Selbstbefreiung vom Faschismus in Elmshorn: Die Aktion „weiße Flagge“

Infotafel zur Selbstbefreiung
Kirchturm der St. Nikolai
3. Mai 1945
Alter Markt 1, Elmshorn

Die „Aktion weiße Flagge“ auf dem Kirchturm der Nikolaikirche am Alten Markt am 3. Mai 1945

Am 3. Mai 1945, einem Donnerstag waren die Verhältnisse in der Stadt völlig unüberschaubar. Alle Straßen in und um Elmshorn waren mit Wehrmachtsverbänden verstopft. Nach dem Dönitz-Befehl der kampflosen Übergabe Hamburgs zogen nun Teile der nordwärts strömenden Truppen durch die Stadt hindurch, andere befolgten dem Befehl sich hier zu verschanzen. Zu befürchten stand der Aufbau einer neuen Hauptkampflinie und durch die Präsenz großer Militärpotentiale erneut schwere Luftangriffe der Briten.

Dieser Situation hatte sich der erst zwei Tage im Amt tätige Bürgermeister Dr. Küster nicht gewachsen gezeigt. Der Ende April lose formierte Widerstandskreis um den sozialdemokratischen Fabrikanten Erich Arp, und dem kommunistischen Gastwirt Arthur Geißler reagierte schnell. Die Antifaschisten bildeten zunächst einen sogenannten „Aktionsausschuß“. Am Nachmittag kursierten Flugblätter in der Stadt in denen dann der sogenannte „Übergabe-Ausschuß“ zum Hissen weißer Flaggen aufrief.

Die „Aktion weiße-Flaggen“ stieß auf große Resonanz: Es wurde eine vorbereitete weiße Fahne hier auf dem Kirchturm gesetzt. An mehr und mehr Häusern waren Bettlaken und weiße Unterhemden zu sehen, und schließlich „wurde die ganze Stadt auf einen Schlage weiß beflaggt.“Christa Schenck erinnert sich: „voller weißer Fahnen will ich nich´ sagen, sind auch Häuser gewesen, die keine hatten. Aber bei uns in der Roonstraße war´n doch etliche, die ich erinnere, die dann weiße Fahnen rausgehängt haben. Und die Kirche wurde oben auf dem Kirchturm – an allen vier Ecken wurden weiße Fahnen rausgehängt.“1

Dies war nicht ganz ungefährlich. Seit Anfang April galt der Befehl Himmlers, alle männlichen Bewohner eines weißbeflaggten Hauses zu erschießen und die Wohnstatt abzubrennen. Tatsächlich begannen beim Durchmarsch stärkerer SS-Truppen die Offiziere aus herumfahrenden Wagen und Krads das Streichen der weißen Flaggen zu befehlen. Zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen SS-Angehörigen und dem Lederfabrikanten und Antifa-Symphatisanten Wilhelm Knecht kam es, als die auf dem Kirchturm angebrachten weißen Fahnen heruntergeworfen wurden. Mehrfach schoß die SS ohne Warnung auf Fahnen und Fenster. Sie drohte Handgranaten in die Fenster zu werfen, wenn die Beflaggung nicht sofort eingezogen wird, und meinte gar, dass es auf einige Frauen oder Kinder nun auch nicht mehr ankommen würde.

Nach Abzug der SS-Verbände sollen etwa die Hälfte der weißen Flaggen eingezogen worden sein. In der Nacht zum Freitag kletterten Erich Arp und Arthur Geissler abermals auf den Kirchturm und befestigten hier die vier Bettlaken, die dann nicht mehr heruntergeholt wurden. Erich Arp: „… und in der Nacht da drauf, also die Gegenwehr hat zum Verschwinden der weißen Flaggen geführt, und dann sind wir wieder noch mal nachts auf den Kirchturm geklettert und haben von unseren Muttis vier Bettlaken geholt und raufgehängt. Den Zugang, den Abgang verrammelt, den Schlüssel weggeworfen – und die sind dann auch hängengeblieben.“2

(Aus: Detlef Siegfried: „Zwischen Einheitspartei und Bruderkampf: SPD und KPD in Schleswig-Holstein 1945/1946“. Neuer Malik-Verlag; 1992)

1 Originalton Christa Schenck und 2 Originalton Erich Arp in „Freie Republik Elmshorn – 11 Tage im Mai 1945“ von Karl Siebig und Hajo Wilms, Radiosendung NDR Welle Nord 1993

von Rudi Arendt

 

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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