Gegen das Vergessen – Stadtrundgang zu den Stolpersteinen in Uetersen

8 Haltepunkte | ca. 5,2 Kilometer

»Ausgangspunkt ist der Parkplatz vor dem Firmengelände ehem. HATLAPA im Tornescher Weg 5-7.«

(A) = Tornescher Weg 5–7:

Stolpersteine für die beiden kleinen Mädchen Lola Jurtschonok (1943-1944) und Maria Skumatow (1943-1944) und für ihre Mütter. Der „Kopfstein“ erklärt das Kriegsgefangen- und Zwangsarbeiterlager „Uet. Maschinenfabrik Hatlapa“.

(B) = Kleiner Sand 47:

Stolperstein Franz Leo Lissner (1900-1945) – Opfer der Aktion „Arbeitsscheu Reich“.

(C) = Katharinenstr. 13:

Stolperstein Erna Nelamischkies (1914-1943) – Opfer der sog. „Euthanasie“.

(D) = Katharinenstr. 7:

Stolperstein Wilhelm Vollstedt (1888-1942) – Opfer im „Offenborn-Prozess“ 1937 und zuletzt in Schutzhaft.

(E) = Katharinenstr. 8:

Stolperstein Katharina Kröger, geb. Jürgs (1878-1941) – Opfer der sog. „Euthanasie“.

(F) = Sandweg 18:

Stolperstein Arthur Sorg (1901-1937) – Opfer im „Offenborn-Prozess“ 1936.

(G) = Ossenpadd 31:

Stolperstein Magnus Pettersson (1916-1944) – als „asozial“ stigmatisiertes Opfer

(H) = Friedhofstr.:

Besuch des Neuen Friedhofs mit dem Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus Britten, Sorg und Vollstedt und mit den Gräber der Zwangsarbeiter. Die Gräber von Lola und Maria sind auch erhalten.

Dann zurück zu (A).

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A. Lola Jurtschonok (1943-1944) – ein Kleinkind ohne Zukunft

Lola wurde am 10. Juli 1943 in Wetrino, damals Sowjetunion jetzt Weißrussland, geboren. Ihre Eltern sind Elias und Ljuba Jurtschonok[1], beide sind Jahrgang 1921; der Vater ist Uhrmacher und Arbeiter[2] von Beruf, die Mutter Arbeiterin. Die Eltern kamen mit Lola am 26. Juli 1944 aus Polozk[3] nach Uetersen. Dies geschah jedoch nicht freiwillig. Sie lebten in der Unterkunft auf dem Gelände der „Uetersener Maschinenfabrik Hatlapa“; dort haben die Eltern auch gearbeitet[4].

Bereits am 8. August 1944 ist Lola auf dem Weg zum Arzt gestorben[5]; sie wurde knapp 13 Monate alt. Als Diagnose sind „Bronchitis, Herzschwäche“ im Sterbeeintrag des Standesamtes genannt. Sie wurde auf dem Neuen Friedhof beerdigt; das Grab ist mit einem Grabstein vorhanden[6]. Im Beerdigungsregister der Kirchengemeinde ist dieser Todesfall jedoch nicht verzeichnet.

Die Eltern sind laut Meldekarte im Juni 1945 „unbekannt verzogen“[7], wie es im Amtsdeutsch heißt. Mehr ist über das Schicksal der Eltern nicht bekannt.

Am 15. Februar 2019 wurden für Lola und ihre befreite Mutter Stolpersteine im Tornescher Weg 5-7 verlegt. Die Inschriften lauten:

 

LOLA JURTSCHONOK

GEB. 10.7.1943

SOWJETUNION
TOT 8.8.1944

 

 

LJUBA JURTSCHONOK

GEB. BELJSKAJA

JG. 1921

SOWJETUNION

SEIT 1944 ZWANGSARBEIT

BEFREIT

 

Die Patenschaft für Lolas Stolperstein hat Anne-Christin Speichert, Uetersen, übernommen; die Patenschaft für den Stein ihrer befreiten Mutter Sabine Niklas, Uetersen.

 

Erhard Vogt, Febr. 2019

 

[1] Vgl. Sterberegistereintrag des Standesamtes Uetersen Nr. 150/1944.

[2] Dieser Beruf ist auf der Meldekarte ergänzt. Vgl. „Einwohnermeldekartei für Ausländer“ im Stadtarchiv Uetersen.

[3] Jetzt Polazk in Weißrussland.

[4] Das Arbeitsamt Elmshorn stellte für die Eltern am 07.09.1944 Arbeitskarten aus; vgl. Meldekarten.

[5] Vgl. Sterberegistereintrag des Standesamtes Uetersen Nr. 150/1944.

[6] Grab-Nr. 36; vgl. ITS Archiv Bad Arolsen, Dokument Nr. 2.1.2.1.0911-1077A-0967-0087_Todesfälle UDSSR 1.

[7] Vgl. „Einwohnermeldekartei für Ausländer“ im Stadtarchiv Uetersen.

B. Franz Leo Lissner (1900-1945), Maurer – Opfer der Aktion „Arbeitsscheu Reich“

Franz Leo Lissner wurde am 2. August 1900 in Eickfier, Kreis Schlochau, in Westpreußen geboren. Seine Eltern waren Pauline, geb. Wollschläger, und Karl Lissner, ein Schneidermeister. Die Familie war katholisch. Franz Lissner besuchte die Volksschule in Eickfier und machte anschließend in den Jahren 1917 bis 1920 eine Lehre zum Maurer. Ab 1920 war er mehrere Jahre in der „Fremde auf Wanderschaft“, wie er es selbst in seinem Lebenslauf beschreibt. 1925 oder 1926 ist er nach Uetersen gekommen. 1926 heirate Lissner die in Uetersen geborene Else Katharina, geb. von Döhren. Gemeinsam hatten sie drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Die Ehe der beiden dauerte nur vier Jahre und wurde 1930 geschieden. In späteren Jahren war Franz Lissner allerdings wieder verlobt, es handelte sich dabei um die in Hamburg-Altona wohnhafte Marta Leuke. Die letzte bekannte Adresse Lissners in Uetersen war der Kleine Sand 47.

Über den beruflichen Werdegang Franz Lissners in Uetersen ist bisher nur wenig bekannt. In seinem Lebenslauf schreibt er zu Uetersen nur sehr allgemein, er habe „bis 1938 dort gearbeitet.“ 1941 und 1942 war er zeitweise zur Aushilfe auf dem Fliegerhorst beschäftigt. Außerdem besaß er einen Invalidenpass. In der Gefängnispersonalakte war vermerkt, dass Lissner „wegen seines körperl. Zustandes offensichtlich wehrunfähig ist (invalide)“ und dementsprechend ausgemustert worden war.

