Die Vorgeschichte[1]
Im März 1933 waren bereits die entscheidenden Weichen in Richtung einer nationalsozialistischen Diktatur gestellt: Nachdem Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, führte die am 4. Februar von Hindenburg erlassene „Notverordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ zur Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit[2] und die nach dem ungeklärten Reichstagsbrand am 28. Februar erfolgte „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewalttaten“ [3] zu tiefergehenden Freiheitseinschränkungen, u.a. mit der Möglichkeit, politisch missliebige Personen für unbestimmte Zeit in „Schutzhaft“ nehmen zu können.[4] Die neuen politischen Verhältnisse sollten endgültig zementiert werden, nachdem am 1. und 8. Februar der Reichstags und die kommunalen Vertretungskörperschaften aufgelöst[5] und die Neuwahlen für den Reichstag am 5. März und für die preußischen Kommunalvertretungen am 12. März angesetzt wurden. Im Vorwege der Wahlen wurden die Arbeiterparteien, insbesondere die KPD, in ihrer politischen Handlungsfähigkeit zunehmend eingeschränkt, während die Nationalsozialisten eine Propagandaschlacht entfalteten.
In der Landgemeinde Quickborn führten sie am 8. Februar 1933 unter Beteiligung des in Quickborn aufgewachsenen Reichstagsabgeordneten Ferdinand Schramm eine außerordentliche, öffentliche Mitgliederversammlung durch.[6] Am 3. März folgte im „Holsteinischen Hof“ eine Wahlversammlung mit einer Radioübertragung der in Hamburg gehaltenen Rede des Reichskanzlers Adolf Hitler, die im Saal und vor dem Gasthaus ausgestrahlt wurde[7] und von der es im Aufruf hieß: „Der Eintritt zu dieser Versammlung ist frei, und es kann wohl erwartet werden, dass alle Wahlberechtigten Quickborns erscheinen.“ [8] Einen Tag später veranstaltete die NSDAP zum „Tag der erwachenden Nation“ – einen Tag vor der Reichstagswahl – einen Fackelumzug, zu dessen Vorbereitung das Pinneberger Tageblatt schrieb: „Die Bewohner Quickborns werden in der heutigen Anzeige ersucht, von früh morgens reichlich Flaggenschmuck zu zeigen und Schwarz-Rot-Gold zu vermeiden.“ [9] Über den Umzug berichtete die Lokalpresse: „Die vaterländische Kundgebung die am Sonnabend von der Ortsgruppe der NSDAP. veranstaltet wurde, nahm einen imposanten Verlauf. Schon am Tage sah man überall im Ort reichen Flaggenschmuck, neben den alten Reichsfarben schwarz-weiß-rot viele Hakenkreuzfahnen und die Heimatfarben blau-weiß-rot. Etwa 9.30 Uhr begann der Fackelzug der SA, SS und der Mitglieder der Ortsgruppe. Voran die Kapelle der hiesigen Feuerwehr gings durch die Kieler Straße, Klingenberg, Pinneberger Straße, Schulstraße, Ellerauer Straße und Marktstraße, wo überall fast Haus bei Haus zu Ehren des Tages die Fenster festlich illuminiert waren. Am Marktplatz nahmen die Teilnehmer des Umzuges Aufstellung. Der Leiter der Ortsgruppe, Herr Karl Schäffer, wies in einer Ansprache auf die Bedeutung des Tages hin, dass die Kundgebung ein Ausdruck der Freude sei darüber, dass Deutschland nun endlich eine starke Regierung habe, die das Staatsschiff mit fester Hand in eine bessere Zukunft lenken werde. Hitlers Ruf ‚Deutschland erwache!‘ sei nicht umsonst verhallt, sondern habe alle national gesinnten Deutschen in eine breite Front gestellt. Dafür gebühre ihm und seinem braunen Heer Dank, der durch ein Hoch auf die neue Regierung zum Ausdruck kam. Damit war die erhebende Feier beendet. – Die Ortsgruppe Quickborn der NSDAP. als Veranstalterin der Kundgebung am Sonnabend, 3. März, dankt der Quickborner Einwohnerschaft für die geschmackvolle Dekoration ihrer Häuser und Illumination der Fenster. Ebenso dankt sie der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr für ihre bereitwillige Mitwirkung.“ [10]
Auf kommunaler Ebene suchten die Nationalsozialisten zur Herrschaftsabsicherung ähnlich wie auf Reichsebene ein Bündnis mit den Konservativen, was sich in der Landgemeinde Quickborn in der Gründung der „Nationalen Einheitsliste“ niederschlug, einem Ende Februar 1933 geschlossenen Wahlbündnis zu den bevorstehenden Gemeindevertreterwahlen zwischen der NSDAP und den Verbänden der Landwirtschaft und des gewerblichen Mittelstandes.[11]
KPD und SPD nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
In Quickborn hatte die KPD nach der Machtübernahme der NSDAP noch einmal eindringlich an die SPD appelliert: „An die Sozialdemokratische Partei Quickborn. An die Kameraden des Reichsbanners und der Eisernen Front! Die Regierung Hitler-Papen-Hugenberg richtet den offenen Faschismus in Deutschland auf. Die gesamte Arbeiterbewegung soll unterdrückt werden, damit der Kapitalismus lebe. Alles steht für das Proletariat auf dem Spiel. Alles können wir in diesen Tagen und Wochen gewinnen, aber auch dieses verlieren. Wir müssen deshalb sofort die Einheitsfront zum gemeinsamen Kampf schließen. Es geht um die Freiheit der Arbeiterklasse, um Lohn und Brot. (…) In diesen Stunden der höchsten Gefahr wenden wir uns erneut an Euch in der Sozialdemokratie, in den freien Gewerkschaften organisierten Arbeiter, sofort gemeinsam mit uns den Widerstand gegen den Faschismus aufzunehmen. Lasst uns zusammenkommen zwecks Massenschutz gegen den faschistischen Terror. Wir dürfen keinen Tag, keine Stunde mehr verlieren. Klassengenossen! Kollegen! Schlagt ein in die Hände, die wir Kommunisten euch zum gemeinsamen Kampf reichen. Wir werden in diesem Kampf siegen, wenn wir einig und geschlossen den Kampf führen. Es lebe die revolutionäre Einheitsfront aller Werktätigen!“ [12]
Doch an einem Zusammenwirken beider Arbeiterparteien war nicht mehr zu denken. Wie auf der Reichsebene waren auch die SPD- und KPD-Ortsgruppen in der Gemeinde leidenschaftlich zerstritten und hatten sich miteinander verworfen. Zwar kam es anlässlich des Schreibens noch zu Gesprächen beider Parteien, da aber seitens der Sozialdemokraten das Einheitsfront-Modell der KPD ebenso abgelehnt wurde, wie von den Kommunisten die von den Sozialdemokraten verlangte Unterordnung innerhalb der sozialdemokratischen „Eiserne Front“, blieben beide Parteien in der neuen politischen Situation auf sich alleine gestellt.[13]
Um Gewalttaten von den Nationalsozialisten abzuwehren, hatten Sozialdemokraten wie Kommunisten schon lange vor der Machtübernahme Gefahrenabwehrformationen zusammengestellt. Bei der SPD war dieses der „Bund republikanischer Frontsoldaten – Reichs-banner Schwarz-Rot-Gold“, der zusammen mit der SPD, den (sozialdemokratischen) Gewerkschaften und den Arbeitersportverbänden die „Eiserne Front“ zur Verteidigung der Republik gegen rechtsextreme Feinde bildete.
