Georg E. Braun Grabplatte – Friedhof Cuxhaven-Brockeswalde
Die Insel Helgoland hatte während des Zweiten Weltkrieges trotz massiver Befestigungs- und Verteidigungs-anlagen keine nennenswerte militärische Bedeutung. Am Ende des Krieges war sie aber mit ihrem Flug-meldedienst so weit draußen im Meer wichtig, um in den großen Küstenstädten Hamburg und Bremen rechtzeitig den Fliegeralarm auslösen zu können. Trotz mehrfacher Aufforderung der Alliierten an den Inselkommandanten, Helgoland kampflos zu übergeben, wurde die Insel weiterhin vehement verteidigt und durch Bombenangriffe stark beschädigt. Viele junge Marinehelfer, Soldaten und Helgoländer kamen dabei ums Leben. Dieses wollte eine Widerstandsgruppe aus Marineangehörigen und Helgoländern verhindern, indem sie die Festnahme des oberen Offizierskorps plante, um selbst die kampflose Übergabe in die Hand nehmen und Helgoland an die Engländer übergeben zu können. „Wir wollten dem Morden ein Ende bereiten und Helgoland vor der völligen Zerstörung retten“, war ihre Parole. Ihr Anführer war der Dachdeckermeister
GEORG E. BRAUN
Dies ist seine Geschichte:
Georg Brauns Elternhaus stand in Beckstein, Kreis Tauberbischofsheim, einer hauptsächlich katholischen Gegend nördlich von Heilbronn. Sein Vater hatte dort eine Drechslerei und Tischlerei.
Georg wurde am 25.Juni 1902 in Beckstein als einer von fünf Geschwistern geboren. Auch er wählte einen Handwerkerberuf und wurde Schieferdeckermeister. Im nahe gelegenen Ort Adelsheim richtete er sich seine eigene Werkstatt ein.
Seine erste Frau stammte aus seinem Heimatort Beckstein, und seine drei Kinder aus dieser Ehe wuchsen in seinem Elternhaus auf.
Mitte der dreißiger Jahre zog er an die Nordseeküste. In Cuxhaven verdingte er sich zuerst auf Fischkuttern, bis er langsam wieder in seinem erlernten Beruf Fuß fassen konnte. Als auf Helgoland der Kasernenbau begann und dort Dachdecker gebraucht wurden, begann er zwischen Cuxhaven und Helgoland zu pendeln, je nach Auftragslage.
Inzwischen hatte er eine zweite Familie gegründet, und seine zweite Frau Julia sowie seine beiden Kinder wohnten mit ihm in Cuxhaven.
Er war nicht politisch engagiert, sondern eher ein Einzelgänger, den Ungerechtigkeit ärgerte. Den Nationalsozialismus lehnte er ab, und das blieb nicht unbemerkt. Wenn an anderen Häusern bei besonderen Anlässen oder Feiertagen die Hakenkreuzflagge gehisst wurde, blieb bei den Brauns die Fahnenstange leer. Schon 1939 erklärte er unverblümt „wir kriegen den totalen Krieg“. Seine Tochter war zehn Jahre alt, als sie von der Polizei abgeholt und über ihren Vater und ihre Familie verhört wurde.
Ab Anfang der Vierziger Jahre wohnten seine Frau Julia und die Kinder hauptsächlich mit ihm auf Helgoland. Ihr Haus und seine Werkstatt, lagen an der Kartoffel Allee auf dem Oberland, in unmittelbarer Nähe des Leuchtturms und der Signalstation.
Seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus verbarg er auch auf Helgoland nicht. Im Frisiersalon von Heinrich Prüß verkündete er außerdem laut, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Prüß wurde im Oktober 1943 wegen seiner offenen politischen Äußerungen verhaftet und 1944 hingerichtet. Georg Braun überlebte noch ein weiteres Jahr.
Braun war geschäftstüchtig und auf Helgoland gut bekannt, weil er durch seinen Beruf Zugang zu vielen Häusern hatte. Außerdem verdiente er in den letzten Kriegsjahren gutes Geld auf der Insel, die öfter bombardiert wurde und deren Gebäude immer wieder repariert werden mussten.
Morgens verteilte er in der Kartoffel Allee die anfallenden Dachdeckerarbeiten an seine Arbeiter, und schon allein durch seine Werkstatt gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Die Südkaserne und die Batterien „Jacobsen“ und „Falm“ mit ihren Mannschaften lagen ganz in der Nähe, und so fiel es nicht weiter auf, dass auch immer mehr Marineangehörige bei den Brauns vorbeischauten. Offiziere und Soldaten kamen gern auf gesellige Abende vorbei, und nach und nach bildete sich so der Kern der Widerstandsgruppe.
Mit seinem Kommunikationstalent und seiner starken Persönlichkeit wird es nicht allzu schwer für Georg Braun gewesen sein, immer mehr Leute von seiner Meinung zu überzeugen, dass es sinnlos wäre, Helgoland so kurz vor Ende des Krieges weiter zu verteidigen, weitere Menschenleben zu verlieren, die Häuser der Bevölkerung und die Infrastruktur der Insel durch Bombenangriffe der Alliierten zu zerstören. Außerdem liebte er seine Wahlheimat Helgoland.
Die sich formende Widerstandsgruppe einigte sich darauf, die Insel kampflos an die Alliierten zu übergeben und die entsprechenden Vorbereitungen begannen Anfang 1945. Danach traf man sich eher spontan bei Braun, nicht in größeren Gruppen, um keinen Verdacht zu erwecken.
Die Planung lief auf Hochtouren, als Familie Braun am 18. April 1945 morgens um 6 Uhr aus den Betten geholt und verhaftet wurde. Das ganze Haus war voller Soldaten und Beamten und wurde vollständig auf den Kopf gestellt und durchsucht.