Das Leben Franz Lissners war durch eine Reihe von Vorstrafen geprägt, zumeist verschiedene Formen des Diebstahls, aber auch fahrlässige Körperverletzung und Verletzung der Unterhaltspflicht, weshalb ihn das Amtsgericht Uetersen ab 1928 mehrfach verurteilt hatte. Zumeist blieb es bei Geldstrafen oder sehr kurzen Gefängnisaufenthalten. Dies änderte sich im April 1938, Lissner wurde „als arbeitsscheu“ verhaftet und kam in das KZ Buchenwald. Er war damit Teil der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ bei der es zu Massenverhaftungen kam, mehr als 10 000 Männer im Deutschen Reich waren 1938 davon betroffen. Die Betroffenen wurden als sogenannte Asoziale betitelt und hatten mehrfach einen Arbeitsplatz abgelehnt oder waren vorbestraft. Ohne Rechtsgrundlage wurden sie in Vorbeugehaft genommen.

Parallel zu dieser Aktion war Lissner im November 1938 vom Amtsgericht in Uetersen aufgrund von „Rückfalldiebstahl“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Im Januar 1939 wurde er direkt aus Buchenwald in Strafanstalt in Lübeck überführt, wo er die Strafe verbüßte.

Anschließend kam Lissner wieder auf freien Fuß und kehrte nach Uetersen zurück. Im Oktober 1942 wurde er erneut vom Amtsgericht in Uetersen verurteilt. Er war angeklagt wegen Diebstahls „unter den Voraussetzungen des strafschärfenden Rückfalls sowie vorsätzlicher körperlicher Mißhandlung.“ Diesmal lautete das Urteil auf ein Jahr und sieben Monate Haft, die Lissner in der Strafanstalt in Rendsburg verbüßte. Regulär wäre seine Haftzeit im Mai 1944 beendet gewesen, zu einer Entlassung kam es jedoch nicht. „Unter Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Verurteilten bietet er keinerlei Gewähr für ein künftiges Wohlverhalten. Ich schlage daher vor, ihn in Vorbeugehaft zu nehmen“, wie es vom Vorstand der Strafanstalt schriftlich überliefert ist. Somit wurde Lissner erneut von der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ eingeholt.

Mit Zwischenstation in Fuhlsbüttel wurde Lissner in das KZ Neuengamme überführt. Hier starb er am 4. Februar 1945 im Alter von 44 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete „Enterokolitis“, also eine Entzündung des Darms, jedoch ist die Todesursache „aus quellenkritischer Perspektive nicht gesichert.“

 

Fabian Boehlke, Febr. 2019

 

Am 15.02.2019 wurde für Franz Lissner ein Stolperstein im Kleinen Sand 47 verlegt. Die Inschrift laut:

 

HIER WOHNTE

FRANZ LISSNER

JG. 1900

VERHAFTET 20.4.1938

AKTION

„ARBEITSSCHEU REICH“

BUCHENWALD

MEHRERE GEFÄNGNISSE

1944 NEUENGAMME

ERMORDET 4.2.1945

 

Die Patenschaft für diesen Stolperstein hat Jan Baumann, Uetersen, übernommen.

C. Erna Nelamischkies (1914-1943), Diakonissenschwester – Opfer der sog. „Euthanasie“

Hier, in der Katharinenstraße 13, hat die Familie Nelamischkies seit Mitte der 1930er-Jahre lange gelebt. Meine Tante, Erna Berta Nelamischkies, wurde am 29. November 1914 in Uetersen als fünftes Kind der Eheleute Michael und Anna Christina Nelamischkies geboren und besuchte auch die hiesige Volksschule. Nach der Schulentlassung 1929 war sie, wie zu der Zeit üblich, an mehreren Stationen in Stellung.

Ab 01.07.1934 hat sie sich beim Krankenhaus Pinneberg angemeldet und dann in der folgenden Zeit eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Auf den Photos von ihr, die der Familie aus dieser Zeit geblieben sind, sieht sie sehr glücklich aus. Sie hatte wohl ihre Berufung gefunden.

Im Jahre 1939 wechselte sie zum Mutterhaus der Diakonissen in Friedenshort bei Mechtal / Oberschlesien (heute Polen) und war zuletzt im Krankenhaus Beuthen eingesetzt. Zwischen den einzelnen beruflichen Abschnitten kehrte sie immer mal wieder in die Familienwohnung hier in der Katharinenstraße 13 zurück, so auch Ende Juni des Jahres 1943.

Für uns bleibt im Dunkeln, was ihr während ihrer Arbeit im Krankenhaus zugestoßen ist, was sie mit ansehen musste oder erlebt hat. Sie selbst konnte wohl nicht mehr sprechen und verfiel in Mutismus. Der Uetersener Arzt Dr. Telschow wies meine Tante dann am 05. Juli 1943 wegen „akuter Geistesverwirrung und Suicidversuch“ in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn ein. Als Familienangehörige sie später besuchen wollten, war sie nicht mehr dort.

Vermeintlich infolge der schweren Bombardierungen Hamburgs ab 24. Juli 1943 wurden viele Patienten von Langenhorn aus verlegt. So brachte man auch Erna Berta Nelamischkies am 19. August 1943 in die Heil-und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde, von der man heute weiss, dass die meisten Insassen systematisch mit Giftspritzen und Luftinjektionen getötet wurden.

Nach dem Inhalt ihrer Patientenakte, die beim Staatsarchiv Hamburg vorhanden ist, wurde meine Tante in keiner der Anstalten ärztlich behandelt sondern offenbar nur „verwahrt“. Laut der Sterbeurkunde endete ihr Leben in Meseritz-Obrawalde am 25. September 1943 mit 28 Jahren. Als Todesursache wurde Lungenentzündung angegeben. Ihre Asche wurde der Familie übergeben und auf dem Neuen Friedhof in Uetersen beigesetzt.

Es war sehr mühsam und zeitaufwendig, alle diese Fakten zu erforschen und so macht es mich besonders froh, dass meiner Tante heute in dieser Form gedacht wird.

 

Vera Pilniok, Febr. 2019

 

Der Stolperstein für Erna Nelamischkies wurde am 15.02.2019 in der Katharinenstraße 13 verlegt. Er trägt die Inschrift:

HIER WOHNTE

ERNA

NELAMISCHKIES

JG. 1914

EINGEWIESEN 1943

HEILANSTALT LANGENHORN

„VERLEGT“ 19.8.1943

HEILANSTALT MESERITZ

ERMORDET 25.9.1943

 

Die Patin für den Stolperstein ist ihre Nichte Vera Pilniok, Heidgraben.

