An dieser Stelle, mit Blick auf die heutige Fußgängerzone Königstraße und unter dem Eindruck eines Bilddokumentes von Per Koopmann (1), das diese Aussicht nach dem 3. August 1943 zeigt, folgende Anmerkungen: „Dieser Krieg auch aus der Luft, hatte lange vor dem 3. August 1943 begonnen: Mit dem Angriff der deutschen Luftwaffe. Der Legion Condor, zur Unterstützung des faschistischen Caudillo Francisco Franco auf das baskische Städtchen Guernica am 26. April 1937 – 586 Tote und Tausend Verletzte. Gefolgt nach Kriegsausbruch von der Zerstörung Warschaus im September 1939, Rotterdams, Londons, Coventrys und Belgrads 1940/41 – Totenziffern mit fünf Nullen.“ Ralph Giordano (2)
Oft wird die Behauptung hervor gebracht, die britische Royal Air Force habe mit der Bombardierung deutscher Städte ins Reich zurückgetragen, was die Wehrmacht den Menschen der von ihr überfallenen Länder angetan habe. Das ist falsch und lenkt von der nicht nur allgemeinen, sondern ganz konkreten Verantwortung des Faschismus für das Verbrechen des Krieges und eben auch für die Leiden der Zivilbevölkerung in Deutschland ab. Zum ersten war der Angriff auf Großbritannien ein Akt der Aggression, Teil der gewaltsamen Neuordnung Europas unter Vorherrschaft Hitlerdeutschlands, der Krieg der Anti-Hitlerkoalition in Deutschland dagegen Mittel der Gegenwehr und der Beseitigung der anhaltenden Kriegsursache. Zum anderen erfolgte noch eine Bombardierung britischer Städte in den letzten Kriegsmonaten unter blindwütigem Einsatz der so genannten V-Waffe, auch als sich abzeichnete, dass die deutsche Luftwaffe die britische RAF nicht würde ausschalten können.
Ein wesentliches Moment für die weitere Kriegsführung Großbritanniens und dann der Alliierten war, dass der Luftkrieg mit dem Scheitern der deutschen Luftaggression gegen die Insel nicht beendet war, nicht beendet werden konnte. Hätte Großbritannien nicht alle Anstrengungen unternommen, die Front im Luftkrieg auf den Kontinent und nach Deutschland zu verschieben, wäre es der Luftaggression mit allen furchtbaren Folgen für die Bevölkerung ausgesetzt geblieben. (3)
Die militärische Niederlage Deutschlands dagegen zeichnete sich spätestens 1943 deutlich ab. Im Osten hatte die Rote Armee die Gegenoffensive (Kapitulation der sechsten Armee in Stalingrad am 31.1.43) und damit die erste entscheidende Wende eingeleitet. Wenige Monate später, am 12. Mai, kapitulierte das deutsche Afrika-Korps, zwei Monate später führten die Alliierten in Nordafrika die Landung in Sizilien durch, die zum Sturz Mussolinis und im September zur Kapitulation Italiens führte. Ebenfalls im Mai trat mit dem faktischen Zusammenbruch des bis dahin für die Alliierten äußerst verlustreichen und gefährlichen deutschen U-Bootkrieges die Wende auf dem Atlantik ein. In diese Phase fällt auch das Bilddokument vom Bombenangriff in Königstraße/Ecke Holstenstraße.
In Elmshorn gab es mit der Kremer-Werft ein eigens für die Rüstungsproduktion erweiterten Betrieb im Stadtinnern. Die Werft erzeugte Spezialfahrzeuge für Heer, Luftwaffe und Marine. Torpedobergungsschiffe, Landungsboote, und Tankschiffe wurden in Serie gebaut. Die im Stadtarchiv vorliegenden Baulisten weisen etwa 100 Nummern Kriegsproduktion nach. Hinzu kamen zahlreiche Aufträge für andere Rüstungsgüter wie Kabeltrommeln, Pontons, Versorgungsanlagen und Ausrüstungsgegenstände für U-Boote. (4)
In der Endphase des Krieges fand sich in den Kerngebieten des Reiches eine Militärmacht zusammengedrängt, wie die Welt sie noch nie erlebt hatte. Diese zur Niederlage verurteilten Kräfte waren gleichwohl bis zuletzt außerordentlich gefährlich. Das Verbrechen der faschistischen Führung nicht zu kapitulieren, als die Niederlage längst feststand, hat Millionen Menschen das Leben gekostet.
