Anzünden eines als jüdisch geltendes Wochenendhäuschen im Pastorendamm durch örtliche SA im Zuge der Reichspogromnacht 1938

Am 31. Januar 2024 wurde von der Stadt Tornesch vor Ort eine Stele mit einem Kurztext aufgestellt
9. November 1938
Pastorendamm 42, Tornesch

1933 erwarben die Witwe Anna Jacoby, geb. Badura (Jahrgang 1878) und ihre Tochter Alice, Stenotypistin in Hamburg, hier zwei benachbarte Grundstücke. Anna Jacoby, Mutter von vier Kindern, war mit einem Juden verheiratet gewesen und inzwischen Witwe. Die Grundstücke wurden mit einer kleinen Laube bebaut. Diese wurde in der Reichspogromnacht 1938 von der örtlichen SA angezündet. 1939 sah sich Anna Ja­co­by nach den fortwährenden Schikanen zum Ver­kauf der Grundstücke ge­zwun­gen. Sie lebte nach dem Krieg in Hamburg. [1] Im Jahr 1940 wurden alle Parzellen einem neuen Eigentümer zugeschrieben. [2]
Die Zeitzeugin Ruth Erlandsson, geb. Brandt, (1928-2012) wohnte ehemals benachbart im Moorreger Weg in einem Siedlungshaus und berichtete im Jahr 2006 von dem Anzünden des jüdischen Wochenendhäuschens Jacoby.[3]
Ruth hat als Kind in den 1930er Jahren bei Jacobys am Pastorendamm gespielt. Die Familie war wahrscheinlich etwas wohlhabender und verfügte auch über Tennisschläger, mit denen die Kinder der Gegend spielen durften. Ruth meint, sie hätten bis etwa 1937 dort noch gespielt, was sie sehr gerne taten. Es gab dort Kakao zu trinken, wie sie erinnert. Später hätte es geheißen, sie sollen da nicht mehr spielen.
Ruth erinnert sich daran, dass die Laube zunächst mit Teer beschmiert wurde, es wurden Judensterne auf die Fenster gemalt. Das Klohäuschen, welches sich draußen befand, wurde beschmiert.
Dann kam die Nacht, in der die Laube angezündet worden ist. Ein Nachbar, der in der gleichen Siedlung wie Ruth am Moorreger Weg wohnte, lief überrascht hin, um zu löschen, es befand sich ein Brunnen auf dem Grundstück. Otto Lausmann und Richard Heer (Ortsgruppenführer NSDAP und SA-Obersturmführer) hätten ihn weggeschickt, er sollte nicht löschen. Das Datum des Verbrechens hatte sich zunächst nicht ermitteln lassen.

Durch die Auswertung der Wiedergutmachungsakte von Anna Jacoby im Landesarchiv in Schleswig im April 2021 kann als Zeitpunkt die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 nachgewiesen werden. [4]

In der Reichspogromnacht 1938 zündete u. a. der Orts­grup­pen­lei­ter der NSDAP, Otto Laus­mann, das Holz­häus­chen an­. Vie­le Din­ge der In­nen­ein­rich­tung, die Gartengeräte und die Wasserpumpe wurden ge­stoh­len.

Be­reits im Sep­tem­ber 1937 hatten Unbekannte Grund­stück und Häus­chen übel zu­ge­rich­tet, wie aus einer Auf­lis­tung von Anna Ja­co­by her­vor­geht: Sie zertrümmerten ein Fens­ter mit Rah­men, eben­so die Ein­gangs­tür und eine Bank. Sie malten mit Teer den Judenstern auf das Fens­ter, übergossen Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de wie Tisch­tü­cher, Bett-Über­de­cken, Woll­de­cken, Vor­hän­ge und den Kü­chen­schrank mit Teer und Un­rat. In die Was­ser­pum­pe gossen sie Teer. Sie warfen ein klei­nes Toi­let­ten-Holz­häus­chen um und zerstörten es­, sägten 16 Bäu­me ab­, rissen Jo­han­nis­beer­bü­sche und Obst­bäu­me aus­ und stahlen Kom­post­er­de. Von der Dach­pap­pe schnitten sie einen Me­ter her­aus­, so dass der Re­gen un­ge­hin­dert ein­drin­gen konn­te.

Nach Angaben von Ruth Erlandsson hat ein Sohn der Familie Jacoby in den 1950er Jahren noch einmal die Stätte seiner Kindheit aufgesucht und habe mit einigen Leuten vor Ort gesprochen. Dies hat im Zusammenhang mit dem von Anna Jacoby seit 1946 angestrebten Wiedergutmachungsverfahren gestanden. Sie beantragte den Rückkauf zum Verkaufspreis von 950 Mark. Sie erreichte ihr Ziel nicht. Im März 1952 nach sechs Jahren nahm sie einen Vergleich, die Zahlung von 300 DM, an.

Ihre Tochter Alice Jacoby überlebte den Holocaust mit ihrer Familie nicht. Sie war 1934 Mutter geworden und hatte 1936 den in Warschau geborenen Chaim Slama Gersztenzang geheiratet. Sicherlich hat die Familie in dieser Zeit auch ihr Grundstück im Pastorendamm aufgesucht. Im Oktober 1941 wurde die Familie in das Getto Litzmannstadt/Lodz deportiert. Dort starb Alice am 23. Mai 1942. Ihre achtjährige Tochter Helga Anni und ihr Ehemann wurden von dort am 12. September 1942 weiter nach Chelmno/Kulmhof deportiert und dort ermordet. [5] Ein weiterer Sohn von Anna Jacoby, Gerd Jacoby (geb. 1908), wurde am 28. September 1944 in Auschwitz ermordet.

Sohn Ernst Jacoby (geb. 1906) gelang es nach einer Haftzeit im Konzentrationslager Sachsenhausen im März 1939 durch die Hilfe seiner Schwester Alice nach England zu emigrieren.

Sohn Rolf Jacoby (geb. 1912) musste schwerste körperliche Zwangsarbeit leisten und überlebte. Er versuchte im Wiedergutmachungsverfahren seiner Mutter zu helfen.

Autorin des Beitrages: Annette Schlapkohl, Tornesch

Veröffentlicht von Annette Schlapkohl am

Ein Hinweis zu “Anzünden eines als jüdisch geltendes Wochenendhäuschen im Pastorendamm durch örtliche SA im Zuge der Reichspogromnacht 1938”

  1. Martin Schröder sagt:

    Sehr gut und auch notwendig, dass Licht in die trübe Vergangenheit gebracht wird. Vielen Dank für die Recherche.

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