26. April 1945 Elmshorn: Ortsteil Langelohe wird bombardiert – Der „Krieg aus der Luft“ und seine Vorgeschichte

Aufräumarbeiten nach Bombardement durch Zwangsarbeiter aus dem Lager Stubbenhuk. (Bild: Per Koopmann, StaE))
Zwischen Ruinen - noch in den Monaten März und April 1945 wurde, wie hier in der Peterstraße, der Straßen- und Häuserkampf manövermaßig geübt. (Bild Per Koopmann, StaE)
Der Gedenkstein am Kreisel beim Langeloher Hof. Auf den Tag genau begann acht Jahre vorher das "Ausradieren" von Städten durch die deutsche Luftwaffe. Am 26. April 1937 bombardierte die Legion Condor die baskische Stadt Guernica. (Bild: R. Arendt)
26. April 1945
Langelohe Kreisel, Elmshorn

Der Gedenkstein auf dem Kreisverkehr am Langeloher Hof erinnert an den 26. April 1945, dem letzten Fliegerangriff auf Elmshorn mit 92 Toten, auch ZwangsarbeiterInnen. 92 Elmshorner darunter 20 Kinder und fünf ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene (sie sind auf dem Gedenkstein auf dem evangelischen Friedhof verzeichnet) kommen dabei ums Leben.  der Langeloher Hof war zu diesem Zeitpunkt ein Lager für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.

Zeitzeugen erinnern sich

Als am 26. April 1945 der letzte Bombenangriff stattfand, waren kaum noch Jugendliche in Elmshorn – ausgenommen die bereits Verwundeten, wie zum Beispiel Hans-Georg Lietzau, der in der zu einem Lazarett umgewandelten blauen Schule untergekommen war: „Einige Stabbomben trafen auch unser Lazarett. Hausverwalter und Lazarettangehörige verhinderten mit Feuerpatschen, Wasser, Sand und etwas Mut größeren Schaden.“ Nach den beiden Angriffen vom frühen Morgen und Nachmittag des 26. April tut sich noch einmal für Elmshorn die Bilanz des Schreckens auf: 89 Einwohner der Stadt konnten nur noch tot geborgen werden.  Jagdbomber hatten aus dem Westen kommend einen Bombenteppich mit Schwerpunkt Langelohe-Steindamm-Köllner Chaussee gelegt. Werner Buck, Köhnholz, erinnert sich vierzig Jahre später: „Auch die zwölfjährige Tochter unserer Nachbarfamilie Dürkob war draunter.“ [1]

Auch Helmut Poessel, später in der Selbstbefreiungsaktion aktiv, erinnert sich: “Mit meiner Frau wohnte ich damals in der Langelohe. Am 26. April 1945 marschierte Militär mit einer Kapelle durch den Süden Elmshorns. An der Kreuzung Steindamm/Köllner Chaussee/Langelohe hatten sie ein Biwak errichtet. Das wurde von englischen Fliegern gesehen und sie starteten einen schweren Luftangriff. Viele Soldaten und eine Reihe von Bewohnern des Viertels wurden getötet oder verletzt. So starb der Sohn eines bekannten Sozialdemokraten. Einer unserer Genossen konnte seinen Sohn nur dadurch retten, dass er sich auf ihn warf. Dieser Genosse wurde so schwer verletzt, dass er an den Folgen starb. Am 1. Mai haben wir ihn begraben.“[2]

Der „Krieg aus der Luft“ und seine Vorgeschichte

Acht Jahre zuvor auf den Tag genau, am 26. April 1937 begann der „Krieg aus der Luft“ mit der Ausradierung der baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor. Ralph Giordano, dessen erste Frau eine Elmshornerin war, hat es den Mitbürgern einmal ins Gewissen geschrieben: „Das Element des Krieges aber, das die Stadt und ihre Menschen, neben den Gefallenen an den Fronten, am schwersten heimgesucht hat, der Luftkrieg hatte lange (davor) begonnen: Mit dem Angriff der deutschen Luftwaffe … auf Guernica. Gefolgt nach Kriegsausbruch von der Zerstörung Warschaus…, Rotterdams, Coventrys und Belgrads 1940/41 – Totenziffern mit fünf Nullen.