D. Wilhelm Vollstedt (1888-1942) – von den Nazis verfolgt und in der Haft umgekommen

Angeklagter im … (Geschäftsnummer …), Verurteilung am 10.02.1938 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 Jahren Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust. Verlegung des 3. Stolpersteines in Uetersen am 02.03.2012.

 

WILHELM VOLLSTEDT (1888–1942)

Wilhelm Vollstedt war ein Uetersener, der sich den Nazis entgegen stellte. Er hatte das Elend des Ersten Weltkriegs als Soldat miterlebt und danach in Uetersen als Ziegelbrenner und Schlosser gearbeitet. Er war der KPD beigetreten, wirkte in antifaschistischen Gruppen mit und wurde nach 1933 Opfer der Verfolgung Andersdenkender durch die Nationalsozialisten. In einem Nachfolgeverfahren zum „Offenborn-Prozess“1 gegen 128 Personen aus Elmshorn und Umgebung wurde Wilhelm Vollstedt 1937 zu drei Jahren Haft verurteilt. 1942 starb er im Konzentrationslager Neuengamme.

Wilhelm Vollstedt wurde am 28. März 1888 in Uetersen als Sohn von  Hans Hinrich Vollstedt und Margaretha Vollstedt, geb. Muhl, geboren; der Vater war Arbeiter. Bei seiner Geburt wohnten die Eltern am Mühlenteich.2 Er wuchs mit jüngeren Geschwistern in Uetersen und in Moorrege auf. Dort besuchte er die Volksschule.

Mit 18 Jahren trat Wilhelm Vollstedt für zwei Jahre den 16. Husaren, einem Deutschen Kavallerieregiment, in Schleswig-Holstein bei. Im Ersten Weltkrieg war er am verschiedenen Orten eingesetzt.

Am 13. November 1920 hat Wilhelm Vollstedt in Uetersen die Witwe Elsa Wilhelmine Schütt, geb. Klotz, geheiratet, die 1887 in Herzhorn geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er im Sandweg 14; anschließend wohnten sie gemeinsam im Tornescher Weg 119 und hatten später noch drei weitere Wohnadressen. Seine Frau starb bereits am 02.09.1927 in Uetersen; sie hatten keine gemeinsamen Kinder. Nach dem Tod seiner Frau hatte Wilhelm Vollstedt noch zwei weitere Wohnadressen, zuletzt seit September 1934 in der Katharinenstraße 7.3

Nach Angaben seines Bruders Karl war er in den Jahren 1920-30 bei der Firma Falkental in Uetersen als Lederarbeiter tätig. Bis zu seiner Verhaftung arbeitete er als Ziegelbrenner in der Ziegelbrennerei von Schinkel in Uetersen4. Als diese jedoch pleiteging, suchte er sich eine Arbeit als Schlosser.

Wilhelm Vollstedt trat im Jahre 1922 der KPD bei, wo er ab 1929 als Hilfskassierer arbeitete. Bei der Gemeindevertreter-Wahl 1929 war er Listenkandidat seiner Partei (Platz 16 von 18 Bewerbern). Von 1924 bis 1932 war er Mitglied des „Kampfbundes gegen Faschismus“ und der „Antifa“. Diese beiden Gruppen kämpften gegen die Propaganda der Nationalsozialisten und den aufkommenden Faschismus. In den Jahren 1933 bis 1935 betätigte sich Wilhelm Vollstedt in der KPD als Verteiler von kommunistischen Zeitungen.

Wilhelm Vollstedt wurde am 27. Mai 1937, vier Jahre nach Beginn des NS-Regimes, in Uetersen festgenommen. Zwei Tage später wurde er in Neumünster in Untersuchungshaft genommen.

In einem Nachfolgeverfahren zum „Offenborn-Prozess“ wurde Wilhelm Vollstedt am 10. Februar 1938 vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Neumünster wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu drei Jahren Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust verurteilt5.

Nach Verbüßung der Zuchthausstrafe wurde er der Schutzhaft zugeführt6, d.h. in das Konzentrationslager Hamburg-Neuengamme deportiert.

Dort starb Wilhelm Vollstedt am 11. Februar 1942.

Aufgeschrieben von Niklas Ziehm, Yannic Krass, Sebastian Franke und Timm Dosse mit Unterstützung der Geschichtswerkstatt im Februar 2012.

 

1Nach Johannes Offenborn aus Elmshorn benannt, der mit anderen im ersten Prozess am 13.12.1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde.

2Vgl. Geburtseintrag Standesamt Uetersen Nr. 58/1888

3Vgl. Heiratseintrag Standesamt Uetersen Nr. 85/1920 sowie Einwohnermeldekartei Uetersen, Meldekarte von Wilhelm Vollstedt, die auch Schwärzungen aufweist.

4Vgl. Brief des Bruders Karl Vollstedt vom 02.11.1957 an das Landesentschädigungsamt S-H, Landesarchiv S-H Abt. 761, Nr. 15 358.

5Vgl. Brief des Bruders Karl Vollstedt vom 11.08.1957 an das Landesentschädigungsamt S-H, Landesarchiv S-H Abt. 761, Nr. 15 358.

6Vgl. ebda.

E. Katharina Kröger, geb. Jürgs (1878-1941) – Opfer der sog. „Euthanasie“

Einleitung

Bei Durchsicht der beiden Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen nach dem Standesamt Bernburg bzw. Bernburg II hat d. Verf. im Januar 2015 insgesamt sechs Sterbeeinträge im Jahr 1941 gefunden[1]. Dieses Standesamt ist ein Hinweis auf ein sog. „Euthanasie“-Opfer. Eines der Opfer ist Katharina Kröger, geb. Jürgs.

Durch die Zustimmung der Familie war es möglich, eine Kopie der Patientenakte im Bundesarchiv zu erhalten. Besonderer Dank gebührt deshalb Herrn Dietmar Jürgs in Niddatal und Frau Britta Jürgs in Berlin.

