Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden gezielt einzelne politische Gegner inhaftiert, aber auch Massendurchsuchungen in „berüchtigten“ Gegenden vorgenommen, um Waffen oder „staatsfeindliche Propagandamaterialien“ ausfindig zu machen und ggf. weiterhin bestehende Strukturen der Sozialdemokraten und Kommunisten zu zerschlagen. In einem solchen Zusammenhang fand z.B. am 14. Mai 1933 eine Großrazzia mit hunderten von Polizisten, SA- und SS-Mitgliedern in Quickborn-Heide statt.[1] Am 12. August 1933 war eine solche Durchsuchung für Friedrichsgabe und Harksheide angesetzt.
Vermutlich auf Anweisung des Pinneberger Landrats Duvigneau und unter dem Kommando des Oberleutnants der Gendarmerie Schwieger wurden zehn bis zwölf Polizisten zusammengezogen, die zusammen mit 20 bis 25 SA- und SS-Männern die Gegend absuchten. Der Gendarm Grandorff gab nach dem Krieg an: „Die Aktion erstreckte sich nach Mitteilung von Schwieger auf Durchsuchung von Waffen. Wir wurden in Trupps eingeteilt unter Zuteilung von SS- und SA-Leuten und erhielten einen gewissen Bereich.“ Ferner äußerte er: „Besonders die Häuser und Siedlungen am Heidberg wurden vorgenommen, weil dort angeblich Gegner der damaligen NSDAP sein sollten.“ [2] Durchsuchungen fanden u.a. statt bei Reinhold Masanek und Stueben in Harksheide sowie bei Otto Schulz in Friedrichsgabe. Insgesamt vier Personen wurden im Rahmen dieser Aktion festgenommen. Nach den Durchsuchungen sammelten sich alle beteiligten Polizeibeamte sowie die hinzugezogenen SS- und SA-Männer mit den Festgenommenen in der Gastwirtschaft von Emma Hagen „Zum Heidberg“ in der Ulzburger Straße.[3]
Verhaftet wurden Reinhold Masanek aus Harksheide sowie Otto Schulz und Alfred Stamer aus Friedrichsgabe. Masanek war in der Gemeinde Harksheide SPD-Vorsitzender. Er wurde abends von SS- und SA-Mitgliedern aufgesucht, die sich gewaltsam Zutritt zu seiner Wohnung in der Tangstedter Landstraße verschafften. Nach dem Eindringen schlugen sie auf ihn ein und machten auch vor seiner Tochter und seiner Frau nicht Halt, die sich schützend vor ihm stellten. Nach der Misshandlung wurde er von seinen Peinigern mitgenommen (siehe Quelle unten).[4]
Der 41-jährige Heizer Otto Schulz war seit 1911 Mitglied der SPD und lebte seit 1923 in Friedrichsgabe in der Quickborner Straße.[5] Da er als engagierter Sozialdemokrat in der Gemeinde bekannt war, versuchten ihn die Nationalsozialisten mehrfach einzuschüchtern. In der Zeit der Gemeindevertreterwahlen im März 1933 lauerten ihm 25 bis 30 SA-Männer auf, um ihn zu verprügeln. Der Einsatz einer Gruppe des sozialdemokratischen Reichsbanners konnte dieses noch verhindern.[6] Über seine Verhaftung am 12. August 1933 erinnerte er sich: „Ca. 10 Personen – Polizei und SA-Leute – drangen in meine Wohnung und führten eine Haussuchung durch. Dieses war mir aber nichts Neues, da es bereits die 9. Haussuchung war. Als sie in meiner Wohnung einen Gummiknüppel fanden, wurde ich festgenommen und auf den LKW. geschafft.“ [7]