In Quickborn hatte sich am 7. April 1925 eine Ortgruppe des Reichsbanners gebildet, der gleich nach der Gründung 40 Mitglieder beitraten.[14] Nachdem diese Ortsgruppe anscheinend wieder eingeschlafen war, wurde am 9. Oktober 1932 der Reichsbanner mit einer „Schutzformation“ unter dem Vorsitz des Schiffszimmerers Friedrich Buhr mit anfangs 23 Mitgliedern wiederbelebt.[15]
Von der KPD war im Ort der „Kampfbund gegen den Faschismus“ unter Führung des KPD-Vorsitzenden Julius Stubbe gebildet worden,[16] sowie eine „Schutzstaffel“, wie sie die auf die „Einheitsfront“-Politik der KPD ausgelegte „Antifaschistische Aktion“ vorsah, um Übergriffe der SA und SS auf der Straße und auf Wohnungen, Arbeiterlokale und Einrichtungen der Arbeiterbewegung zu unterbinden.[17]
SA, SS und Hilfspolizei
Seitens der Nationalsozialisten hatte sich in der Landgemeinde erstmals am 8. Februar 1930 ein SA-Sturm der Öffentlichkeit präsentiert,[18] der zunächst der Altonaer Standarte 31 angehörte, in der die SA-Gruppen aus Altona und dem Kreis Pinneberg zusammengeschlossen waren.[19] In der Zeit vor und während der Machtübernahme der NSDAP war der Rittmeister a.D. Werner Ballauf Sturmführer und dann Sturmbannführer der örtlichen SA.[20] Mangels Anzahl an Mitgliedern hatte die SS in Quickborn keine eigene Abteilung, sodass deren Anhänger sich dem Sturm 3 der 4. SS-Standarte in Bönningstedt unter Füh-rung des hauptamtlichen Sturmführers Wilhelm Franz anschlossen.[21]
Einen staatlich-repressiven Charakter erhielten SA und SS, als der preußische Innenminister Hermann Göring am 22. Februar 1933 zur Unterstützung der Polizei eine Anordnung zur Gründung einer Hilfspolizei aus Freiwilligen aus den „nationalen Verbänden“ erließ.[22] Dass diese nicht besonders nachsichtig sein brauchte, war bereits aus einem zuvor erlassenen Runderlass Görings zu erkennen. Er forderte, wie der Lokalpresse zu entnehmen war, am 17. Februar 1933 die Polizeibehörden auf: „Gegen kommunistische Terrorakte und Ueberfälle ist mit aller Strenge vorzugehen und, wenn nötig, rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schußwaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauchs von mir gedeckt. Wer hingegen in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienststrafrechtliche Folgen zu gewärtigen.“ [23]
Die Funktion der Hilfspolizei übernahm in Quickborn nach einer Genehmigung durch das Landratsamt Pinneberg der „Haus- und Werkschutz“ unter Leitung des SA-Sturmführers Werner Ballauf. Er wurde am 3. März 1933 gebildet und bezweckte, so Landrat Johann Duvigneau, „den Schutz der bürgerlichen Bevölkerung vor den Angriffen der in Quickborn und in der Quickborner Heide sehr zahlreich vorhandenen Kommunisten.“ [24] Dieser „Wachdienst“ sollte sich aus „nationalen Bürgern aller Richtungen“ zusammensetzen und den Anordnungen der Landjägereibeamten Folge leisten.