Die frühen Jahre

Catharina Jürgs wird am 09.10.1878 in Holm als eheliche Tochter von Diederich Jürgs und Jacobine, geb. Hauschildt, geboren. In ihrem Geburtseintrag wird der Vater als „Ziegeleibesitzer“ in Holm bezeichnet[2]. Sie hat insgesamt neun Geschwister. Zwischen 1878 und 1882 hat die Familie auf jeden Fall in Holm gewohnt[3]. 1885 lebt die Familie wieder in Neuendeich; der Vater wird im Taufeintrag des Sohnes Jacob als „Landmann“, ein Jahr später beim Taufeintrag des Sohnes Diederich als „Hofbesitzer“ bezeichnet[4].

Catharina hat vermutlich die Volksschule in Neuendeich oder Klevendeich besucht. Palmarum 1893 wurde sie in Uetersen konfirmiert. Über ihren weiteren Werdegang ist nichts bekannt.

Die kurzen Ehejahre und die Jahre danach

Catharina Jürgs hat am 26.03.1904 in Uetersen den Aufseher Johann Hinrich Kröger geheiratet. Er wurde am 24.01.1869 in Elmshorn als Sohn des Zimmermanns Claus Kröger und der Catharina geb. Mohrdiek geboren. Zum Zeitpunkt der Heirat wohnte er in Altona, Große Gärtnerstraße 47[5]. Ob diese Adresse auch die Meldeadresse der Eheleute war, ist nicht bekannt. Sie haben auch kirchlich geheiratet, und zwar wurden sie in der Klosterkirche mit Orgelbegleitung getraut[6]. Ihr Vater wird im Heiratseintrag als „Kohlenhändler“ in Uetersen bezeichnet. Bei ihr wurde vom Standesbeamten „ohne Gewerbe“ notiert; das heißt, sie war zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht berufstätig.

Die Ehe wurde bereits am 23.07.1908 durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Hamburg geschieden.[7]

Am 19.11.1910 stirbt ihre Mutter Jacobine Jürgs, geb. Hauschildt, im Alter von 59 Jahren und wird am 23.11. auf dem Neuen Friedhof in Uetersen beigesetzt (Familiengrab „Nische 9“)[8].

Am 06.04.1913 ist ihre ledige Schwester Jacobine im Alter von 30 Jahren „in der Provinzial-Irrenanstalt zu Schleswig gestorben“[9]; sie wird am 10.04. im Familiengrab beigesetzt.

Wann die Meldekarte von Katharina Kröger, geb. Jürgs, im Rathaus angelegt wurde, ist nicht erkennbar. Sie wohnt bis 1921 ebenfalls in der „Katharinenstr. 8“ beim Vater. Laut Meldekarte wird sie als „Haushälterin“ bezeichnet. Von 1921 bis 1931 hat sie offiziell in der Parallelstraße = (spätere) Meßtorfstr. 29 bei Stoffer gewohnt. Ab 1931 wohnt sie wieder in der Katharinenstraße 8[10].

Die langen Jahre der Krankheit

Es ist nicht bekannt, ab wann Katharina Kröger, geb. Jürgs, erkrankt ist bzw. welche Ereignisse die Krankheit ausgelöst und/oder verstärkt haben. Bekannt ist, dass sie bereits vom 14.03.1923 bis 09.06.1923 in der Universitäts-Nervenklinik in Kiel und anschließend in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Neustadt untergebracht war, wo sie am 21. Juli 1924 jedoch entwich.[11] Ihr Aufenthalt war dann zunächst nicht ausfindig zu machen. Der Vormund[12] hatte sie bei einer verwandten Bauernfamilie untergebracht und verweigerte nähere Auskunft. – Vormund als Beschützer!

Weitere aktenkundige Auffälligkeiten gab es lt. der Akte der Polizeiverwaltung Uetersen ab Sommer 1927. In der Öffentlichkeit fiel sie u.a. durch Verschrobenheit auf[13].

Am 16.12.1930 wurde sie vom Kreisarzt untersucht mit dem Schluss, dass sie 1) an Hysterie leidet, 2) Gemeingefährlichkeit nicht vorliegt und 3) die Unterbringung in eine Anstalt für Geisteskranke auch aus anderen Gründen nicht vorliegt.[14]

Am 30.10.1932 stirbt ihr Vater, der Rentner Diedrich Jürgs im Alter von 84 Jahren; er wird am 02.11. im Familiengrab auf dem Neuen Friedhof beigesetzt[15]. – Vater als Beschützer!

Am 22.08.1934 wurde Katharina Kröger erneut in Neustadt aufgenommen; die Krankheitsform wird mit Schizophrenie und einem „?“ angegeben. Grundlage der Einweisung war eine Verfügung des Bürgermeisters der Stadt Uetersen als Ortspolizeibehörde vom 20.08.1934, in der sie jetzt für gemeingefährlich erklärt wird. Als Beruf wird „Rentnerin“ angegeben. – Mit dem Regimewechsel ändert sich die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit! – Sie hat keine Beschützer mehr!

Am 21.05.1935 wurde sie aus der Anstalt „gebessert“ entlassen.[16]

Seit dem 08.03.1937 befindet sich Katharina Kröger wieder in Neustadt. Mit Datum vom 20.10.1937 wird sie vom Amtsgericht Uetersen entmündigt. Als letzter Vormund wird Ingenieur Kurt Pentzien aus der Sophienstr. 4 in der Patientenakte genannt[17].

Am 13.06.1941 wird Katharina Kröger aus Neustadt „in eine andere Anstalt verlegt“, am Tag darauf wieder aufgenommen und am 09.07.1941 erneut „in eine andere Anstalt verlegt“[18]. Das ist der Ankunftstag in Bernburg/Saale. Dort befand sich eine der Tötungsanstalten des NS-Regimes für psychisch kranke, geistig und körperlich behinderte Menschen[19].

Katharina Kröger wurde noch am Ankunftstag getötet[20]. „Offiziell“ ist sie am 21.07.1941 gestorben[21]. Die Beisetzung der Urne fand lt. Beerdigungsregister der Kirchengemeinde am 12.09.1941 auf dem Neuen Friedhof in Uetersen mit einer „Rede am Grabe“ statt, lt. Chronologie der Friedhofsverwaltung jedoch eine Woche früher[22]. Das Familiengrab existiert noch auf dem Friedhof.

Schlussbetrachtung

Katharina Kröger, geb. Jürgs, hat über viele Jahre Beschützer gehabt. 1924 war es der Vormund, der sie versteckte. Sie hat ihrem Vater den Haushalt geführt. Mit seinem Tod 1932 entfiel auch dieser Schutz. Die Machtübernahme der Nazis hat Auswirkungen auch auf der lokalen Ebene. Die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit ändert sich mit der Folge, dass Katharina Kröger 1934 in eine geschlossene Anstalt muss. Aus der Anstalt wird sie 1935 noch einmal als „gebessert“ entlassen, jedoch ab 1937 bis zu ihrem gewaltsamen Tod 1941 ist sie Patientin einer geschlossenen Anstalt.