Die Katastrophenacht von Elmshorn gibt also nicht nur Anlaß zu berechtigter Trauer, sie zwingt auch, über ihren historischen Kontext nachzudenken: Den Angriff Hitlerdeutschlands auf Europa und die Menschheit, mit schlußgeschichtlichen Vorstellungen von der deutschen Weltherrschaft.“ [3]

Oft wird die Behauptung hervor gebracht, die britische Royal Air Force habe mit der Bombardierung deutscher Städte ins Reich zurückgetragen, was die Wehrmacht den Menschen der von ihr überfallenen Länder angetan habe. Das ist falsch und lenkt von der nicht nur allgemeinen, sondern ganz konkreten Verantwortung des Faschismus für das Verbrechen des Krieges und eben auch für die Leiden der Zivilbevölkerung in Deutschland ab. Zum ersten war der Angriff auf Großbritannien ein Akt der Aggression, Teil der gewaltsamen Neuordnung Europas unter Vorherrschaft Hitlerdeutschlands, der Krieg der Anti-Hitlerkoalition in Deutschland dagegen Mittel der Gegenwehr und der Beseitigung der anhaltenden Kriegsursache. Zum anderen erfolgte noch eine Bombardierung britischer Städte in den letzten Kriegsmonaten unter blindwütigem Einsatz der so genannten V-Waffe, auch als sich abzeichnete, dass die deutsche Luftwaffe die britische RAF nicht würde ausschalten können.

Ein wesentliches Moment für die weitere Kriegsführung Großbritanniens und dann der Alliierten war, dass der Luftkrieg mit dem Scheitern der deutschen Luftaggression gegen die Insel nicht beendet war, nicht beendet werden konnte. Hätte Großbritannien nicht alle Anstrengungen unternommen, die Front im Luftkrieg auf den Kontinent und nach Deutschland zu verschieben, wäre es der Luftaggression mit allen furchtbaren Folgen für die Bevölkerung ausgesetzt geblieben.[4]

Kriegswichtige Produktion in der Innenstadt

In Elmshorn gab es mit der Kremer-Werft  ein eigens für die Rüstungsproduktion erweiterten Betrieb im Stadtinnern. Die Werft erzeugte Spezialfahrzeuge für Heer, Luftwaffe und Marine. Torpedobergungsschiffe, Landungsboote, und Tankschiffe wurden in Serie gebaut. Die im Stadtarchiv vorliegenden Baulisten weisen etwa 100 Nummern Kriegsproduktion nach. Hinzu kamen zahlreiche Aufträge für andere Rüstungsgüter wie Kabeltrommeln, Pontons, Versorgungsanlagen und Ausrüstungsgegenstände für U-Boote.[5]

Zum „Verlust der humanen Orientierung“ hat Ralph Giordano 1987 gegen die Verdrängung und Leugnung dieser geschichtlichen Tatsachen die Wirkungsweise „kollektiver Affekte“ angeführt. Einer davon ist das Aufrechnen deutscher Opfer durch den alliierten Luftkrieg, und darunter besonders die Dresdens. Giordano: „Die Zweifler an der Mordbilanz der „Endlösung“ nennen im Zusammenhang mit dem Untergang Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 Zahlen zwischen 120000 und 200000 Getöteten, während eine amtliche Liste 35000 aufführt.“ (Das gipfelte 2015 in der Hetze vom „alliierten Bombenholocaust“ durch die NPD im sächsischen Landtag und wurde von dem AfD-Abgeordneten Mario Lehmann fünf Jahre später wiederholt). „Was immer an dem einen oder anderen stimmen mag oder nicht – ein Bevölkerungsteil, der sich gegenüber den NS-Verbrechen vollkommen versteinert gibt und deren Ziffern nicht weit genug herunterspielen kann, ganze Generationen, deren Lebensgefühl auf der Verniedlichung, der Bagatellisierung, ja der Leugnung von NS-Opfern überhaupt basiert – sie werden plötzlich fuchsteufelswild, wenn sie meinen, dass die Zahlen deutscher Opfer zu tief angesetzt werden.“ So Ralph Giordano. [6]

 

Ein Zwangsarbeiter erinnert sich

Es gibt  in diesen Tagen wieder Äußerungen über die alliierten Luftangriffe, als ob es  der Untergang war. Für uns und andere war es Befreiung. Der Zwangsarbeiter Jonas Mekas, von Litauen nach Elmshorn verschleppt, ging nach Kriegsende in die USA, wurde dort ein berühmter Schauspieler, veröffentlichte 1991 sein Tagebuch. Er schreibt über die allierten Luftangriffe aus dem Jahre 1944.: „23. August. Everybody´s waiting for the end of the war. The British are already this side of Paris. French prisoners cannot hide their joy. Some of the germans in our factory cannot hide their joy either. In our factory only the owner believes in victory”.