Für Quickborn und Quickborn-Heide wurde jeweils ein Wachdienst mit zwölf SA-, SS- und Stahlhelm-Mitgliedern eingesetzt, die unter der Losung „Militärische Dissiplin! Absolute Unterordnung! Keine Unterhaltung mit Zivilpersonen!“ ihren Dienst antraten und ausgehend von den Wachlokalen in der Zeit von 21.00 bis 6.00 Uhr in Streifen von je 4 Personen bewaffnet durch die Straßen zogen. Um sich nachts gegenüber anderen Streifen sowie den Landjägern und den Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes erkennbar zu machen, wurde täglich eine neue gemeinsame Parole ausgegeben.[25]
Der Einsatz des Haus- und Werkschutzes
Gleich am ersten Einsatztag des „Haus- und Werkschutzes“ kam es am 4. März 1933 – der Nacht vor der Reichstagswahl – in Quickborn-Heide zu einem Zusammentreffen mit dem politischen Gegner. Um ca. 23.30 Uhr trafen die SS-Mitglieder Bruno Urbons und Adolf Schlatow und die Stahlhelm-Mitglieder Amtag und Arthur Staat[26] in der Nähe des Wachlokals „Weißer Hirsch“ auf eine Reichsbanner-Patrouille, bestehend aus Friedrich Buhr, Bruno Ruch und Heinrich Korte. Unter Androhung des Waffengebrauchs forderte der „Haus- und Werkschutz“ eine Durchsuchung der Männer, woraufhin bei dem Reichsbanner-Mitglied Buhr eine Armeepistole gefunden und die Gruppe verhaftet und ins Wachlokal verschleppt wurde, wo sie unter dem Wachhabenden und SS-Truppenführer Hans Lau von SS-Mitgliedern misshandelt wurden und man ihnen die Erschießung androhte.[27]
Gegen 24.00 Uhr informierte der „Haus- und Werkschutz“ den Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde über die Festnahmen und übergab ihm die Gefangenen. Nach einem polizeilichen Verhör wurden die drei Sozialdemokraten dem Gerichtsgefängnis Altona überführt. Eine spätere Durchsuchung der Gegend und der Wohnungen der Verhafteten sowie „freiwillige“ Herausgaben brachte weitere fünf Waffen zutage. Am 9. Juni 1933 verurteilte das Altonaer Schöffengericht die Reichsbanner-Männer wegen Vergehen gegen das Schusswaffengesetz zu Haftstrafen zwischen zwei Wochen und fünf Monaten Gefängnis.[28]
Tödliche Gewalt
Der Fackelzug der Nationalsozialisten vom 4. März war erst wenige Stunden beendet und die verhafteten Sozialdemokraten aus Quickborn-Heide saßen noch nicht lange in der Polizeihaft, da kam es erneut zu einem Zusammentreffen von Nationalsozialisten und Antifaschisten, diesmal jedoch mit tödlichem Ausgang.
Ebenso wie in Quickborn-Heide zog der zweite Streifendienst des „Haus- und Werkschutzes“ in dem Ort Quickborn durch die Straßen. So verließ in der Nacht zum 5. März, vermutlich gegen 1.30 Uhr, eine Streife mit den SA-Männern Paul Scheerer, Bruno Jäger und Ernst Wagenitz sowie dem Mitarbeiter des gewerblichen „Sicherheitsdienstes und Flurschutzes für Quickborn und Umgegend“ Gustav Jeske das Wachlokal Schmidt‘s Gasthof an der Kieler Straße und machte sich auf dem Weg in Richtung des Wohnhauses des KPD-Vorsitzenden Julius Stubbe.[29] Bewaffnet war Ernst Wagenitz mit einer Pistole Kaliber 7,65, Paul Scheerer mit einem Trommelrevolver und Gustav Jeske mit einem Karabiner Modell 71 und zusätzlich einer Pistole.[30]
In der Nacht zur Reichstagswahl vom 4. auf den 5. März 1933 hatten sich in Stubbes Haus in der Querstraße ca. 15 Mitglieder der kommunistischen Häuserschutzstaffel versammelt, um Übergriffe von Nationalsozialisten abzuwehren. Um sich die Zeit zu vertreiben, hörten sie Radio und spielten Skat.[31] Etwa die gleiche Menge an Personen befand sich ca. 300 Meter entfernt in dem Haus des zweiten kommunistischen Gemeindevertreters, Johannes Schwank, im Langenkamp. Zwischen beiden Häusern wechselten kleine Gruppen ihren Standort und durchquerten auf ihrem Weg auch den kleinen mit Bäumen und hüfthohen Büschen bepflanzten Dorotheenpark zwischen den Bahnschienen und dem Harksheider Weg.
Um eine Verhaftung der Häuserschutzstaffelmitglieder zu entgehen, führten sie keine Waffen bei sich. Einzelne sich im Besitz von KPD-Mitgliedern befindliche Schusswaffen hatte Julius Stubbe im Vorwege eingesammelt und insgeheim mit dem KPD-Mitglied Werner Hünemörder unter einem Misthaufen in der Nähe seines Hauses versteckt, um diese in einem Notfall zur Abwehr bereithalten zu können.
Gegen 2:30 Uhr verließ noch einmal eine Gruppe der Häuserschutzstaffel das Haus von Johannes Schwank: In der dunklen und mondlosen Nacht machten sich Rudolf Pumgarin, Adolf Blohm, Adolf Warnecke und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Paul Warnecke auf den Weg zu Julius Stubbe. Zur gleichen Zeit beobachtete die Streife des „Haus- und Werkschutzes“ wenige Meter vom Gebäude entfernt das Haus des KPD-Vorsitzenden, wo sie noch Licht brennen sahen. Als sich ihnen in der Dunkelheit eine Gruppe bis auf 30 bis 40 Metern näherte,[32] rief Gustav Jeske ihnen das Wort „Parole“ zu. Eine Rückmeldung hierauf blieb aus,[33] vielmehr machte die Gruppe kehrt um und floh, woraufhin mehrere Schüsse in Richtung der Fliehenden abgegeben wurden.[34] Tödlich im Rücken getroffen[35] fiel der 19-jährige Paul Warnecke zu Boden.[36]
Nach der Tat
Nach einem kurzen, aber ergebnislosen Absuchen des Areals entfernten sich die Nationalsozialisten vom Tatort in dem Glauben, keine Person angeschossen zu haben. Der Tote wurde wenig später von einem Trupp aufgefunden, der im Wachlokal in der Kieler Straße die Schüsse vernommen hatte und nun nach dem Rechten sehen wollte. Dieser entdeckte schließlich im Dorotheenpark am Wegrand den Leichnam des Paul Warnecke, verständigte die beiden Landjäger Heinrich Grube und Fritz Klöfkorn und forderten von diesen die umgehende Verhaftung von Julius Stubbe und weiterer sich bei ihm aufhaltenden KPD-Funktionäre.
