Studt)

Nr. 94 (Johannes Offenborn)

Nr. 96 (Bernhard Seidel)

Nr. 98 (Karl Seidel)

Nr. 111 (Theodor Lohmann)

Beispiel Ollnsstraße 54: Peter Hasenberg

Peter Hasenberg, geb. 1887, war von Beruf Maschinenschlosser und sowohl Stadtverordneter als auch Kreistagsabgeordneter der KPD. Am 12. März 1933 wurde er bei den letzten Kommunalwahlen erneut zum Stadtverordneten

gewählt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet war. Aus einem Bericht von Peter Hasenberg :„1933 war ich neun Wochen in Schutzhaft. Am 4. Dezember 1934 wurde ich von der Gestapo Hamburg wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet und in das KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Anschließend kam ich ins KZ Esterwegen. Am 6. Januar 1936 wurde ich vom Kammergericht Berlin zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe in Neumünster wurde ich von der Gestapo Neumünster verhaftet und blieb

anschließend dort selbst 9 Wochen in Schutzhaft. Im August 1944 wurde ich erneut festgenommen und verblieb 5 Wochen im KZ Neuengamme.“

Nach Kriegsende wurde Peter Hasenberg zunächst von der britischen Militärregierung in die neue Elmshorner Gemeindevertretung berufen. Bei den ersten freien Gemeinderatswahlen am 15. September 1946 wurde er als Kandidat der KPD in die Gemeindevertretung gewählt.

Beispiel Ollnsstraße 58: Hans Hachmann

KPD-Mitglied seit1920; in der Roten Hilfe seit 1929; RGO seit 1931.

1926-1928 Mitglied des „Intern. Bundes der Opfer der Arbeit und des Krieges“

Als die Nazis am 30. Januar 1933 an die Macht kamen, begann Hans Hachmann, „illegal zu leben“. Das heißt, dass er sich bei politischen Freunden versteckte. Er war so genannter Org-Leiter der KPD Elmshorn, Organisationsleiter, und damit zweitwichtigster Funktionär. An der Spitze der KPD stand der sogenannte Pol-Leiter, der politische Leiter. Das war Anfang 1933 Reinhold Jürgensen und nach dessen Verhaftung Johannes Offenborn.

Bereits am 28. April 1933 wurde Hans Hachmann verhaftet, sein Nachfolger wurde dann Heinrich Duscheck, später Ernst Rathje. Über ein Jahr war er in Haft, bis er am 22. Juni 1934 endlich wieder frei kam. Sofort beteiligte er sich wieder am Widerstand.

Aus dem Urteil gegen Hans Hachmann vom Dezember 1935: „Der Angeklagte Hachmann hat sich in äußerst reger Weise für die KPD eingesetzt. Lediglich die Strafhaft vom 28. April 1933 bis 28. Oktober 1933 und die daran anschließende achtmonatige Schutzhaft bis zum 22.Juni 1934 hat ihn daran gehindert, auch während dieser Zeit eine führende Rolle in der Partei zu spielen…

Hachmann hat in der Hauptverhandlung die Sachlage so darstellen wollen, als wenn er nur auf Anweisung von dritter Stelle gehandelt habe und behauptet, dass er die Organisation der Druckschriftenherstellung bzw. Verbreitung nicht aufgezogen habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob Hachmann selbst organisiert hat. Jedenfalls hat er … Anweisungen für die Herstellung der Schriften gegeben, hat er vervielfältigt, hat er den Transport der Schriften geleitet. Hachmann ist nicht Strohmann gewesen. Er ist vielmehr stets in vorderster Linie als Einberufer von Versammlungen, als Redner tätig gewesen. Gewiss hat auch er in der Parteiorganisation Vorgesetzte gehabt, die Anweisungen gaben. Die Ausführung dieser Anweisungen hat er aber selbständig getätigt. Hachmann ist, wie die Hauptverhandlung ergeben hat, wenn auch keine geistig überragende Persönlichkeit so doch ein geistig reger, willensstarker Mensch. Er ist auch heute überzeugter Kommunist und hat trotz wiederholter eingehender Ermahnungen zur rückhaltlosen Wahrheit es nicht über sich gebracht, dem zu folgen, sondern hat nach alter kommunistischer Taktik immer nur das zugegeben, was ihm durch andere Beweismittel nachgewiesen werden konnte. Der verhältnismäßig geringe Tätigkeitsaufwand ist bei ihm kein Zeichen der Geisteshaltung gewesen. Hachmann ist staatsfeindlich eingestellt. Sein Wille ist ein starker gewesen. Er hat erheblich auf seine Genossen eingewirkt und dem Staat Abbruch getan, so und sobald er konnte. Eine erhebliche Zuchthausstrafe ist hier am Platze.“

Hans Hachmann wurde zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren verurteilt.