Der Stolperstein

Am 15.02.2019 wurde für Katharina Kröger in der Katharinenstraße 8 ein Stolperstein verlegt. Er trägt die Inschrift:

HIER WOHNTE

KATHARINA KRÖGER

GEB. JÜRGS

JG. 1878

EINGEWIESEN 1937

HEILANSTALT NEUSTADT

„VERLEGT“ 9.7.1941

BERNBURG

ERMORDET 9.7.1941

„AKTION T4“

 

Die Patenschaft für diesen Stein hat Dr. Sönke Zankel, Hamburg, übernommen.

Weiterführende Beiträge

  • J. Penning: Spur „Magda Janzen – Opfer der ‚Euthanasie‘“, auf: https://www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/
  • W. Hayatie: Von der NS-„Euthanasie“ zum Facharzt in Uetersen: der Mediziner Dr. Kurt Borm, in: S. Zankel (Hg.), Uetersen und die Nationalsozialisten – Von Weimar bis in die Bundesrepublik …, Kiel 2010, S. 97 ff.

 

Erhard Vogt, Febr. 2019

 

[1] Diesen Hinweis hat d. Verf. dankenswerterweise von Jörg Penning beim Workshop des Fördervereins Spurensuche am 17.01.2015 erhalten. Ohne diesen Hinweis hätte es diese Recherche nicht geben können.

[2] Holm wurde damals „Hollm“ geschrieben. Vgl. Geburtseintrag des Standesamtes Schulau/Spitzerdorf Nr. 51/1878. Lt. OFB Wedel ist ihr Geburtsort „Holmer Berg“; dieser Ort könnte auf dem Taufeintrag der Kirchengemeinde Wedel basieren.

[3] 1878, 1880 und 1882 sind drei Geburten beim Standesamt Schulau/Spitzerdorf verzeichnet. Vgl. Ortsfamilienbuch Wedel bei >http://www.online-ofb.de/<, Aufruf am 12.05.2015.

[4] Vgl. Taufeinträge Nr. 125/1885 und Nr. 222/1886 im Geburts- und Taufregister der Kirchengemeinde Uetersen.

[5] Vgl. Heiratseintrag Nr. 10/1904 des Standesamtes Uetersen.

[6] Vgl. Traueintrag Nr. 5/1904 der Kirchengemeinde Uetersen.

[7] Vgl. Randnotiz des Heiratseintrags Nr. 10/1904 des Standesamtes Uetersen.

[8] Vgl. Sterbeeintrag im Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Stadtbezirk) Nr. 128/1910.

[9] Vgl. Sterbeeintrag im Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Stadtbezirk) Nr. 30/1913.

[10] Vgl. Meldekarte Katharina Kröger, geb. Jürgs, im Rathaus Uetersen.

[11] Vgl. Patientenakte im Bundesarchiv Berlin R179-5578.

[12] Ob sie damals schon einen Vormund hatte, ist zweifelhaft. So steht es jedoch in der Patientenakte, die Bezug auf die Akte der Polizeiverwaltung in Uetersen nimmt. Entmündigt wurde sie nach Wissen d. Verf. erst 1937.

[13] Vgl. Patientenakte im Bundesarchiv Berlin R179-5578.

[14] Vgl. ebda.

[15] Vgl. Sterbeeintrag im Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Stadtbezirk) Nr. 45/1932. Als Amtshandlung ist „Par. Haus“ vermerkt. „Par.“ steht für „Parentation“ und bedeutet – lt. Duden – Totenfeier oder Trauerrede; die Totenfeier für ihn fand also zu Hause statt.

[16] Vgl. ebda.

[17] Als Vormund bzw. Pfleger fungierten davor Steuerberater Carl Voß, Kampstraße; Rentner Jacob Jürgs, Deichstr. 26; Bankangestellter Hermann Vietze, Katharinenstraße. – Vgl. ebda.

[18] Vgl. ebda.

[19] Zwischen Mai und August 1941 wurden fünf Transporte mit ca. 700 Patienten aus den Heilanstalten Neustadt und Schleswig nach Bernburg zur Tötung „überführt“ (vgl. Fußnote 15 der Spur „Magda Janzen“). Details der Aktion „T 4“ werden von J. Penning in der Spur „Magda Janzen“ auf der Webseite „Spurensuche-Kreis-Pinneberg“ beschrieben. Der Autor benennt auch Quellen in den Fußnoten.

[20] Vgl. Mitteilung der Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg vom 08.04.2015.

[21] StA Bernburg II Nr. 659 vom 21.07.1941, genannt im Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Landbezirk) Nr. 59/1941.

[22] Vgl. Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Landbezirk) Nr. 59/1941 – Die Beisetzung fand lt. Chronologie der Friedhofsverwaltung bereits am 05.09. statt (bekannt seit März 2015)

F. Arthur Sorg (1901-1937), Fabrikarbeiter – von den Nazis verfolgt und in der Haft umgekommen

Angeklagter im sechsten Offenborn-Prozess (Geschäftsnummer 10.0.Js.143.35.F.), Verurteilung am 03.02.1936 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 Jahren Zuchthaus, 3 Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit der Polizeiaufsicht. Verlegung des 2. Stolpersteines in Uetersen am 02.03.2012.

 

ARTHUR SORG (1901-1937)

Er wurde in Moorrege geboren und starb in einem Außenlager des KZ Esterwegen: Arthur Sorg, Gewerkschafter und Kommunist, war das Opfer der Verfolgung Andersdenkender durch die Nationalsozialisten. Sorg war 1934 aufgrund von Aussagen, er habe illegale Zeitungen verkauft und an Zusammenkünften von Nazi-Gegnern teilgenommen, verhaftet und zu einer dreijährigen Haft verurteilt worden. Am 3. September 1937 starb er durch Nachlässigkeit des Lagerarztes des Straflagers Aschendorfermoor im Emsland. Seine Familie schrieb in der Todesanzeige: „Du warst so gut, Du starbst so früh, Doch vergessen werden wir dich nie.“

Lebenslauf1:

Arthur Sorg wurde am 17. Januar 1901 in Moorrege als Sohn von Philipp und Bertha Sorg (geb. Röhlke) geboren.

Bis zur Konfirmation besuchte er die Volksschule. Danach arbeitete er in der Landwirtschaft, um mit Vollendung des 18. Lebensjahres eine Arbeit in der Papierfabrik anzunehmen.