Die Kommunisten im Haus von Julius Stubbe hatten sich nach den Schüssen ruhig verhalten, wie sich Julius Stubbe erinnerte: „Ich ließ niemand aus dem Hause, weil ich zunächst glaubte, es seien nur Schüsse abgegeben, um uns aus dem Hause zu locken und dann auf uns zu schiessen.“ [37] Vermutlich um die Situation zu beruhigen und keine weitere Eskalation zu bewirken, kamen die Landjäger der Aufforderung der Nationalsozialisten zunächst nicht nach, was dazu führte, dass die anwenden SS-Angehörige, so SS-Haupttruppenführer Karl Petersen, „stark in Erregung gerieten und Zwischenfälle nur durch das disziplinierte Verhalten derselben vermieden wurden.“ [38]
Die Beschwerde der SS wird dann vermutlich dazu beigetragen haben, dass die Landjäger nun zumindest Julius Stubbe in „Schutzhaft“ nahmen und die anderen anwesenden Kom-munisten nach Hause schickten. Eine gründliche Durchsuchung des Hauses von Stubbe gegen 5.30 Uhr brachte kein belastendes Material hervor.[39] Erst nachdem in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1933 die Polizei und SS bei dem Kommunisten Werner Hünemörder eine Durchsuchung vornahm und ihn misshandelten, gab dieser das Waffenversteck unter dem Misthaufen preis.[40]
Die Landjäger brachten Julius Stubbe nicht von seinem Wohnsitz über die Bahnhofstraße in die Marktstraße, wo sich im Spritzenhaus das Quickborner Gefängnis befand, sondern in eine Haftzelle im weiter entfernten Rellingen. Julius Stubbe erinnerte sich in der Nachkriegszeit: „Beim Abtransport sagte Gruwe [gemeint ist Grube, d. Verf.] oder Klöfkorn zu mir: Wir fahren nicht durch die Bahnhofstr. sondern einen anderen Weg, und setzte zu mir hinzu: Warum wir das tun, werden wir Dir später sagen. Nachher sagte er mir, es sei an ihn das Ansinnen gestellt, mit mir durch die Bahnhofstraße zu fahren und dann hätte man dort mich umlegen wollen.“ [41] Der KPD-Vorsitzende wurde von hier aus später in das Gefängnis nach Elmshorn gebracht und schließlich in die Untersuchungsgefängnisse Moabit und Tegel in Berlin überführt, wo er im Januar 1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 2 ½ Jahren Gefängnis und Werner Hünemörder wegen Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurden.[42]
Von wem der tödliche Schuss auf Paul Warnecke abgegeben wurde, ließ sich schnell ermitteln: Da nach der Wunde der Schuss nur von einer großkaliberigen Waffe stammen konnte, musste dieser aus dem Karabiner des Gustav Jeske abgegeben worden sein, was dieser auch eingestanden hatte. Da er mit dem Karabiner zwei Schüsse abgegeben hatte und die Waffe keine Mehrladevorrichtung enthielt, hatte er nach der Abgabe des ersten Schusses die Waffe für das Nachladen absetzen müssen, um dann für den zweiten Schuss noch einmal anzulegen.
In einem Bericht meldete Landrat Duvigneau am 5. März 1933 an den Regierungspräsidenten in Schleswig: „Die Ruhe und Sicherheit in Quickborn ist wiederhergestellt.“ Und weiter merkte er an: „Wenn es überhaupt angebracht ist, über diesen Vorfall eine Presse-notiz zu bringen, so schlage ich vor, nur zu schreiben: ‚Bei einem Zusammenstoß zwischen einer Streife des Quickborner Haus- und Werkschutzes und einer Streife der kommunistischen Häuserschutzstaffel in Quickborn wurde ein Kommunist getötet‘.“ [43]
Einen Tag nach dem Tod von Paul Warnecke feierten die Nationalsozialisten mit einem Umzug durch den Ort und dem Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus ihren Sieg bei der Reichstagswahl, bei der die NSDAP in Quickborn mit 1354 Stimmen 60,9 Prozent erzielte.[44] Sturmführer Ballauf führte aus: „Kameraden von der SA und SS, heute ist auch für Quickborn der Tag gekommen, an welchem die Fahne des nationalsozialistischen Deutschland auf dem Rathaus in Quickborn aufgezogen wird. Wir hoffen und wünschen, daß diese Fahne dort oben bleibt und geloben gleichzeitig, daß das Hakenkreuzbanner nicht heruntergeholt wird, solange wir leben. Wir hoffen und wünschen, daß auch hier in Quickborn mit dem Bürokratismus der letzten Jahre ein Ende gemacht wird und daß Quickborn wieder zu einem deutschen Quickborn wird. Ebenfalls geloben wir, daß mit dem Kommunismus der Quickborner Heide endgültig aufgeräumt wird.“ [45]
Bei der eine Woche später stattfindenden Gemeindevertreterwahl erreichte die „Nationale Einheitsliste“ in Quickborn 76,1 Prozent und damit 10 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Gemeindevertreterwahl NSDAP und „Bürgerliche Wirtschaftsliste“ zusammen. Die KPD verlor hingegen 130 Stimmen und kam mit 148 Stimmen auf 8,2 Prozent.[46] Neben den 10 Vertretern der „Nationalen Einheitsliste“ waren nunmehr nur noch jeweils ein Vertreter der KPD und der SPD in die kommunale Vertretung gewählt worden. Das Mandat des kommunistischen Abgeordneten Julius Stubbe wurde jedoch aberkannt.[47] Er befand sich zum Zeitpunkt seiner Wahl, wie oben erwähnt, ohnehin bereits in „Schutzhaft“.