Beispiel Ollnsstraße 94: Johannes Offenborn

Johannes Offenborn, geb. 1902, war von Beruf Maschinenbauer. Er gehörte zu den führenden Kräften im Widerstand der KPD. Er hatte bei der Elmshorner Firma Steen und Kaufmann das Dreher- und Maschinenbauhandwerk gelernt, arbeitete aber hauptsächlich in Hamburg in den Betrieben Menck & Hambrock und Hanseatische Motorenfabrik. Aus einem Bericht von ihm:

„Vom 17. Lebensjahr an war ich Mitglied des Deutschen Matallarbeiter­Verbandes, von dem ich im Jahre 1931 ausgeschlossen wurde, wegen meiner oppositionellen Haltung gegenüber der Gewerkschaftsführung. Im Jahre 1930 kandidierte ich bei der Firma Menck & Hambrock in Hamburg zu den Arbeiter-und Betriebsratswahlen. Ich wurde in der ersten Arbeiterratssitzung zum Vorsitzenden gewählt. Im August 1932 wurde ich bei einer Aussperrung als Gemaßregelter wieder eingestellt. Seit dem Jahre 1921 war ich Mitglied der KPD … Ich habe während der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei diverse Funktionen u.a. als Literaturobmann, als stellvertretender politischer Leiter und während der illegalen Zeit von März 1933 bis zur Verhaftung im Dezember 1934 den Posten des politischen Leiters der Ortsgruppe Elmshorn innegehalten.“

Vom 20. März 1933 bis 2. April 1933 war Johannes Offenborn das erstemal in Haft. Am 4. Dezember 1934 wurde er erneut, diesmal von der Gestapo Hamburg, verhaftet. Er kam in das Hamburger Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Von dort kam Johannes Offenborn im Mai 1935 mit einem Transport von 245 Elmshornern, Barmstedtern und Widerstandskämpfern aus Uetersen in das KZ Esterwegen. Am 13. Dezember 1935 verurteilte ihn das Berliner Kammergericht in der Prozessserie „Offenborn und Andere“ zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren, die er in den Zuchthäusern Fuhlsbüttel, Rendsburg und Oslebshausen bis 1942 verbüßte. Anschließend kam er zurück in das inzwischen in Polizeigefängnis Fuhlsbüttel umbenannte ehemalige Konzentrationslager Fuhlsbüttel und von dort 1944 in das KZ Sachsenhausen. Am 2. Mai 1945 wurde er von alliierten Truppen befreit. Somit hatte er von den zwölf Jahren NS-Diktatur fast 10 1/2 Jahre in Strafanstalten und Konzentrationslagern verbracht.

1945 wurde Johannes Offenborn Mitglied der von der britischen Militärregierung ernannten Gemeindevertretung von Elmshorn.

 

Insgesamt 702 Jahre Haft für Antifaschisten

Der faschistische Terror richtete sich nach der Machtübertragung an die NSDAP in erster Linie gegen die Organi­sationen der Arbeiterbewegung. Bereits bis zum 15. Juli 1934 waren in Elmshorn über 200 Personen wegen „politischer Delikte“ verhaftet und zum Teil in Konzentrationslager und Zucht­häuser eingekerkert. Erste Kon­zentrationslager entstanden in Glückstadt und in Rickling bei Neumünster.

Andere Antifa­schisten wurden in die Lager Fuhlsbüttel und Esterwegen im Emsland verschleppt. Die Be­reitschaft zum Widerstand blieb aber bei vielen Mitgliedern der verbotenen Organisationen der Arbeiterbewegung ungebrochen. Trotz Terror und Verfolgung wurde der aktive Widerstand weiter organisiert.

Ende 1934/Anfang 1935 konnte die Gestapo in Elmshorn, Glück­stadt, Barmstedt, Uetersen und umliegenden Dörfern über 300 Antifaschisten der illegalen KPD, RGO, Roten Sporteinheit, Roten Hilfe und des Reichsbanners, Kommunisten, Sozialdemokra­ten und Parteilose, verhaften. 14 dieser verhafteten Widerstands­kämpfer kamen allein aus der Elmshorner Ollnsstraße.

Fast alle wurden in das Ham­burger KZ Fuhlsbüttel (KoLaFu) — danach in das KZ Esterwegen im Emsland verschleppt und wurden im Verlauf der Verneh­mungen misshandelt und gefol­tert. Am 20. Dezember 1934 wurde der KPD-Reichstagsab­geordnete aus Elmshorn, Rein­hold Jürgensen, im KoLaFu von SS-Männern erschlagen. Am 21. Januar 1935 ermordeten SS-Angehö­rige den Elmshorner Max Wriedt (KPD) und am 3. Oktober 1935 erlag Wilhelm Peetz aus Hainholz im KZ Esterwegen seinen Verletzungen aus Folter und Misshandlung.

Im November 1935 wurden 16 Antifaschisten aus Glückstadt und Umgebung zu Gefängnis-und Zuchthausstrafen verurteilt. Im Dezember 1935 wurde in Hamburg vor dem 3. Strafsenat des Kammergerichts Berlin die Prozessserie gegen „Offenborn und andere“ eröffnet. 17 Frauen und 252 Männer wurden in 24 Teilprozessen zu insgesamt 661 Jahren 9 Monaten Zuchthaus und 40 Jahren 3 Monate Ge­fängnis verurteilt. Alle verurteilten Antifa­schistinnen und Antifaschisten mussten die verhängte Zeit in den Zuchthäusern Fuhlsbüttel und Rendsburg und im Strafla­ger Aschendorfer Moor in voller Länge absitzen. Viele von ihnen setzten danach den Widerstand fort, waren an der Selbstbefrei­ung in Elmshorn beteiligt und setzten sich nach der Befreiung für einen antifaschistischen, demokratischen Neuanfang ein.

verwendete Literatur: „IV. Prozess in Sachen „Offenborn und andere“ Seite 70 bis 92 in: „Die Freiheit lebt! Antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung“, Fritz Bringmann und Herbert Diercks, Röderberg-Verlag Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-87682-040-5

Rundgang durch Elmshorn am 15. Mai 2004 – Manuskript: Herbert Diercks

 

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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