Im Jahre 1921 heiratete er Marie Kristen. Die gemeinsame Tochter Margit wurde 1922 geboren.

Zu dieser Zeit lebte er im Sandweg 14 in Uetersen, nahe seiner Arbeitsstelle.

Arthurs Bruder Karl befand sich 1934 ebenfalls in Haft2.

Ihr Vater, der Fabrikarbeiter Phillip Sorg3, war 1933 in Haft gewesen.

Der Mädchenname der Ehefrau war Kristen, eine Verwandte der zwei im Prozess ebenfalls angeklagten und verurteilten Brüder Kristen.

Vernehmungsprotokolle4:

Den Akten der Staatspolizei lässt sich entnehmen, dass Arthur Sorg am 19. Dezember 1934 aufgrund von Aussagen, welche besagen, dass er illegale Zeitungen verkaufte und an illegalen Zusammenkünften teilnahm, verhaftet wurde. Er war zunächst in Elmshorn, später im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert.

In seinen Aussagen vom 19. und 23. Januar 1935 berichtet er, dass er seit 1931 in der KPD war, wo er aber erst seit März 33 die Funktion eines Unterkassierers inne hatte. Eine Zeit lang war er auch Mitglied in der RGO Uetersen5. Nach Sorgs Aussagen zerfiel diese Organisation aber schon nach kurzer Zeit.

Arthur Sorg sagt aus, er habe bis Ende November 1934 den Parteibeitrag von mehreren Leuten kassiert und bis Juni 1934 kommunistische Zeitungen weiter verteilt bzw. verkauft. Einmal bekam er auch Flugblätter und Papierstreifen geliefert.

Weiterhin habe er nach eigenen Aussagen an Parteiversammlungen teilgenommen und sich mehrfach mit anderen in seiner Wohnung zum Radiohören (Moskauer Sender) verabredet. Er nennt auch einige Leute, mit denen er dabei zu tun hatte, die aber ebenfalls in Haft saßen. In einer späteren Vernehmung belastet er einen weiteren Arbeiter6, der daraufhin in Haft genommen wurde.

Laut Protokoll der Staatspolizei wurde Herr Sorg nach seiner Verhaftung zunächst nach Elmshorn gebracht, später dann per Sammeltransport ins KZ Fuhlsbüttel geschafft.

Gerichtsurteil7:

Die Ziele der kommunistischen Partei sind von jeher auf den gewaltsamen Umsturz gerichtet gewesen und daher hochverräterisch.“ (Aus den Akten des 3. Strafsenates des Kammergerichts Berlin in Hamburg).

Der Prozess gegen Arthur Sorg und 10 weitere Personen aus Uetersen fand am 31. Januar, 1. und 3. Februar 1936 statt.

Die Angeklagten dieses Verfahrens gehören zu einer größeren Anzahl von Angeklagten, die im Herbst 1934 im Kreise Pinneberg wegen kommunistischer Betätigung festgenommen“[ wurden]. „ Den Angeklagten wird zur Last gelegt, in Uetersen im Kreise Pinneberg das hochverräterische Unternehmen, die Verfassung des Deutschen Reiches mit Gewalt zu ändern vorbereitet [zu] haben.“

Grundlage bildete der § 83 Abs. 3 StGB in seiner neuen verschärften Fassung. Dieser „stellt die Vorbereitung zum Hochverrat unter erhöhte Strafe, wenn die Tat darauf gerichtet war, eine organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrecht zu erhalten“ (Ziff.1). Im Urteil heißt es weiter, dass nach Ziff. 3 die Verbreitung von Schriften unter erhöhte Strafe gestellt wird, wenn die Tat darauf ausgerichtet war, die Massen zu beeinflussen.

In der rechtlichen Würdigung wird u.a. auf die KPD und ihre Ziele im Allgemeinen eingegangen8 und auf die Organisationsstruktur im Kreis Pinneberg und Hamburg Altona. Auf die Offenborn-Prozesse wird verwiesen.

Die Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen einem und sechs Jahren verurteilt. Arthur Sorg wurde wegen der o.g. Vergehen zu 3 Jahren Zuchthaus und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für diese Zeit verurteilt. „Seine Behauptung, er habe im November 1934 sich vom Kommunismus vollkommen abgewandt, er sei auch Mitglied der Deutschen Arbeitsfront, konnte ihn nicht entlasten.“ Von den über 13 Monaten Untersuchungshaft wurden acht Monate auf die Strafe angerechnet.

Zeitungen:

Arthur Sorg war angeklagt und verhaftet worden, weil er im Kreis Pinneberg illegale Flugblätter und Zeitungen verteilt hatte. Im Vernehmungsprotokoll der Gestapo gibt er an, die Kommunistischen Zeitungen „Solidarität“, „Roter Spiegel“,  „Der Klassengewerkschafter“, und „Leninist“ von Josef Kristen, Karl Jürs und Richard Meyer erhalten sowie weiterverkauft zu haben. Dabei handelte es sich oft nur um rund ein Dutzend Exemplare, da die Verteilung kompliziert war und die Zeitungen teilweise mit einfachen, handbetriebenen Pressen hergestellt wurden. So wurde die Zeitung „Leninist“ mit noch anderen Zeitungen von einem Kurier aus Altona an der Straße Elmshorn-Pinneberg in einem Eimer versteckt, wo sie anschließend von Eingeweihten abgeholt wurden. Eines Tages wurde der Kurier bei dem Verstecken der Zeitungen von einem Bauern beobachtet, der ihn der Gestapo meldete. Nur durch eine Unvorsichtigkeit der Polizei konnten die Elmshorner Genossen gewarnt werden, doch bald darauf wurde die illegale Druckerei entdeckt, so dass keine Zeitungen mehr produziert werden konnten9.

Haft:

Über den Aufenthalt Arthur Sorgs im Lager sowie über die genaue Todesursache liegen keine Dokumente vor.

Arthur Sorg verbüßte nach dem Prozess seine Haft im Emsland. Bringmann/ Dierks schreiben: „Arthur Sorg: Am 3. September 1937 im Straflager Aschendorfer Moor durch Nachlässigkeit des Lagerarztes verstorben.“10 In der Traueranzeige der Witwe und der Tochter wird das Krankenhaus Papenburg als Sterbeort genannt11.

Bereits seit 1933 wurden im Emsland 15 Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager eingerichtet.

