Der „Jungdeutsche Orden“

Paul Sahling, "Gefolgschaftsmeister" des Jungdeutschen Ordens, Foto ca. 1933 (Bundesarchiv Berlin)
20. Juli 1924
Kieler Straße 119, Quickborn

Zu den völkischen Organisationen, die der NSDAP indirekt den politischen Aufstieg bereiteten, gehörte der Jungdeutsche Orden. Dieser ging aus dem im Januar 1919 gegründeten Freikorps „Offiziers-Companie Cassel“ unter Leitung des Hauptmanns Arthur Mahraun hervor, das sich nach dem militärischen Einsatz gegen revolutionäre Arbeiter in Hessen und Thüringen am 17. März 1920 in eine zivile politische Organisation umformierte, in Teilen jedoch bewaffnet blieb. Der Organisationsaufbau des Jungdeutschen Ordens (abgekürzt: Jungdo) orientierte sich an dem mittelalterlichen Deutschen Orden mit seinen „Scharen“, „Gefolgschaften“ und „Bruderschaften“. Nach der Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau im Sommer 1922 wurde neben anderen rechten paramilitärischen Verbänden auch der Jungdo in vielen deutschen Ländern verboten, konnte aber im Januar 1923 seine Tätigkeit bereits wieder fortsetzen.[1] Anfang der 1920er Jahre hatte diese Vereinigung mit 200.000 Anhängern ihren höchsten Mitgliederstand erreicht. Juden konnten aufgrund des in der Satzung enthaltenen „Arierparagrafen“ nicht Mitglied werden.[2] Um der Zersplitterung im rechten Lager entgegenzuwirken, rief der Jungdo Ende 1929 unter Beteiligung einzelner Mitglieder u.a. der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der Deutschen Volkspartei (DVP), der Volkskonservativen Partei und der Bauern- und Landvolkpartei zur Gründung der Volksnationalen Reichsvereinigung auf, die wenig später mit der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zur Deutschen Staatspartei fusionierte. Nach der weitgehend erfolglosen Beteiligung an den Reichstagswahlen 1930 schied der Jungdo jedoch wieder aus der Partei aus.[3]

In Schleswig-Holstein gründeten sich die ersten Gruppen des Jungdo im Frühjahr 1923 und schlossen sich 1924 zum schleswig-holsteinischen Landesverband „Ballei Nordmark“ zusammen.[4] Seinen Anhang rekrutierte er vorwiegend aus den gewerblichen und akademischen Mittelschichten der Land- und Kleinstädte.[5] In einer in Schleswig-Holstein verbreiteten Flugschrift führte der Orden hinsichtlich seiner Ziele an: „Der Jungdeutsche Orden erstrebt die deutsche Volksgemeinschaft auf christlicher Grundlage und will durch die ordensartige Zusammenfassung aller gut deutsch gesinnten Männer eine Gemeinschaft herstellen, die fest entschlossen ist, den Wiederaufbau des gebliebten Vaterlandes zu fördern und für die sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes zu arbeiten. Sein Kampf gilt der sittlichen Entartung, der Unehrenhaftigkeit und Selbstsucht, die des Staates Grundfesten unterwühlten und des Volkes Wiederaufstieg unmöglich machen. Er will auf der in den Stürmen des Krieges erprobten Kameradschaft und Manneszucht weiterbauend, frei von Standes- und Parteiengegensätzen, für die gegenseitige Achtung und Versöhnung aller gut deutsch gesinnten Männer wirken und den unseligen Zwiespalt, Neid und Haß bekämpfen, der heute selbst die Besten des Volkes entzweit. Er will mit dem Geiste alter Opferwilligkeit und Hingabe für das Vaterland den Sinn für deutsche Mannestugend auf das Neue in deutschen Herzen ausbreiten.[6] Zu seinen Aufgaben zählte der Orden die Pflege der deutschen Geisteskultur, die Förderung des „volksgemeinschaftlichen“ Gedankens und die Erziehung zur Pflichttreue gegenüber Staat und Gesellschaft. In der Flugschrift prophezeite der Jungdo: „Ein jungdeutsch-völkisches Erwachen wird aufgehn im deutschen Volk und der Volksgemeinschaft aller Deutschen entgegenmarschieren. In diesem Erwachen soll der jüdische Materialismus, die Selbstsucht und der Schachergeist, die Volksverhetzung und Vergiftung versinken…[7]