Die faschistische Herrschaft hatte durch ihre Vernichtungspolitik im Innern und ihrer Okkupationspolitik eine staatliche Identität geschaffen, die als Verhandlungspartner nicht anzuerkennen war. Jede andere Lösung als die bedingungslose Kapitulation hätte bis zu einem gewissen Grade die Anerkennung der faschistischen Verbrechen bedeutet. An der Berechtigung des Kriegsziels der bedingungslosen Kapitulation durch die Alliierten kann daher unter keinem Gesichtspunkt gezweifelt werden.
Ralph Giordano hat 1987 gegen die Verdrängung und Leugnung dieser geschichtlichen Tatsachen die Wirkungsweise „kollektiver Affekte“ angeführt. Einer davon ist das Aufrechnen deutscher Opfer durch den alliierten Luftkrieg, und darunter besonders die Dresdens.
„Die Zweifler an der Mordbilanz der „Endlösung“ nennen im Zusammenhang mit dem Untergang Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 Zahlen zwischen 120000 und 200000 Getöteten, während eine amtliche Liste 35000 aufführt.“ (Das gipfelte jüngst in der Hetze vom „alliierten Bombenholocaust“ der NPD im sächsischen Landtag, d.Verf.) „Was immer an dem einen oder anderen stimmen mag oder nicht – ein Bevölkerungsteil, der sich gegenüber den NS-Verbrechen vollkommen versteinert gibt und deren Ziffern nicht weit genug herunterspielen kann, ganze Generationen, deren Lebensgefühl auf der Verniedlichung, der Bagatellisierung, ja der Leugnung von NS-Opfern überhaupt basiert – sie werden plötzlich fuchsteufelswild, wenn sie meinen, dass die Zahlen deutscher Opfer zu tief angesetzt werden.“ (5)
Der Zwangsarbeiter Jonas Mekas, von Litauen nach Elmshorn verschleppt, ging nach Kriegsende in die USA, wurde dort ein berühmter Schauspieler, veröffentlichte 1991 sein Tagebuch. Er schreibt über den 23. August 1944: „Everybody´s waiting for the end of the war. The British are already this side of Paris. French prisoners cannot hide their joy. Some of the germans in our factory cannot hide their joy either. In our factory only the owner believes in victory”.
August 27, 1944: “Air raid. “Tommys will be over Elmshorn any second. The factory vibrates with sound of sirens. The sound is frightful, all pervasive. But the workers, that is, slaves, greet air raids with joy. Air raids mean one hour of rest. The factory stops, we run into the shelters. That is, someone of us. Others are simply lying outside, on the grass sleeping. The bombs fall on other parts of the town, they don´t budge. Still others are sitting on steel pipes, talking, in the international jargon´s. half of the words are curse words. The siren keeps wailing.
Ten minutes. Five minutes. Five minutes means that the bombers are flowing over our heads, five minutes air time to Hamburg.
The white bellies of the bombers shine in the sun. Very very beautiful. Four minutes. A few bombs explode on Elmshorn. Three minutes. Two. Now from the Hamburg side begins to come a loud thundering. One can hear the german´s gateway to the world falling down. Another and another wave bombers move across the sky. One hour. Two hours. Three. The thundering continues. Then, suddenly – complete silence. Only a cloud of smoke covers the city.” (6)
Autor: Rudi Arendt, 5.5.2005
(1) Per Koopmann: „Zerstörung, Kriegsende, Neuanfang – Bild-Dokumente ohne viel Worte“, in „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“ Bd. 17, Seite 33; (2) Ralph Giordano, Einführung in „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“, Bd. 17, Seite 4; (3) „Der zweite Weltkrieg“, Klaus Maier „Die Luftschlacht über England“, S. 523 ff; (4) Ralf Sluzalek „Gewerkschaftsgeschichte Elmshorn und nähere Umgebung“, S. 231; (5) Ralph Giordano „Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein, S. 32; (6) Jonas Mekas „I had nowhere to go“ S. 25/26