Auf dem LKW befand sich bereits Alfred Stamer (siehe Spur „Misshandlung des Sozialdemokraten Alfred Stamer), der nur mit Hose, Hemd und Filzpantoffeln bekleidet war. Beide wurden zum „Verhör“ in die Gastwirtschaft gefahren. Hier warf der NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Lührs dem Sozialdemokraten Alfred Stamer vor, als früherer Bürgermeister der Stadt Pillau sich anlässlich der Einweihung des Tannenberg-Denkmals geweigert zu habe, den ehemaligen General Erich Ludendorff zu empfangen. Lührs nannte Stamer einen Lump und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Hierauf rief der SS-Mann Johannes Neels „Das Aas hat ja noch die Brille auf“, woraufhin mehrere SA- und SS-Männer über Stamer herfielen und ihn mit Fußtritten traktierten. Ein Nationalsozialist schlug ihm mit einem Koppel mehrmals auf den Rücken. Die Prügelei wurde nach einer Zeit von den anwesenden Gendarmeriebeamten gestoppt, die Stamer abführten.[8]
Misshandelt wurde an diesem Tag auch der 21-jährige Maurer Ernst Bornkast. Dieser war den Nationalsozialisten bereits seit längerer Zeit als Antifaschist bekannt. Ende Juni 1933 war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Bornkast und dem Nationalsozialsiten Wülfken gekommen. Letzterer hatte Bornkast auf der Straße mit den Worten angesprochen „Da steht der Kommunist“ , woraufhin sich ein heftiger Wortwechsel entzündete, in dessen Verlauf Wülfken mit einer Stabstaschenlampe nach Bornkast warf. Als er schließlich seine Pistole ziehen wollte, setzte sich Bornkast mit einem Steinwurf zur Wehr und verschwand.[9] Wülfken zeigte diesen Vorfall an und sorgte dadurch dafür, dass Bornkast von dem Amtsvorsteher Heinrich Lohse für eine Woche in „Schutzhaft“ genommen und anschließend über ihn für den Bereich Friedrichsgabe ein vierwöchiges Aufenthaltsverbot verhängt wurde.[10] Am Tag der Durchsuchungsaktion – sein Aufenthaltsverbot war gerade beendet – wurde er eher zufällig, bei einer „passenden“ Gelegenheit festgenommen, wie aus seiner Darstellung in einer polizeilichen Vernehmung 1948 hervorging: „Im Sommer 1933, den Tag und Monat kann ich nicht mehr genau angeben, [gemeint ist der 12.08.1933, d. Verf.] holte ich mir Zigaretten aus einem Geschäft gegenüber der Gastwirtschaft Hagen in Friedrichsgabe. Als ich aus diesem Geschäft herauskam, stand Lührs vor der Tür, packte mich ohne ein Wort zu sagen an die Brust und zog mich über die Straße in das Lokal von Hagen. In der Gastwirtschaft wurde ich von etwa 5 – 6 SS Leuten in Empfang genommen, von diesen mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten. Dann mußte ich mich in der Gaststube an einen Tisch setzen. Ein SS Mann legte seine Pistole auf den Tisch und sagte, daß er sofort schießen würde, wenn ich ausrückte. Dann erschien ein weiterer SS Mann und schlug mich mit einem Riemen, an dem sich ein Karabinerhaken befand, über den Kopf, so daß ich stark blutete.“ [11] Die Gastwirtstochter Lydia Hagen erinnerte sich in der Nachkreigszeit: „Ich befand mich die meiste Zeit in der Küche. Plötzlich hörte ich Lärm in der Gaststube. Ich ging dorthin und sah, wie Bornkast von einem mir unbekannten SS-Mann mehrmals an den Kopf geschlagen wurde, so daß er stark blutete. Ich holte Wasser, ein Tuch und einen Spiegel, damit Bornkast sich säubern konnte.“ [12] Ortsgruppenleiter Lührs machte Bornkast Vorhaltungen, dass er mit der SPD und KPD sympathisiere und forderte ihn auf, sich umgehend beim Arbeitsdienst zu melden, andernfalls er einem Konzentrationslager zugeführt werde. Ernst Bornkast und Otto Schulz konnten nach dem „Verhör“ die Gastwirtschaft wieder verlassen und nach Hause gehen. Alfred Stamer hingegen wurde nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im Garstedter Gefängnis am 14. August 1933 in das KZ Kuhlen bei Rickling verschleppt.[13]