In der „Bruderschaft Pinnau“, dem im Kreis Pinneberg zusammengeschlossenen Kreisverband des Jungdo, waren neben Elmshorn, Uetersen, Haselau, Haseldorf, Pinneberg, Rellingen, Halstenbek und Wedel auch eine „Gefolgschaft“ in Quickborn vorhanden.[8] Neben der örtlichen „Gefolgschaft“ existierte eine „Schülerabteilung“ [9] und seit 1929 eine „Jungdeutsche Schwesternschaft“.[10] Zu den lokalen Tätigkeiten des Jungdo gehörten „Ausspracheabende“[11] und Hermann-Löns-Versammlungen, in denen aus den Werken des volkstümlichen Dichters gelesen wurde.[12]

Einen größeren öffentlichen Auftritt hatte der Jungdo am 20. Juli 1924 während eines Volksfestes des Kampfgenossen- und Kriegervereins, auf dem die Bannerweihe (schwarzes Kreuz auf weißem Feld) der Quickborner „Gefolgschaft“ stattfand (siehe Quelle). In der „Weiherede“ führte der Redner nach der Lokalpresse über den Zweck des Ordens aus: „Ihr Ziel sei eine grundsätzliche Erneuerung des ganzen Volkes von innen heraus durch Pflege einer völkischen, einer nationalen und einer christlichen Gesinnung. Völkisch sein bedeute, Kampf allem Judentum, bedeute, sein Vaterhaus, seine engere Heimat und das ganze deutsche Vaterland über alles lieb haben, bedeute Altäre bauen, an denen jeder Deutsche wieder beten könne.[13]  Eine weitere große Veranstaltung war der Kreisjugendtag des Jungdo, der am 26./27. Oktober 1929 in Quickborn stattfand. Neben Vorträgen über Sinn und Zweck des Ordens und „Elternabende“ sollte das Wochenende durch gemeinsames Singen, Morgengymnastik, Kirchgang und Gedichtsvorträgen der körperlichen und geistigen Ertüchtigung dienen.[14]

In den Veranstaltungen des Jungdeutschen Ordens wurde oft die Spaltung des deutschen Volkes beklagt, die nur durch eine nationale „Volksgemeinschaft“ behoben werden könnte. Auf einer Weihnachtsfeier der Quickborner „Gefolgschaft“ am 17. Dezember 1925 äußerte sich der „Großmeister der Bruderschaft Pinneberg“ hierzu laut Presse wie folgt: „Er rechnete mit allen denen ab, welche den Standesdünkel und den Kastengeist züchten und kündigte ihnen den Kampf an. Der Zwiespalt in unserem Ort soll ausgeglichen und durch Gemeinschaftssinn und Bruderliebe überbrückt werden. Der Orden setzt sich ein für deutsche Art, deutsches Fühlen und deutsche Kultur.[15] Als Maßnahmen zur Behebung der deutschen Wirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit setzte der Jungdo, wie einem „Ausspracheabend“ zu entnehmen war, auf die landwirtschaftliche Ansiedlung von Arbeitern und Angestellten in Ostdeutschland und die Einführung eines zweijährigen „Volksdienstes“.[16] Vor Ort bemühte sich der Jungdo 1932 zusammen mit der NSDAP um die Einrichtung eines frewilligen Arbeitsdienstes.[17]

Trotz der partiellen Zusammenarbeit und gemeinsamen völkischen, antisemitischen und nationalistischen Inhalten blieb auch der Jungdo nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht von einer politischen Ausgrenzung verschont und gab Anfang Juli 1933 die Selbstauflösung bekannt.[18] Viele seiner Mitglieder fügten sich den neuen Verhältnissen. So wurde auch der in der Kieler Straße[19] wohnende Quickborner „Gefolgschaftsmeister“, der Buchhalter Paul Sahling, am 1. Mai 1933 mit der Mitglieds-Nummer 2.749.463 in die NSDAP-Ortsgruppe aufgenommen.[20]

Veröffentlicht von Jörg Penning am

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