Umbenennung in Horst-Wessel-Park
Der Gemeindeplatz und Sterbeort von Paul Warnecke wurde auf Antrag der NSDAP am 25. April 1933 von der Gemeindevertretung in „Horst-Wessel-Park“ umbenannt,[48] von wo aus am „Feiertag der nationalen Arbeit“, dem 1. Mai 1933, NSDAP-Ortsgruppenleiter Schäffer „in kurzen Worten das Leben und Sterben Horst Wessels schilderte und aufforderte seinem Beispiel von Treue nachzueifern.“ [49] Die KPD wird zu diesem Zeitpunkt in Quickborn als organisatorischer Zusammenschluss nicht mehr existiert haben. Im Januar 1933 rechnete sie noch zwölf zahlende Mitglieder mit dem Bezirk ab, dann folgten keine Zahlungen mehr.[50]
Das Opfer
Paul Warnecke war das erste Opfer des Nationalsozialismus in Quickborn. Er war das jüngste von über acht Kindern des Arbeiters Heinrich Warnecke und der Hausfrau Amalie Warnecke, geborene Bönke.[51] Am 13. Februar 1914 in Quickborn geboren, machte er eine Ausbildung als Schlosser und wohnte bei seinen Eltern[52] an der Kieler Straße am Elsensee.[53] Wie seine älteren Brüder Adolf[54] und Wilhelm[55] war Paul Warnecke Anhänger der KPD. Auf seiner Beerdigung am 9. März 1933 auf dem Quickborner Nordfriedhof soll nach den Erinnerungen des Zeitzeugen Paul Bentzin „fix was los“ gewesen sein. Ein Bruder des Verstorbenen habe hier am Grab gesagt: „Auch du, lieber Bruder, wirst gerächt!“ [56]
Der Täter
Nach der Tat war bei Jeske kein Bedauern über das Geschehen zu erkennen. Der damalige Landjäger Grube sagte in der Nachkriegszeit aus: „Nach dem Vorfall hat Jeske sich ständig gerühmt, daß er einen Kommunisten erschossen hätte und sein Anhang, d.h. die Quickborner SA-Leute, trieb es genau so, ebenso auch die Quickborner und Bönningstedter SS. Jeske rühmte sich mir gegenüber, daß er ein sicherer Schütze sei, der auch Nachts sein Ziel nicht verfehle.“ [57] Gegenüber dem Bruder des Getöteten äußerte er sich ca. drei Wochen nach der Tat provokativ, dass er verwundert sei, nicht noch weitere Personen von seinen Schüssen getroffen zu haben.[58]
Ein Gerichtsverfahren mussten die beteiligten Nationalsozialisten nicht befürchten. Am 3. April 1933 stellte die Staatsanwaltschaft Altona das Verfahren ein, da Jeske und Wagenitz wahrheitswidrig behaupteten, von den Kommunisten zuerst beschossen worden zu sein und somit aus Notwehr gehandelt zu haben. Sollte dennoch eine Straftat vorliegen, so die Staatsanwaltschaft in ihrem Einstellungsbericht, „so würde diese bei Jeske, Scheerer und Jäger unter die Amn. V.O.v. 21.3.33 [Amnestieverordnung vom 21.03.33, d. Verf.] fallen.“ [59]
Es gehört zu den tragischen Wendungen im Leben des Täters Gustav Jeske, dass dieser sich bald nach der Erschießung von Paul Warnecke selbst von seinen Parteigenossen drangsaliert und ausgeschlossen fühlte. Dabei sah anfangs noch alles wie ein typischer Lebensweg aus, wie er für viele andere nationalsozialistische Gewalttäter charakteristisch gewesen sein dürfte. Gustav Jeske wurde 1899 in Bertow in der Provinz Sachsen geboren und erlernte nach dem Schulbesuch den Beruf des kaufmännischen Angestellten.[60] Er war 17 Jahre alt, als er sich 1916 als Kriegsfreiwilliger meldete und den Ersten Weltkrieg in Rumänien und Frankreich mitmachte. Nach seiner Demobilisierung in Aachen trat der mit einem Eisernen Kreuz II Klasse ausgezeichnete Jeske im Januar 1919 dem Freikorps Gardekavallerie Schützendivision bei und nahm in Berlin an den „Kämpfen gegen Spartakus teil“.[61] Nach der Niederschlagung der Aufstände in Berlin ging Gustav Jeske zur berittenen Sicherheitspolizei und beteiligte sich in Mitteldeutschland an der Niederschlagung der politischen Unruhen.
Als Unterwachtmeister schied er dort 1921 aus. Anschließend arbeitete er im Schaffnerdienst bei der Reichsbahn in Hamburg, wo er aufgrund eines Beamtenabbaus entlassen wurde, und dann ab 1924 bei der Reichspost als Schalter- und Zustellbeamter. Nachdem er 1930 in Ausübung seines Berufs Gelder unterschlagen hatte, wurde er 1930 entlassen und am 30. Januar 1931 wegen Amtsunterschlagung verurteilt. Er arbeitete fortan in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen im kaufmännischen Bereich und wurde schließlich 1932 Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes in Hamburg-Bergedorf.
In Bergedorf trat Gustav Jeske am 11. Juli 1932 vom Stahlhelm, dem er in der ersten Hälfte der 1920er Jahre beigetreten war und ca. acht Jahre angehörte, zur SA über und wurde bereits drei Wochen später zum SA-Scharführer ernannt. Seine Aufnahme in die NSDAP erfolgte mit der Mitglieds-Nr.1287439 zum 1. August 1932.[62] Aufgrund von Unstimmigkeiten mit örtlichen nationalsozialistischen Funktionären trat Jeske im November 1932 wieder aus der NSDAP und am 16. Dezember 1932 auch aus der SA Bergedorf wieder aus,[63] sympathisierte aber weiterhin mit den Nationalsozialisten.[64] Als sein Arbeitgeber 1932 eine Zweigstelle in Quickborn eröffnete, wurde Gustav Jeske hierher versetzt.