August 27, 1944: “Air raid. “Tommys will be over Elmshorn any second. The factory vibrates with sound of sirens. The sound is frightful, all pervasive. But the workers, that is, slaves, greet air raids with joy. Air raids mean one hour of rest. The factory stops, we run into the shelters. That is, someone of us. Others are simply lying outside, on the grass sleeping. The bombs fall on other parts of the town, they don´t budge. Still others are sitting on steel pipes, talking, in the international jargon´s. half of the words are curse words. Th e siren keeps wailing. Ten minutes. Five minutes. Five minutes means that the bombers are flowing over our heads, five minutes air time to Hamburg. The white bellies of the bombers shine in the sun. Very  very beautiful. Four minutes. A few bombs explode on Elmshorn. Three minutes. Two. Now from the Hamburg side begins to come a loud thundering. One can hear the german´s gateway to the world falling down. Another and another wave bombers move across the sky. One hour. Two hours. Three. The thundering continues. Then, suddenly – complete silence. Only a cloud of smoke covers the city.” [7]

 

Rudi Arendt, 28.4.2025

[1] „Vor 40 Jahren Elmshorn – Stadt zwischen Kriegsende und Neubeginn“, Sonderdruck der Elmshorner Nachrichten 1985

[2] Helmut Poessel im Interview mit dem Antifaschistischen Bündnis Elmshorn, Manuskript von 1985

[3] „Zerstörung – Kriegsende – Neuanfang“, Einführung von Ralph Giordanao in den Band 17 der Beiträge zur Elmshorner Geschichte, 2004

[4] Der zweite Weltkrieg“, Klaus Maier „Die Luftschlacht über England“, S. 523 ff

[5] Ralf Sluzalek „Gewerkschaftsgeschichte Elmshorn und nähere Umgebung“, S. 231;

[6] Ralph Giordano „Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein, S. 32

[7] Jonas Mekas „I had nowhere to go“ S. 25/26. Übersetzt mit deepL.com: „23. August 1944: Alle warten auf das Ende des Krieges. Die Briten sind bereits diesseits von Paris. Die französischen Gefangenen können ihre Freude nicht verbergen. Einige der Deutschen in unserer Fabrik können ihre Freude auch nicht verbergen. In unserer Fabrik glaubt nur der Besitzer an den Sieg“.

  1. August 1944: „Luftangriff. „Tommys wird jeden Moment über Elmshorn sein. Die Fabrik vibriert vom Klang der Sirenen. Der Lärm ist furchtbar, allgegenwärtig. Aber die Arbeiter, d.h. die Sklaven, begrüßen die Luftangriffe mit Freude. Luftangriffe bedeuten eine Stunde Ruhe. Die Fabrik steht still, wir rennen in die Bunker. Das heißt, einige von uns. Andere liegen einfach draußen auf der Wiese und schlafen. Die Bomben fallen auf andere Teile der Stadt, sie rühren sich nicht. Wieder andere sitzen auf Stahlrohren und reden im internationalen Jargon, die Hälfte der Wörter sind Schimpfwörter. Die Sirene heult weiter.

Zehn Minuten. Fünf Minuten. Fünf Minuten bedeutet, dass die Bomber über unsere Köpfe hinwegfliegen, fünf Minuten Flugzeit nach Hamburg.

Die weißen Bäuche der Bomber leuchten in der Sonne. Sehr sehr schön. Vier Minuten. Ein paar Bomben explodieren über Elmshorn. Drei Minuten. Zwei. Jetzt beginnt von der Hamburger Seite ein lautes Donnern zu kommen. Man kann hören, wie das deutsche Tor zur Welt einstürzt. Eine weitere und eine weitere Welle Bomber ziehen über den Himmel. Eine Stunde. Zwei Stunden. Drei. Das Donnern geht weiter. Dann, plötzlich – völlige Stille. Nur eine Rauchwolke bedeckt die Stadt.”

 

 

Veröffentlicht von Rudi Arendt am

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