Insgesamt wurden an diesem Morgen ca. 20 Hauptverdächtige verhaftet. Zwei Mitglieder der Widerstandsgruppe hatten die geplante Aktion an den Inselkommandanten weitergegeben.
Nachdem die Eltern und die ältere Tochter abgeführt und ins Nord-Ost Geländer der Insel gebracht worden waren, saßen die anderen beiden Kinder ratlos mit ihrem Dackel im verwüsteten Haus, während sie weiterhin von Soldaten bewacht wurden. Als gegen Mittag der große Bombenangriff kam und die Soldaten verschwanden, konnten die Kinder in den schützenden Bunker laufen. Das Haus der Familie wurde bei diesem großen Angriff zerstört.
Nach dem Angriff wurde die älteste Tochter aus der Verhaftung entlassen und machte sich auf die Suche nach ihren Geschwistern. Die waren inzwischen durch die unterirdischen Bunkergänge gewandert und in der Spirale gelandet, der Verbindung zwischen den Bunkersystemen im Ober- und Unterland. Dort sahen sie ihre Eltern wieder.
Georg und Julia Braun saßen getrennt, jeder von Wachposten umstellt. Die Kinder versuchten, sich durch die besetzten Bänke einen Weg zu ihrem Vater zu bahnen, wurden zuerst von den Posten daran gehindert aber dann doch durchgelassen. Georg Braun saß aufrecht und zog seine Kinder an sich. Es war das letzte Mal, dass sie ihren Vater sahen. – Ihre Mutter saß an einem anderen Platz und weinte verzweifelt. Auch zu ihr konnten die Kinder kurz gehen und sie umarmen.
Am 19. April überlebten die Kinder im Bunker einen weiteren Bombenangriff auf Helgoland. Abends gelang es ihnen, auf einem Frachter nach Cuxhaven zu kommen.
In der Nacht wurden Georg Braun, seine Frau und die anderen Verhafteten nach Cuxhaven überführt. Nach einer kurzen Gerichtsverhandlung in der Georg Braun des „Kriegsverrats, kampflose Übergabe der Festung Helgoland“ angeklagt worden war, wurde er sowie vier weitere Mitglieder der Gruppe am 21. April nachmittags zum Tod durch Erschießen verurteilt. Noch am selben Abend wurden die fünf Männer in Cuxhaven-Sahlenburg erschossen.
Georg Brauns Frau wurde wegen Mitwisserschaft zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Sieben traumatische Wochen davon verbrachte sie im Cuxhavener Gefängnis. Im Juli 1945 wurde sie entlassen.
Jahrelange kämpfte sie mit Behörden um finanzielle Unterstützung für ihre Familie. Soweit bekannt, erhielt sie letztendlich eine kleine Sonderhilfe für Verfolgte.
Brauns erste Frau, die drei Kinder hatte, versuchte noch lange die Gründe für das Gerichtsurteil zu erfahren und eine Entschädigung zu erhalten. Noch 1954 kämpfte sie um eine Hinterbliebenenrente.
Zum Gedenken an Georg E. Braun wurde am 17.April 2010 in der oberen Kirchstraße des Helgoländer Oberlandes ein STOLPERSTEIN verlegt.
Autorin des Beitrags, copyright: Astrid Friederichs, „Wir wollten Helgoland retten – Auf den Spuren der Widerstandsgruppe von 1945“, wurde im April 2010 vom Museum Helgoland herausgegeben (ISBN 987-3-00-030405-7). Kontakt: afrberlin@t-online.de
Quellen: Interviews mit Frau M. D., Hamburg, 2008-2010 – Interview: E. Braun, 2.1.2010 – Brief Pastor H. Hartung an Marine-Gericht Auffangstelle, Flensburg-Mürwik, 23.2.1946 – Bundesarchiv Freiburg
Moin!
Auch ich wohne sozusagen auf einer Insel, und zwar in einem „Rundling“ im Wendland. Damals wie heute zählt das Wendland wohl zu den ärmsten Gegenden unserer Republik. Man könnte denken, jeder kennt jeden, alle sind irendwie miteinander verwandt und verschwägert. Und trotzdem gibt es auch hier Geheimnisse, über die man besser nicht spricht. An den Zugezogenen mag man gerne sein Geld, aber das war’s meist auch schon. Und wenn sich ein Fremdling sich auch noch für die Braune Zeit interessiert, redet man besser nicht mehr mit einen Solchen.
Kurz vor Kriegsende hat hier ein Nachbar seinen Nachbarn angezeigt, weil dieser in der Dorfkneipe einen Witz über Hitler gemacht hatte. Wenige Tage vor Kriegsende wurde er dafür hingerichtet. Im gleichen Rundling steht ein Kriegerdenkmal, dort sind die Namen der Soldaten des Dorfes eingemeißelt, die im ersten und zweiten Weltkrieg gefallen sind. Der Name des „Witzboldes“ steht nicht darauf.
Liebe Grüße
Michael
Die Erinnerung an die mutigen Widerständler, von denen ich jetzt zum ersten Mal gehört habe, halte ich für sehr wichtig. Eine Kleinigkeit nur: mir persönlich widerstrebt es, von „Hinrichtung“ zu sprechen; es war Mord. Alle „Gerichtsverfahren“ auf der Grundlage von Gesetzen, die lediglich der Machtdurchsetzung dienen sollten, sollten einen Rest von Rechtstaatlichkeit vortäuschen. Insoweit finde ich die Wortwahl auf dem Stolperstein angemessener.
Mit freundlichem Gruß
Burkhard Brätsch