Das Wach- und Sicherheitsgewerbe hatte auch in der Landgemeinde Quickborn Anfang der 1930er Jahre angesichts der großen sozialen Not und der hiermit verbundenen Einbrüche, Feld- und Forstdiebstähle und der Wilderei, denen die Ortsgendarmerie nicht mehr Herr werden konnte, eine Konjunktur erfahren. In der Gemeindevertretung wurde im Januar 1932 diskutiert, zur Behebung der Unsicherheit einen Nachtschutz einzurichten. Da allerdings die Mitwirkenden solcher Sicherungsdienste oftmals als rechtslastig galten, stieß das Vorhaben auf Kritik. Trotzdem entschied sich die Mehrheit der Kommunalvertreter für die Einrichtung eines nächtlichen Wachdienstes und beauftragte ausgerechnet die beiden Nationalsozialisten Wilhelm Kolz und Wilhelm Höppner mit dessen Leitung.[65]
An privaten Sicherheitsdiensten waren seit Ende 1931 die „Wachbereitschaft ‚Hansa‘“ und seit Februar 1932 das „Wachkommando Hamburg GmbH“ in Quickborn tätig, die gegenüber Grundeigentümern, Landwirten und Gewerbetreibenden ihre Sicherheitsdienstleistung gegen Beitragszahlungen anboten. Letztere zog in schwarzen Uniformen und Marine-Schirmmützen durch den Ort.[66] In schwarzer Uniform und zusätzlich mit einem Wachhund ausgestattet waren ebenfalls die beiden Mitarbeiter der „Hamburger Eigentumsschutz- und Sicherheitsdienstes“ während ihrer Streifendienste unterwegs, die ab dem 28. November 1932 in Quickborn ihre Zweigstelle bei dem Schuhmachermeister Ernst Sahling in der Straße Am Mühlenberg einrichteten.[67] Die Leitung dieser Zweigstelle übernahm Gustav Jeske, der dann auch bald von Bergedorf nach Quickborn umzog.[68] Nachdem die Bergedorfer Sicherheitsfirma aus Gründen der wirtschaftlichen Unrentabilität ihre örtliche Filiale schloss,[69] verblieb Gustav Jeske in Quickborn und machte sich im Juni 1933 mit dem „Sicherheitsdienst und Flurschutz“ mit sechs Angestellten selbstständig.[70] In Quickborn schloss er sich auch wieder der NSDAP und der SA an.[71]
Vertauschte Rollen
Ähnlich wie in der Bergedorfer SA, so eckte Jeske bald auch in der Quickborner SA an. In einer Beurteilung des SA-Sturms Quickborn vom 27. August 1933 wurde er als undiszipliniert, unkameradschaftlich und unordentlich in seinen persönlichen und familiären Angelegenheiten angesehen.[72] Anscheinend wurde Jeske zu diesem Zeitpunkt schon innerhalb der SA gemaßregelt, was zu einer weiteren Verstimmung beigetragen haben dürfte, da er sich gegenüber seinen Mitarbeitern abfällig über die SA äußerte und gesagt haben soll: „Ich wünschte nur, dass die Kommunisten wiederkämen.“ [73] Diese Äußerungen zeigten seine Mitarbeiter bei der Ortspolizeibehörde an, die daraufhin Jeske am 21. September 1933 festnahm.
Bei der Verhaftung stellte sich für die Nationalsozialisten als besonders verwerflich heraus, dass Gustav Jeske das Eiserne Kreuz I. Klasse, das er zu jedem SA-Dienst trug, sowie das Anhaltinische Verdienstkreuz zu unrecht besessen hatte. Die Besitzzeugnisse für die Kriegsauszeichnungen hatte er gefälscht. Auch seinen Militärpass fälschte er, indem er die Eintragung „Gefreiter“ in „Unteroffizier“ abänderte. Fast schon nebenbei und als weiterer Verhaftungsgrund willkommen, fand man bei Jeske zudem noch Waffen, die bei den Behörden nicht angemeldet waren.[74]
Dass sich in ihren Reihen ein solcher Betrüger aufgehalten hatte, rief bei den Quickborner Nationalsozialisten eine tiefe Bestürzung hervor, wie der Lokalpresse zu entnehmen war: „Quickborns Bevölkerung ist über das Verhalten J. außerordentlich empört. Er wurde am Donnerstagabend aus der Arrestzelle herausgeholt und gegen 9 Uhr von den SA.-Leuten, die mit Fackeln ausgerüstet waren, durch den ganzen Ort geführt. Bei jeder Lampe der Straßenbeleuchtung machte die Kolonne Halt, und von dem Führer wurde J. recht deutlich als Betrüger ausgerufen. Am selben Abend wurde der Verhaftete im „Grünen August“ nach Altona befördert, von wo er in ein Konzentrationslager eingeliefert wird.“ [75] Eingeliefert wurde der „Schutzhäftling“ Gustav Jeske nach der Vernehmung vor dem Amtsgericht Altona in das Konzentrationslager Kuhlen bei Rickling. Im Konzentrationslager stieß er auf zumeist sozialdemokratische und kommunistische Häftlinge, darunter die aus dem Amtsbezirk Quickborn stammenden Max Kellermann, Richard Bonacker, Hugo Hirt und Alfred Stamer,[76] wodurch er unter den Insassen sicherlich eine Sonderrolle eingenommen hatte. Nach der Schließung des KZ Kuhlen wurde Jeske am 29. Oktober 1933 in die als Konzentrationslager genutzte Landesarbeitsanstalt Glückstadt überführt,[77] von wo aus er nach insgesamt 84 Hafttagen im KZ am 15. Dezember 1933 entlassen wurde.[78]
Gustav Jeske hatte seit dem Bekanntwerden seiner Schwindeleien keinen guten Stand mehr. Das frühe NSDAP-Mitglied und Amtsvorsteher der Ortspolizeibehörde Wilhelm Kolz bezeichnete ihn als Prahlhans und Wichtigtuer[79] und das Pinneberger Tageblatt warf ihm ein Geltungsbedürfnis vor.[80] Aus der SA wurde er am 18. Oktober 1933 ausgeschlossen[81] und auch seine NSDAP-Mitgliedschaft wurde wieder gestrichten.[82] Sein Wachgewerbe in Quickborn musste Jeske aufgeben. Ausgerechnet sein einstiger Mitarbeiter Walter Kappelhoff, der ihn angezeigt hatte, ließ in der Lokalzeitung verkünden, dass er die Leitung des Sicherheitsdienstes und Flurschutzes Quickborn übernommen habe.[83]