Das Justizgefangenenlager Aschendorfermoor nahe Papenburg war im April 1935 für 1.000 Gefangene aufnahmebereit. Die Häftlinge aus dem gesamten Reich wurden hauptsächlich zu Arbeiten im Moor eingesetzt (Entwässerung, Straßen- und Wegebau, Torfabbau). Sie mussten bei schlechter Verpflegung je nach Jahreszeit zwischen acht bis zehn Stunden täglich im Moor arbeiten.

Ab Juli 1937 bis Mai 1940 zog man alle politischen Gefangenen im Lager Aschendorfermoor zusammen, um sie hier besonders zu „erziehen“. Davon waren insgesamt etwa 2.200 Gefangene betroffen.12 Es erscheint durchaus wahrscheinlich, dass Arthur Sorg seine gesamte Haftzeit im Lager Aschendorfermoor verbracht hat.

Auf dem Uetersener Friedhof befindet sich eine Gedenkplatte für Johann Britten, Arthur Sorg und Wilhelm Vollstedt.

Aufgeschrieben von Robert Brüggemann, Sebastian Steig und Reiner Johannsen mit Unterstützung der Geschichtswerkstatt im Februar 2012.

 

 

1 Weitestgehend nach den Angaben zur Person in den Vernehmungsprotokollen der Staatspolizei

2 Polizeiakten, Blatt 263. Karl wird im Weiteren jedoch nicht mehr genannt.

3 Fritz Bringmann, Herbert Dierks: Die Freiheit lebt, FFM, 1983, S. 123: Philipp Sorg wird hier für die Monate Juni bis Dezember 1933 als Gefangener in Glückstadt, Kuhlen und Esterwegen genannt.

4 Bundesarchiv: Vernehmungsprotokolle der Staatspolizei- Inspektion 6,Hamburg, v.19.1. u. 23.1., Blatt 260-268:.Die erste Seiten der Polizeilichen Vernehmungsprotokolle (S. 260) datieren vom 19. 1. 1935, also genau einen Monat nach seiner Verhaftung. Hier finden sich die Angaben zur Person, d.h. AS wurde wohl erstmals befragt Am 23.1. 35 erfolgte eine zweite Befragung (S. 264)

Laut Protokoll der Staatspolizei wurde AS am 19.12. 1934 verhaftet (S. 260) und zunächst nach Elmshorn gebracht, später dann per Sammeltransport ins KZ Fuhlsbüttel.

5 Die RGO (revolutionäre Gewerkschafts-Opposition) war zunächst eine Untergruppe im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), später eigenständige Gewerkschaft.. Sie wurde von der KPD gegründet, um innerhalb des ADGB die kommunistischen Anhänger zu organisieren. Die nach der Machtübernahme illegale RGO wurde 1935 zerschlagen.

6 Hermann Behrs, Sandweg 15, Uetersen, wird in den Akten dann nicht weiter genannt.

7 Zitate im Folgenden aus: Akten des 3. Strafsenates des Kammergerichts Berlin in Hamburg, Geschäftsnummer 100 . Js.143.35 F., ausgefertigt 14.3.1936, ergänzt 16.7.1936 Vorsitzender: Senatspräsident Marquart

8 Ziele der KPD, Bewaffnung der Mitglieder,

9 Vernehmungsprotokoll Arthur Sorg, aaO.; Bringmann; Diercks, S. 131

10 Bringmann/ Dierks: aaO. , S. 146

11 Laut Todesanzeige vom 6. September 1937 in den Uetersener Nachrichten

12Text nach: Stiftung Gedenkstätten Esterwegen,

G. Magnus Pettersson (1916-1944) – als „asozial“ stigmatisiert

Magnus Franz Heinrich Gustav Petterssohn wurde am 23. Januar 1916 in Uetersen geboren. Seine Eltern waren Marie, geb. Schwarz, und Magnus Petterssohn, ein Zigarrenmacher. Die Familie war evangelisch-lutherischer Konfession und hatte, wie der Name vermuten lässt, schwedische Vorfahren. Zur Zeit von Petterssohns Geburt wohnte die Familie in der Parkstraße 2 in Uetersen. Im Februar 1938 heiratete Petterssohn die aus Schlesien stammende Else, geb. Jänsch. Gemeinsam hatten sie mehrere Kinder, zum Teil unehelich, von denen zwei bereits kurz nach der Geburt wieder verstarben. Die Ehe zwischen Magnus und Else hielt nur wenige Jahre, 1941 erfolgte die Scheidung.

Magnus selbst hatte vier weitere Geschwister, Emma, verh. Karow, und Werner Petterssohn, die offenbar beide zeitweise bei ihrem Bruder lebten, zumindest in dessen unmittelbarer Nachbarschaft. Die Namen der anderen Geschwister sind nicht bekannt. Magnus Petterssohn lebte zu der Zeit zunächst im Kleinen Sand, später im Ossenpadd 31. Das Geld verdiente er als Gelegenheitsarbeiter, mehrfach arbeitete er zwischen 1937 und 1940 als Losverkäufer für das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, welches mit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) verbunden war. Offenbar hatte Petterssohn bis in das Jahr 1940 durch Einbehaltung von Losen über 50 Reichsmark veruntreut.

1940 wurde Petterssohn vorgeworfen, dem in Unterglinde wohnenden Gelegenheitsarbeiter Heinrich Ehlers zunächst die Geldbörse entwendet zu haben und ihn einige Tage später nachts in der Wohnung überfallen zu haben. Dabei soll Petterssohn mehrere Minuten auf ihn eingeschlagen und nach weiterem Geld gesucht haben. Petterssohn wurde am 6. März 1940 festgenommen. Zunächst leugnete er noch die Taten: „Ich habe keine Straftaten begangen und weiss auch nicht, weshalb ich festgenommen worden bin. Weiter kann ich heute nichts sagen.“ Nachdem auch seine Frau zuerst versucht hatte, ihn zu decken, gestand Petterssohn die Taten schließlich ein. Er begründete sie mit einem akuten Geldmangel und der Notwendigkeit, seine Familie zu versorgen.

Noch im März 1940 wurde gegen Petterssohn ein Haftbefehl erlassen und er wurde in das Untersuchungsgefängnis nach Hamburg überstellt. Im gleichen Monat wurde gegen ihn auch ein Verfahren eingeleitet wegen „Verbrechens gegen die Volksschädlichkeitsverordnung.“ Diese Verordnung war erst 1939 kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeführt worden, um Widerstand gegen das Regime wirksam bekämpfen zu können. So wurden auch geringe Vergehen unter Umständen mit dem Tode bestraft. Als Folge des Verfahrens wurde Petterssohn vorgeworfen, er käme aus einer „erbbiologisch minderwertigen Familie“, die als „asocial“ anzusehen wäre. Er sei ein „energieloser Mensch“ der „ungern“ arbeite und häufig der Wohlfahrt zur Last gefallen sei.