Nach seiner Haftentlassung zog Jeske nach Hamburg und hatte sich zwei Wochen später noch vor dem Schöffengericht Altona zu rechtfertigen. Die Fälschungen der Kriegsauszeichnungen begründete er im Prozess damit, dass ihm diese seiner Ansicht nach zugestanden hätten. Die Äußerungen hinsichtlich der Kommunisten erklärte er mit seinem schlecht laufenden Gewerbe, das vor der Machtübernahme wirtschaftlich erfolgreicher gewesen wäre.[84] Den illegalen Waffenbesitz und die Weitergabe von Waffen gestand er ein, rechtfertige dieses jedoch nachträglich mit: „Der Waffenerwerb vor, während und nach der Machtübernahme, Austausch sowie Bewaffnung meiner S.A. Kameraden erfolgte zum Zwecke der Bekämpfung der Kommunisten und Marxisten während des nationalen Kampfes.“ [85]
Jeske wurde wegen des illegalen Waffenbesitzes bzw. –weitergabe zu drei Monaten und zwei Wochen Gefängnis verurteilt und seine Waffen eingezogen.[86] Vor dem Strafantritt trat er am 6. Januar 1934 noch einmal in Quickborn auf. Sein Erscheinen in einem Offiziersmantel und einem Leutnantsrock der Reichswehr löste erneute Empörung in der SA aus und führte zu einem zweiten Übergriff auf seine Person und eine kurzfristige „Schutzhaft“ durch die Landjäger.[87]
Nach seinem Aufenthalt in Quickborn war Jeske in Hamburg im Elektrofach tätig und nahm als Wehrmachtsangehöriger am Einmarsch ins Sudetenland teil. Ende September 1939 wurde er zu einer Flakkolonne einberufen und 1940 zum Oberfeldwebel und 1944 dann zum Stabsfeldwebel befördert.[88]
Verhaftung und Prozess in der Nachkriegszeit
Die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland führte erst einmal nicht wegen der tödlichen Schüsse auf Paul Warnecke zu einer Strafverfolgung des Gustav Jeske. Zwar leitete der neue Amtsvorsteher Walter Kahle im Mai 1945 erste Ermittlungen über den Vorfall ein und stieß in diesem Zusammenhang auf den Verdacht einer Tatbeteiligung des SS-Mannes Willi Blöcker,[89] der von der britischen Militärpolizei festgenommen wurde. Da dieser jedoch 1933 in Quickborn an Misshandlungen politischer Gegner beteiligt war, nicht jedoch an den tödlichen Schüssen auf Paul Warnecke, und anscheinend auch die Nachforschungen des in Pinneberg ansässigen britischen Nachrichtendienstes, der Field Security Section (FSS), ins Stocken gerieten, kam es vorerst nicht zu weiteren Ermittlungsergebnissen. Erst als Walter Kahle eine Anzahl neuere Papiere auswertete, aus denen sich der ungefähre Aufenthaltsort des Täters ableiten ließ, zeigte er den Vorfall am 3. Juli 1946 ein zweites Mal polizeilich an.
Der Aufenthaltsort des Gustav Jeske in Hamburg-Winterhude ließ sich schnell ermitteln. Er wurde am 26. Juli 1946 festgenommen und kam ins Gerichtsgefängnis Pinneberg in Untersuchungshaft. Jeske, der inzwischen als Außenbeamter einer Auskunftei arbeitete, gab in einer ersten Vernehmung an, als Sicherheitsangestellter zwangsläufig in eine Schießerei zwischen der SA und Mitgliedern der SPD und KPD geraten zu sein und hierbei Schüsse abgegeben zu haben, wobei er nicht anzugeben vermochte, ob Warnecke durch die Schüsse zu Tode kam.[90]
Einen Tag später revidierte Jeske seine Aussage, da ihm wohl wieder bewusst geworden war, dass er 1933 bereits die Tat eingestanden hatte: „Ich gebe frei und ohne Umschweife zu, dass ich an dem Tode des Warnecke die Schuld trage, muss aber erwähnen, dass ich ein Opfer der damaligen verkehrten deutschen Politik geworden bin. Ich habe mich aber restlos von dieser Politik entfernt und habe mich den heutigen demokratischen Aufbau restlos zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grunde habe ich mich im April 1946 der SPD. in Hamburg angeschlossen und bin als Werber für diese Partei tätig, um eine zukünftige Misswirtschaft im deutschen Vaterlande zu verhindern.“ [91]
Eigenartig klang in diesem Zusammenhang, wie Jeske seine Bitte an das Gericht begründete, den Haftbefehl aufzuheben: „Ich werde draußen dringend benötigt als Propagander und Werbemann der demokratischen Neugestaltung unseres Vaterlandes, damit wir wieder einen Platz an der Sonne unter den Völkern Europas einnehmen können, der uns auf Grund unserer kulturellen Struktur in der europäischen Völkerfamilie gebührt. An dem Ausgang und den Ergebnissen dieser kommenden Wahl [gemeint sind die ersten freien Wahlen nach dem Ende des Nationalsozialismus im September bzw. Oktober 1946 in der britischen Zone, d. Verf.] hängt das Schicksal aller Deutschen ab. Entweder wir treten abermals an Schulter an Schulter mit englischen oder amerikanischen Soldaten gegen die drohende Gefahr des Ostens, oder Europa wird überrannt von ostasiatischen Völkern. Ein Völkermorden und Bruderkämpfe sind ihre Begleiterscheinungen, die Vernichtung der abendländischen Kultur ihr Ziel. Aus dieser Erkenntnis heraus bitte ich das hohe Gericht, lassen Sie mich als Kämpfer draußen teilnehmen an dieser uns Deutschen heiligen Sache. Stellen Sie mich für diese Zeit unter Polizeiaufsicht mit der Verpflichtung mich täglich zu melden, aber lassen Sie mich nicht meine kostbare Zeit in einer Zelle nutzlos verbringen.“ [92]
Einer Haftentlassung wurde nicht stattgegeben, sondern ein Gerichtsverfahren eingeleitet. In dem Verfahren stellte Jeske bzw. sein Verteidiger die Tötung des Paul Warnecke als einen „unglücklichen Zufall“ dar. Eine gezielte politische Intention habe das Zusammentreffen in der Nacht vom 4. auf den 5. März 1933 weniger gehabt. Vielmehr sei Jeske im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit im Sicherheitsdienst unterwegs gewesen und habe „gute Bekannte“ auf ihrem Nachhauseweg begleitet. „Nichtsahnend“ sei die Gruppe dann am Dorotheenpark eher zufällig auf das Haus von Julius Stubbe gestoßen. Als sich hier Personen näherten, befürchtete man einen Überfall und um diesen abzuwehren, habe Gustav Jeske in einer Notwehrsituation zwei Schüsse abgegeben und hierbei Paul Warnecke tödlich getroffen. Die Verteidigung plädierte daher auf Notwehr bzw.- da ein Angriff der Gegenseite nicht stattfand, sondern von Jeske angenommen wurde – auf Putativnotwehr. Allenfalls sollte der Vorfall als fahrlässige Tötung bewertet werden, bei der jedoch eine Strafverfolgung verjährt und die Einstellung des Verfahrens und Aufhebung des Haftbefehls geboten wären.[93]
Die Staatsanwaltschaft bewertete den Fall hingegen als Mord aus politischen Beweggründen, forderte entsprechend des von den Alliierten erlassenen Kontrollratsgesetzes Nr. 10 eine Verurteilung wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und beantragte die Todesstrafe. Die Große Strafkammer des Landgerichts Itzehoe verurteilte Jeske schließlich am 4. Dezember 1946 wegen Totschlags zu einer Zuchthausstrafe von sieben Jahren. Jeske habe vorsätzlich, aber nicht mit Überlegung geschossen. Der bedingte Tötungsvorsatz habe hier vorgelegen, da Jeske die als möglich vorgestellte Tötung eines Menschen gebilligt habe.[94]
Nach der Verurteilung forderten beide Seiten eine Revision. Die Staatsanwaltschaft bemängelte, im Urteil sei nicht berücksichtigt worden, dass der Angeklagte von vornherein mit dem Auftauchen eines politischen Gegners gerechnet und sich auf ein solches Zusammentreffen innerlich eingestellt hatte, was die Verurteilung wegen Mordes rechtfertige.
Seitens der Verteidigung wurde angeführt, dass ein tödlicher Schuss nicht beabsichtigt worden sei, sondern lediglich ein Erschrecken der herannahenden Personen. Der hierauf am 18. April 1947 in Pinneberg folgende Berufungsprozess vor der Strafkammer I des Landgerichts Itzehoe blieb in seinem Urteil bei einer Verurteilung wegen Totschlags, erhöhte jedoch die Strafe auf 10 Jahre Zuchthaus und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren. Weitere Anfechtungen des Urteils wurden vom Oberlandessgericht verworfen. Der Verurteilte trat die die Strafe im Zuchthaus Rendsburg an.
Ob Gustav Jeske sich jemals wegen des Todes von Paul Warnecke eine moralische Schuld eingestanden hatte, dürfte anhand der Gnadengesuche, in denen die Auseinandersetzung mit dem Opfer nicht stattfindet, eher zweifelhaft sein. Am 5. September 1948 schrieb er an die Staatsanwaltschaft, „dass ich weder ein notorisch krimineller, noch ein politischer Verbrecher bin, sondern lediglich das Opfer der damaligen hochbewegten politischen Zeit mit ihren heil und unheilvollen Begleiterscheinungen: Die Wiederaufrollung dies tragischten aller politischen Vorgänge ist ein Vergeltungs u. Racheakt heutiger Führer der K.P. in Quickborn.“ [95]
Noch deutlicher wird dieses in seinem Gnadengesuch vom 11. Juni 1951, das auch erkennen lässt, wie sich Jeske das inzwischen gewandelte gesellschaftspolitische Klima zunutze zu machen versucht: „Meine Straftat habe ich in einer politisch erregten Zeit begangen, ich will sie nicht damit beschönigen, aber ich möchte doch bitten auch die Zeitverhältnisse zu berücksichtigen. Als ich im Jahre 1946 verurteilt wurde, war ich der Erste, der nach dem Kontrollratsgesetz bestraft wurde und das Urteil sollte damals besonders abschreckend wirken. Darum wurde auch in der Berufungsinstanz das Urteil von 7 auf 10 Jahre erhöht. Meine antikommunistische Einstellung als Soldat und im Freikorps[96] wirkte strafschärfend. Heute dürfte die antikommunistische Einstellung nicht mehr in dieser Weise ins Gewicht fallen. Vielleicht kann dieser Umstand bei der Erwägung eines Gnadenerweises auch berücksichtigt werden.“ [97] Der damalige Oberstaatsanwalt, der Generalstaatsanwalt und der schleswig-holsteinische Justizminister hatten in dem Gnadengesuch kein Hindernis gesehen, von einem Straferlass abzusehen, und so wurde Gustav Jeske nach Verbüßung der Hälfte der Haftstrafe am 29. September 1951 entlassen. Er nahm dann seinen Wohnsitz in Hamburg und war fortan als Pförtner beim Spiegel-Verlag tätig.[98]
Milde davongekommen war auch der einstige Leiter des „Haus- und Werkschutzes“ und SA-Sturmführer Werner Ballauf, dem seitens des Entnazifizierungsausschusses Quickborn eine Mitverantwortung am Tod von Paul Warnecke zugeschrieben wurde. Dieser gab an, mit dessen Tod nichts zu tun gehabt zu haben und erst drei bis vier Tage später von dem Vorfall erfahren zu haben. Wahrheitswidrig sagte er über den „Haus- und Werkschutz“ aus: „Ich habe niemals einen Sicherheitsdienst in Quickborn gebildet.“ [99] Der Entnazifizierungs-Hauptausschuss seines damaligen Heimatortes Düsseldorf zeigte viel Verständnis für den einstigen Generalmajor der Waffen-SS und stufte ihn als „Mitläufer“ ein.[100]