Im April 1940 wurde Petterssohn aufgrund der Vergehen zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. In einem handschriftlichen Dokument aus dem Jahr 1943, welches von Petterssohn überliefert ist, gibt dieser an, beim Überfall auf Ehlers die Schuld auf sich alleine genommen zu haben, obwohl es zwei Mittäter gegeben habe. Es habe „körperliche und seelische Mißhandlungen“ gegeben und ihm sei mit der Todesstrafe gedroht worden.

Petterssohn war im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen inhaftiert. Im Jahr 1944 wurde seine Strafe unterbrochen und er wurde in das KZ Buchenwald überführt. Auf diese Weise wollte man sich zahlreichen Häftlingen, den sogenannten Asozialen, mit der Vernichtung durch Arbeit entledigen.

Petterssohn starb am 12. Oktober 1944 in Buchenwald. Eine Todesursache ist nicht bekannt.

 

Fabian Boehlke, Febr. 2019

 

Am 15.02.2019 wurde für Magnus Pettersson ein Stolperstein im Ossenpadd 31 verlegt. Die Inschrift laut:

HIER WOHNTE

MAGNUS PETTERSSON

JG. 1916

VERHAFTET 1940

ZUCHTHAUS BREMEN

ALS ASOZIAL STIGMATISIERT

1944 BUCHENWALD

ERMORDET 12.10.1944

 

Die Patenschaft für diesen Stolperstein haben Anne Sophie und Ralph Vogt, Uetersen, übernommen.

H. Gräber von Zwangsarbeitern in Uetersen

Auf dem (Neuen) Friedhof in Uetersen gibt es 30 Gräber von Zwangsarbeitern und ihren Kindern, die zu den öffentlich gepflegten Gräber gehören. Sechs Grabsteine mögen stellvertretend für alle stehen.

 

Familienname und Vorname Geburtstag und –ort Beruf Todestag und –ort Staatsangehörigkeit
van   Aart, Franciscus 03.02.1907 Halsteren/Holland Tiefbauarbeiter 15.10.1944 Uetersen Niederlande
Bujak,   Alexander 06.05.1920 Nowogrodek Russland Fabrikarbeiter 14.07.1943 Uetersen UdSSR
Dobrowolski,   Josef 15.08.1895 Unbekannt Mühlenarbeiter 15.06.1944 Uetersen Polen
Doner,   Stanislaw 18.04.1911 Pajecno/Krs.   Wielun Schuhmacher 12.03.1944 Uetersen Polen
Flis,   Franziska 01.11.1909 Janow/Lublin/Polen Arbeiterin 31.05.1943 Uetersen Polen
Gemeinert,   Aleksander 28.05.1891 Leslau Arbeiter 22.08.1943 Uetersen Polen
Gierwazik,   Emilie Bozena (Rosena[1]) 23.05.1929 Lobendorf/ Schroda/Polen Baumschulenarb. 29.09.1943 Uetersen Polen
Grzelak   (Crzelak[2]),   Jan 16.01.1903 Nieszawa/Nessau Tiefbauarbeiter 22.08.1943 Uetersen Polen
Jurtschonek,   Lola 10.07.1943 Wetrino 08.08.1944 Uetersen UdSSR
Kalton,   Jan 20 Jahre Unbekannt 13.02.1944 Uetersen Polen
Kovalec,   Wassili 1937 Lobiska/Rußl. 30.11.1944 Uetersen UdSSR
Kucharski,   Stanislaw 25.04.1889 Wies   Lubienia /Polen Heizer 23.08.1943 Uetersen Polen
Masur,   Josef 14.03.1875 Nawaselejka   Wolinska Arbeiter 04.05.1945 Uetersen Polen
Matosewitsch,   Wizenti 24.01.1928 Mokre/Krs.   Rownow Land.   Arbeiter 20.11.1943 Uetersen UdSSR
Nenitsch,   Polina 14.06.1917 Kostantinowka Fabrikarbeiterin 04.02.1945 Uetersen UdSSR
Newerdasow,   Stefan 28.12.1900 Dorf   Kutschinschina Schuhmacher 10.05.194? Uetersen UdSSR
Nikita,   Nasinka Nasimko, Nikita 38   Jahre Unbekannt 07.04.1904  Schedok, Region Krasnodar Kriegsgefan-gener 11.09.1942 Uetersen UdSSR
Nowoselezkaja,   Helena 19.05.1899 Mitrowsk/ Rußland Hilfsarbeiterin 25.08.1943 Uetersen UdSSR
Oleziew,   Alexander 11.12.1925 Unbekannt Arbeiter 20.02.1944 Uetersen UdSSR
Pilkusa,   Senej 20.05.1887 Kiew/Rußl. Bahnunterhalt.   Arbeiter 29.12.1943 Uetersen UdSSR
Romanenko,   Grigori 28.08.1923 Tschaplinka   Krs. Nikolajew Arbeiter 20.08.1944 Moorrege UdSSR
Sidorowa,   Wera 18.01.1925 Taganrog Arbeiterin 18.07.1943 Uetersen UdSSR
Sirko,   Peter 03.07.1916 Unbekannt Zimmermann 09.03.1944 Uetersen Polen
Skumatow,   Maria 20.03.1943 Russland 21.08.1944 Uetersen UdSSR
Skupin,   Josef 31.08.1881 Gora/Krs.   Schildberg Tiefbauarbeiter 28.04.1945 Uetersen UdSSR
Smetsers,   Anton 24.05.1908 Düsseldorf Bauführer 17.02.1945 Uetersen Niederlande
Spalek,   Anna 15.08.1922 Nabwisdorf/Welungen Baumschulen-arbeiterin 19.02.1945 Uetersen Polen
Schachmejtow,   Jakob 20.03.1889 Kalinowitschi/Rußl. Arbeiter 12.12.1944 Uetersen UdSSR
Tkatschowa,   Alexandra 1870 Ossipowa Fabrikarbeiterin 20.04.1945 Uetersen UdSSR
Walczak,   Halina 14.10.1918 Breslau Hausgehilfin 27.05.1943 Uetersen Polen
Quelle: Gräberliste für öffentlich gepflegte Gräber der Stadt Uetersen vom 26.10.1970

Spur angelegt von Erhard Vogt


[1] Lt. Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Uetersen (Stadt)

[2] dto.